Sieben Jahre lang wurde Gustl Mollath als gemeingefährlich eingestuft und in der geschlossenen Psychiatrie festgehalten. Ungeklärte Widersprüche und aufgedeckte Verfahrensfehler führten zu heftiger Kritik an der Justiz. Am 14. August 2014 wurde Mollath schliesslich freigesprochen, nun jährt sich dieser Freispruch zum fünften Mal. Doch bis heute bleibt es schwer zu unterscheiden, wer in dem verworrenen Fall Täter und wer Opfer ist.
Im November 2002 sah es noch nach einem tragischen, aber eindeutigen Fall von häuslicher Gewalt aus: Eine Frau zeigte ihren Ehemann wegen Körperverletzung an. Gustl Mollath soll sie mehrfach misshandelt haben – geschlagen, gewürgt, getreten, eingesperrt und sogar gebissen. Der Beschuldigte wies die Vorwürfe von sich. Die Staatsanwaltschaft Nürnberg-Fürth sah eine Anklage jedoch als gerechtfertigt an und der Fall kam im September 2003 vor Gericht.
Ab diesem Zeitpunkt wurde der Fall jedoch immer verworrener: Gustl Mollath erstattete seinerseits Anzeige gegen seine Frau. Er beschuldigte die Bankangestellte, einen milliardenschweren Schwarzgeld- und Steuerhinterziehungsskandal initiiert zu haben. Die Anzeige gegen ihn sei lediglich ein Versuch ihrerseits, ihre illegalen Geschäfte zu vertuschen. 2004 folgte die Scheidung der Eheleute.
Gutachten bescheinigen psychische Störung
Mehrere Gutachter stellten bei Gustl Mollath gravierende psychische Störungen fest. Auch die Vorwürfe gegen seine Frau wurden als wahnhafte Vorstellungen eingestuft.
Im Laufe der drei Jahre, die das Hauptverfahren dauerte, kam zu den Vorwürfen der Körperverletzung und der Freiheitsberaubung eine Anklage wegen Sachbeschädigung hinzu. 129 Personen in Mollaths Umfeld wurden die Autoreifen zerstochen – teilweise auf eine so geschickte Weise, dass die Luft nicht sofort entwich, sondern erst bei der Fahrt. Glücklicherweise passierten dadurch keine folgenschweren Unfälle. Betroffen waren unter anderem der Anwalt von Mollaths Frau, ein Gerichtsvollzieher und ein psychiatrischer Gutachter.
2006 erfolgte schliesslich das Urteil: Das Gericht sprach Mollath zwar wegen Schuldunfähigkeit frei. Es ordnete aber gleichzeitig wegen Allgemeingefährlichkeit eine Unterbringung in der geschlossenen Psychiatrie an.
Fall Mollath: Öffentlichkeit glaubt an Justizskandal
Gustl Mollath wehrte sich hartnäckig gegen das Vorgehen. Unter anderem erstellte er eine Webseite, auf der er seine Sicht der Dinge darstellte, und wandte sich hilfesuchend an die Presse. Teile der Medien stellten den Fall als einen sensationellen Justizskandal dar. In der Öffentlichkeit zeigten sich viele Menschen solidarisch mit Mollath, er wurde zum unschuldigen Opfer einer dunklen Intrige und zu einem "deutschen Nelson Mandela" stilisiert.
Es formte sich eine Unterstützergruppe, die auf eine Freilassung Mollaths hinwirkte und schwere Vorwürfe gegen die Justiz erhob. Einzelne Verantwortliche, die mit dem Fall befasst waren, gaben an, heftigen Drohungen und Einschüchterungsversuchen ausgesetzt zu sein.
Politik reagiert auf Fall Gustl Mollath
Im Wahljahr 2013 fühlte sich auch die Politik von dem Fall, der grosse Wellen in der Öffentlichkeit schlug, betroffen. Im bayerischen Landtag kam es deswegen zu heftigen Debatten. Unter anderem machte der damalige Ministerpräsident Bayerns, Horst Seehofer, Druck auf die Justiz, den Fall zeitnah zu überprüfen.
Im August ordnete das Landgericht Nürnberg schliesslich die Wiederaufnahme des Verfahrens um Mollath an. Das Urteil fiel ein Jahr später, am 14. August 2014. Gustl Mollath wurde wie bereits 2006 freigesprochen. Das Gericht sah es als zwar als erwiesen an, dass er seine Frau lebensbedrohlich misshandelt hatte. Weil allerdings nicht mehr eindeutig festzustellen war, ob er zu dem Zeitpunkt vor 13 Jahren voll schuldfähig war, fiel die Entscheidung im Zweifel zugunsten des Angeklagten aus. Auch im Anklagepunkt des gefährlichen Reifenzerstechens wurde Mollath freigesprochen, weil nicht bewiesen wurde, dass er der Täter war.
Die Zwangsunterbringung in der Psychiatrie sei zu Unrecht erfolgt, stellte das Gericht ausserdem fest. Es sprach ihm ein Anrecht auf eine Entschädigung zu.
Keine Hinweise auf Schwarzgeldgeschäfte
Ein Revisionsbericht der Hypo Vereinsbank, bei der Mollaths Ex-Frau angestellt war, hatte in der Debatte um den Fall für Wirbel gesorgt – genau genommen eine einzelne Formulierung darin: "Alle nachprüfbaren Behauptungen haben sich als zutreffend herausgestellt", hiess es an einer Stelle.
Das wurde von Unterstützern Mollaths als Nachweis dargestellt, dass seine Anschuldigungen keine Fantasieprodukte waren, sondern der Realität entsprachen. Tatsächlich wurde jedoch kein rechtswidriges Verhalten von Petra Mollath festgestellt. Nachprüfbar war etwa, dass sie tatsächlich Kundengelder in die Schweiz transferierte. Dieser Vorgang war jedoch legal. 2017 erlag Petra Mollath einem Krebsleiden.
Verwendete Quellen:
- Spiegel Online: "Warum der Justizskandal doch keiner ist"
- Der Tagesspiegel Online: "Wir haben uns verrückt gemacht"
- Zeit Online: "Ein Mann, zwei Gesichter"
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