Niedergeschlagen, instabil und psychisch krank – dieses Urteil sollen mehrere Ärzte über den Copiloten der abgestürzten Germanwings-Maschine gefällt haben. Wegen der Schweigepflicht behielten sie das Wissen offenbar für sich. Wie weit darf die ärztliche Verschwiegenheit gehen?

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Im Fall der abgestürzten Germanwings-Maschine hat die französische Staatsanwaltschaft neue Details bekannt gegeben: Der 27-jährige Copilot Andreas Lubitz sei nicht in der Lage gewesen, ein Flugzeug zu fliegen, sagte ein Staatsanwalt am Donnerstag in Paris. Zu diesem Urteil seien mehrere Ärzte gekommen. In den letzten fünf Jahren soll Lubitz zu 41 verschiedenen Medizinern gegangen sein – doch die behielten ihre Diagnose für sich.

Für Ärzte und Psychotherapeuten gilt die Schweigepflicht. Das heisst, sie dürfen Informationen über ihre Patienten nicht ohne Weiteres an Dritte weitergeben. Wer dagegen verstösst, dem drohen laut Strafgesetzbuch eine Geldstrafe oder sogar eine Freiheitsstrafe von bis zu einem Jahr.

Die Regelung gibt es fast so lange wie den Arztberuf: Der etwa 2.400 Jahre alte hippokratische Eid verpflichtet die Mediziner zu schweigen. Der Gedanke: Nur so kann Vertrauen zwischen Ärzten und Patient entstehen, der Betroffene sich wirklich öffnen.

"Diese Ärzte müssen von der Schweigepflicht entbunden sein."

Angesichts der neuen Erkenntnisse im Fall Lubitz stellt sich nun die Frage: Hätte das Unglück durch eine weniger rigorose Schweigepflicht verhindert werden können? Schon im März forderten einige Politiker, sie zu lockern. "Piloten müssen zu Ärzten gehen, die vom Arbeitgeber vorgegeben werden. Diese Ärzte müssen gegenüber dem Arbeitgeber und dem Luftfahrtbundesamt von der ärztlichen Schweigepflicht entbunden sein", forderte der CDU-Verkehrsexperte Dirk Fischer.

Die Ärztevertreter lehnen das konsequent ab. Auf dem Deutschen Ärztetag Mitte Mai erklärten sie in einem öffentlichen Beschluss, dass Änderungen an den gesetzlichen oder berufsrechtlichen Vorgaben auch nach dem Flugzeugunglück in Frankreich nicht erforderlich seien.

"Erkrankte müssen die Möglichkeit haben, sich ihrem Arzt im vertraulichen Gespräch zu öffnen", sagt Samir Rabbata von der Bundesärztekammer. Ausserdem sei es dem Arzt schon jetzt gestattet, in Ausnahmefällen die Schweigepflicht zu brechen – "etwa wenn ein Patient gegenüber seinem Arzt konkrete Absichten äussert, schwerste Straftaten zu begehen".

Ausnahmen der ärztlichen Schweigepflicht

Tatsächlich dürfen Ärzte in Fällen von erkennbarer Gefahr für das Leben Dritter die zuständigen Behörden informieren: Wenn jemand HIV-infiziert ist, dürfen sie das dem Partner mitteilen; wenn der Verdacht auf sexuellen Missbrauch von Kindern besteht, das Jugendamt oder die Polizei informieren. Ebenso dürfen sie den Behörden Bescheid sagen, wenn ein Patient Auto fährt, obwohl er durch eine Krankheit wie Alkoholsucht andere in Gefahr bringt.

"Hohes Gut und Menschenrecht"

Allerdings gibt es keine Pflicht, den Arbeitgeber zu informieren, auch bei Berufen mit viel Verantwortung wie eben Piloten. Hier sollen regelmässig Gesundheitschecks für Sicherheit sorgen. Offenbar können aber Leute durch das Raster fallen. Klaus Reinhardt, der Vorsitzende des Ärzteverbands Hartmannbund plädiert daher dafür, bei Berufen "mit hohem theoretischen Gefährdungspotenzial" über die "Systematik von Krankschreibungen" nachzudenken. Er halte es für denkbar, dass eine Krankschreibung vom Arzt direkt an den Arbeitgeber weitergeleitet werde – allerdings ohne Angabe einer Diagnose.

Die Aufweichung von Regeln aufgrund eines Einzelfalls ist schwierig. Wo fängt man an, wo hört man auf? Ab wann kann man gezwungen werden, zu Hause zu bleiben? Am Ende geht es auch um die Frage von Datenschutz und Persönlichkeitsrechten. Die Schweigepflicht sei ein "hohes Gut" und "Menschenrecht", sagt Frank Ulrich Montgomery, der Präsident der Bundesärztekammer.

Ausserdem kann vielen Menschen geholfen werden, eben weil sie sich ihrem Arzt voll anvertrauen. "Eine wichtige Grundlage dafür ist das besondere Vertrauensverhältnis und eine tragfähige psychotherapeutische Beziehung", sagt Dieter Best, stellvertretender Bundesvorsitzender der Deutschen Psychotherapeuten-Vereinigung. "Mit der Auflockerung der Schweigepflicht wäre nichts gewonnen, im Gegenteil, es würde grosser Schaden angerichtet."

Längst ist auch nicht ausgemacht, dass eine Lockerung künftig ähnliche Katastrophen verhindern würde. "Es ist extrem schwierig, eine objektive Einschätzung über eine fremdgefährdende oder suizidale Situation eines Patienten zu treffen", sagt Klaus Reinhadt vom Hartmannbund.

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