Ein Mann stürzt aus dem siebten Stock des Amtsgerichts Hameln und stirbt wenig später. Mitglieder seiner Grossfamilie greifen daraufhin Polizei und Rettungskräfte mit Steinen und Pfefferspray an. Warum eskalierte die Situation derart?
Es ist ein vermeintlicher Fluchtversuch mit dramatischem Ausgang: Am Mittwoch öffnet ein junger Mann im siebten Stock des Amtsgerichts in Hameln ein Fenster und klettert nach draussen. Nach wenigen Metern verliert er den Halt und stürzt in die Tiefe. Während die Notärzte um das Leben des 26-Jährigen kämpfen, bedrängen Angehörige die Helfer, die von der Polizei geschützt werden müssen.
Im Krankenhaus, in dem der Mann seinen Verletzungen schliesslich erliegt, eskaliert dann die Gewalt: Etwa 30 Mitglieder der Grossfamilie schleudern Steine auf Polizisten, greifen diese mit Pfefferspray an. Einige Angehörige seien sogar aus anderen Bundesländern angereist, so die Polizei. 14 Beamte werden verletzt, eine Fensterscheibe geht zu Bruch. Nun ermittelt die Polizei wegen Körperverletzung, Sachbeschädigung und Landfriedensbruch. Festnahmen gab es bislang noch nicht, auch wenn die die Identität mehrerer Tatverdächtiger bekannt sei, wie ein Polizeisprecher sagte.
Familie machte offenbar Beamte für Tod verantwortlich
Warum aber eskalierte die Gewalt derart? Offenbar gab die Familie den deutschen Behörden die Schuld am Tod ihres Verwandten. "Warum konnte mein Neffe das Fenster öffnen? Warum trug er keine Handschellen? Warum war er nicht in einem Raum eingesperrt?", zitierte die "Hannoversche Allgemeine" einen Onkel.
Dabei trug der 26-Jährige sogar Handfesseln und wurde bewacht. Aber: "Es ist ihm gelungen eine Hand aus dieser Handfessel herauszuziehen", sagte Oliver Eisenhauer von der Staatsanwaltschaft Hannover im "NDR"-Interview. Die vier zuständigen Polizeibeamten seien etwa zehn Meter entfernt gestanden, um dem Verdächtigen ein vertrauliches Gespräch mit seinem Anwalt zu ermöglichen.
Jens Petersen kennt noch einen weiteren möglichen Grund für die Tumulte und Angriffe auf Notärzte: "Manche Familien wollen nicht, dass Fremde verletzten Angehörigen helfen – das haben wir schon häufiger erlebt", sagte der Sprecher der Polizei Hameln im Gespräch mit unserem Portal.
Denn wie die "Deister- und Weserzeitung" berichtet, soll die Familie zu den Mhallamiye-Kurden gehören. Die Volksgruppe stammt aus der Türkei und dem Libanon, die Mhallami kamen vor allem während des libanesischen Bürgerkriegs nach Deutschland. Die Lokalzeitung berichtet, die Familienmitglieder hätten türkische, libanesische und deutsche Pässe – bei manchen sei jedoch, wie bei dem 26-jährigen Getöteten, die Staatsbürgerschaft offiziell nicht geklärt.
Ein erster Fluchtversuch war bereits gescheitert
Begonnen hatte die Eskalation mit der Festnahme des Mannes am Dienstagabend. Er soll im Nachbarort Aerzen eine Tankstelle überfallen haben. Polizisten fanden den Verdächtigen nur anderthalb Stunden später in einer Spielhalle, die Tasche mit der Beute in einem nahen Gebüsch. Schon auf dem Weg zur Polizeiwache soll er zum ersten Mal versucht haben zu fliehen, als ein Bruder die Tür des Polizeiautos aufreissen wollte – die Beamten griffen ein und nahmen den Mann ebenfalls fest.
Die Tankstelle soll nicht der erste Raub des 26-Jährigen gewesen sein. Laut Staatsanwaltschaft stand er zudem unter Verdacht, sich an Überfällen auf zwei weitere Tankstellen, eine Bäckerei und ein Tiergeschäft beteiligt zu haben – alle zwischen Mitte Dezember und Mitte Januar, wie Jens Petersen erklärte. Bis zur Festnahme seien die Vorfälle nicht aufgeklärt, der Mann jedoch "dringend tatverdächtig" gewesen.
Am Mittwochnachmittag wurde er deshalb dem Haftrichter vorgeführt. Ihm hätte eine Gefängnisstrafe von mindestens einem Jahr gedroht.
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