Sexueller Missbrauch wird ausschliesslich von Männern begangen, lautet ein gängiges Vorurteil. Mitunter sind aber ebenso Frauen beteiligt, wie auch der aktuelle wie prominente Fall von Jeffrey Epstein und Ghislaine Maxwell nahelegt. Allerdings gibt es grosse Unterschiede zwischen männlichen und weiblichen Sexualstraftätern.

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Der Fall hat kürzlich viele Schlagzeilen produziert: Bei den Ermittlungen gegen Jeffrey Epstein ist auch dessen Ex-Partnerin Ghislaine Maxwell ins Visier der Behörden geraten. Die Tochter eines britischen Verlegers (und Bekannte von Prinz Andrew) sitzt wegen des Verdachts der Beihilfe zum Missbrauch in Untersuchungshaft.

Maxwell soll Epstein, der unter anderem wegen Missbrauchs angeklagt werden sollte, sich aber vor dem Prozess das Leben nahm, geholfen haben, Kontakt zu den misshandelten Mädchen herzustellen.

Dass Frauen wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt werden, ist statistisch gesehen selten. Wie die Juristin Ulrike Hunger in einer 2019 veröffentlichten Studie für das Institut für Kriminologie (IFK) der Universität Tübingen feststellte, werden nur rund ein Prozent solcher Taten von Frauen begangen.

Der Fall Dutroux, der Fall Bernardo

Dennoch gibt es diese Fälle und zwar sowohl bei sexuellem Missbrauch, bei dem Macht und Abhängigkeiten ausgenutzt werden, als auch bei sexuellen Gewalttaten wie Nötigung oder Vergewaltigung. Bekannteste Beispiele sind die Kanadierin Karla Homolka, die mit dem Sadisten und Vergewaltiger Paul Bernardo verheiratet war und mit ihm gemeinsam mehrere Mädchen quälte und tötete.

Homolka wurde wegen Totschlags verurteilt - allerdings bevor neues Beweismaterial auftauchte, das sie von der Mittäterin zur Täterin machte. Da war das Urteil allerdings schon gesprochen.

Auch im Fall des Mädchenmörders Marc Dutroux, der in den 1990er-Jahren junge Mädchen entführt und getötet hatte, gab es eine Komplizin. Michelle Martin lebte mit Dutroux zusammen, hatte Kinder mit ihm, wusste und billigte seine Taten. Vor Gericht sagte sie, sie habe sich und ihre Kinder dadurch schützen wollen.

Straftäterinnen handeln selten allein

Ihre Version der Geschichte wurde von Beobachtern angezweifelt, doch scheint die Angst vor dem Täter in der Tat ein recht häufiges Motiv zu sein, wenn Frauen des sexuellen Missbrauchs oder einer sexuellen Gewalttat angeklagt werden. Laut der Studie von Ulrike Hunger waren die Angst, verlassen oder selbst misshandelt zu werden, bei einer von zehn Frauen, die wegen sexuellen Missbrauchs verurteilt wurden, das Hauptmotiv für diese Straftat.

Bei den sexuellen Gewalttaten waren es sogar 40 Prozent. Weitere häufige Motive waren die sexuelle Befriedigung des Mittäters und die Liebe der Straftäterin zu diesem Mittäter. Diese Liebe kam auch im Fall Dutroux zur Sprache. Michelle Martin sagte über Dutroux, sie habe sich mit ihm "zum ersten Mal frei und lebendig" gefühlt.

Beide Motive deuten auch auf eine andere Erkenntnis der Studie hin: Dass Frauen Sexualstraftaten - anders als Männer - nämlich meist nicht alleine begehen. Bei sexuellem Missbrauch waren bei mehr als zwei Drittel der Fälle andere Personen beteiligt, bei sexuellen Gewalttaten waren es sogar knapp 95 Prozent. In der Mehrzahl waren die Mittäter Männer.

Auch "Wegschauen" ist natürlich eine Straftat

Und noch etwas unterscheidet weibliche von männlichen Sexualstraftätern: Bei vielen der Frauen kam es nicht zu einem Körperkontakt zwischen ihnen und dem Opfer. Das gilt vor allem für Gewalttaten: Hier war ihre "Rolle" häufig, das Opfer zu sexuellen Handlungen aufzufordern - oder sie sahen zu und taten nichts, um es zu verhindern.

Auch beim sexuellen Missbrauch gibt es viele Fälle, in denen die Frau half oder auch schlicht wegsah, wenn es zum Missbrauch kam. In etwa 15 Prozent der Fälle hatten Opfer und Täterin jedoch eine Beziehung - aber eben eine unerlaubte, etwa eine Lehrerin-Schüler-Beziehung oder eine andere Beziehung, in der es ein Machtgefälle oder Abhängigkeiten gab.

Persönlichkeitsmerkmale noch wenig erforscht

Was die Persönlichkeit der Straftäterinnen angeht, fand Ulrike Hunger einige Gemeinsamkeiten: So hatte die Mehrzahl der verurteilten Frauen einen niedrigen Bildungsabschluss, sie waren zum Tatzeitpunkt meist in einer Beziehung und hatten eines oder mehrere Kinder.

Aus den rund 100 Strafakten, die die Juristin analysierte, ging auch hervor, dass einige der Frauen eine ungesunde Einstellung zu Sexualität hatten, in ihrer persönlichen Entwicklung nicht besonders reif oder auch grundsätzlich ängstlich und wenig selbstbewusst waren. "Um das empirisch abzubilden, hatte ich jedoch nicht genügend Daten, da bedarf es weiterer Forschung", sagte Ulrike Hunger im Gespräch mit unserer Redaktion.

Aus ihrer Studie lässt sich dennoch einiges auch auf den aktuellen Fall anwenden. Vorausgesetzt, Ghislaine Maxwell wäre an den Taten ihres Ex-Partners beteiligt gewesen (sie hat bislang bestritten, etwas gewusst zu haben) und würde dafür verurteilt, würde sie in einigen Punkten in das Schema passen: kein alleiniges Vorgehen und - soweit bekannt - kein Körperkontakt. Über die Motive kann nur spekuliert werden.

Auch wenn der Fall sehr prominent ist, bleibt die (Mit)Täterschaft von Frauen bei sexuellen Delikten eine Seltenheit. Dennoch gehöre sie erforscht, findet Ulrike Hunger. "Denn Therapien sind in solchen Fällen vor allem auf Männer zugeschnitten. Wie meine Studie ergeben hat, gibt es aber erhebliche Unterschiede zwischen weiblichen und männlichen Sexualstraftätern."

Wenn eine Frau sich zum Beispiel von ihrem kriminellen Partner abhängig fühlte, müsste eine Therapie versuchen, ihre Persönlichkeit zu stärken. Auch bei der Prävention könne es helfen, wenn sich die Ermittlungsbehörden der Rolle der Frauen bei solchen Taten bewusster wären: "Wenn die Ermittler dafür sensibilisiert werden, dass Frauen tatsächlich auch sexuelle Straftaten begehen, kann das bei der Aufklärung solcher Verbrechen helfen."

Verwendete Quellen:

  • Studie von Dr. Ulrike Hunger: Verurteilte Sexualstraftäterinnen - eine empirische Analyse sexueller Missbrauchs- und Gewaltdelikte (2019); Telefoninterview mit der Verfasserin
  • Pressemitteilung der Eberhard Karls Universität Tübingen: Weibliche und männliche Sexualstraftäter unterscheiden sich (1. August 2019)
  • süddeutsche.de: Die Schüchterne und das Ungeheuer, Teufelspakt mit bösen Folgen
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