Alexei Nawalny gilt als prominentester Widersacher von Russlands Präsident Putin. Doch wofür steht er politisch? Als Korruptionsbekämpfer hat er sich einen Namen gemacht – darüber hinaus ist er nur schwer zu verorten.

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Sogar die Bundeskanzlerin hatte ihn in der vergangenen Woche besucht: Der russische Kreml-Kritiker Alexei Nawalny war bis zu seiner Entlassung der derzeit wohl bekannteste Patient in einem deutschen Krankenhaus. Nach einem Giftanschlag in Russland wurde der Oppositionelle in der Berliner Charité behandelt – ein Akt von grosser symbolischer Bedeutung. Schliesslich gilt Nawalny als prominentester Widersacher von Russlands Präsident Putin. Aber ist er auch ein überzeugter Demokrat? Wofür steht der berühmte Patient politisch? Zumindest ist er auch in der zersplitterten russischen Opposition nicht unumstritten.

Nationalistische Töne in der Vergangenheit

Nawalny kam 1976 in der Nähe von Moskau zur Welt, studierte in den 90er Jahren Jura und später Börsenwesen. 1999 trat er der linksliberalen Partei Jabloko bei, überwarf sich mit ihr aber 2007: Wegen nationalistischer und fremdenfeindlicher Äusserungen schloss die Partei ihn aus. Nawalny sorgte für Aufsehen, als er Migranten als "Kakerlaken" bezeichnete oder als Redner auf einem Marsch von Ultra-Nationalisten auftrat.

Gleichzeitig erarbeitete sich der selbstbewusste Charismatiker einen Ruf als systemkritischer Blogger. 2013 kandidierte er bei der Bürgermeisterwahl in Moskau, erreichte mit 27 Prozent der Stimmen den zweiten Platz. Ein Achtungserfolg. Auch damals gehörten nationalistische Töne und die Kritik an Zuwanderung aus Zentralasien zu Nawalnys Kampagne.

Diese Äusserungen müsse man allerdings im Kontext der Gesellschaft sehen, sagt Sarah Pagung, Russland-Expertin bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. "Solche Positionen sind in Russland generell akzeptierter als in Westeuropa", sagt die Politikwissenschaftlerin im Gespräch mit unserer Redaktion. Zudem habe sich Nawalny von dieser Rhetorik inzwischen distanziert, auf jeden Fall wiederhole er sie nicht mehr. "Es ist schwer zu sagen, warum er sich nicht mehr in diese Richtung äussert: Weil er seine Meinung geändert hat? Oder eher aus politischem Kalkül? Er ist als Person mit seinen Ansichten nur noch schwer greifbar."

Korruption als zentrales politisches Thema

Das gilt auch für die Aussenpolitik. Als die Putin-Regierung 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte, kritisierte Nawalny diesen Schritt zunächst, weil er gegen internationales Recht verstosse. Gleichwohl sieht auch er die Halbinsel als russisches Gebiet an. Im Land selbst ist diese Haltung allerdings alles andere als ungewöhnlich, gibt Sarah Pagung zu bedenken: "Die Zustimmung zur Krim-Annexion ist in der russischen Bevölkerung extrem gross. Sie reicht weit bis ins liberale Lager hinein." Aussenpolitik spiele für Nawalny allgemein keine grosse Rolle. "Sie ist klar untergeordnet zu den Themen seiner Stiftung."

Mit dieser Stiftung widmet sich der 44-Jährige vor allem der Aufdeckung von Korruption in Wirtschaft und Politik. Für Aufsehen sorgte zum Beispiel seine Dokumentation über das Luxusleben des früheren Präsidenten und Ministerpräsidenten Dmitri Medwedew. "Nawalny ist eine interessante Mischung aus einem Politiker und Aktivisten", sagt Sarah Pagung. "Sein zentrales Thema, mit dem er Millionen von Menschen erreicht, ist ganz klar der Kampf gegen die Korruption." Anrechnen müsse man ihm auch seinen Einsatz für Pluralismus, Medienvielfalt und demokratische Ideale. "Ob seine Demokratievorstellung – zum Beispiel auch in Bezug auf Minderheiten – aber auch den europäischen Vorstellungen entspricht, ist eine andere Frage."

Grosses Netzwerk in den Regionen

Nawalny gilt als charismatisch und selbstbewusst. Die Putin-Partei Einiges Russland bezeichnete er einmal als "Partei der Gauner und Diebe". Eine eigene politische Karriere ist ihm derzeit verwehrt. Mehrmals wurde er von Gerichten verurteilt, weil er 2009 angeblich 10.000 Kubikmeter Holz bei einem staatlichen Unternehmen in der Region Kirow unterschlagen haben soll. Eine weitere Verurteilung folgte 2017 – dieses Mal, weil er zu einer nicht genehmigten Demonstration aufgerufen haben soll. Weil er in Strafverfahren als verurteilt gilt, verweigerte ihm die zuständige Kommission die Teilnahme an der Präsidentschaftswahl 2018.

Trotzdem ist Nawalny nicht nur in Deutschland, sondern auch in Russland das bekannteste Gesicht der Opposition. Er spricht viele junge Menschen in den Grossstädten an, ist aber auch in den entferntesten Ecken des Riesenlandes bekannt. "Wenn man bedenkt, dass er im russischen Fernsehen weitgehend totgeschwiegen wird, ist das schon eine Leistung", sagt Sarah Pagung.

Die russische Regierung kontrolliert zwar klassische Medien wie Fernsehen und Zeitungen. Doch über das Internet erreicht Nawalny noch immer Millionen Menschen. Auch wenn er selbst nicht kandidiert, übt er bei Wahlen politischen Einfluss aus. So propagiert er zum Beispiel das "Smart Voting": Die Wählerschaft ruft er dazu auf, sich bei Abstimmungen hinter dem aussichtsreichsten Oppositionskandidaten zu versammeln und so einen Sieg der Kreml-Partei zu verhindern.

Zugute kommen dem Oppositionellen dabei die Strukturen seiner Stiftung, die Büros in praktisch allen russischen Regionen unterhält. "Mit diesem Netzwerk und seiner Bekanntheit kann Nawalny Kandidatinnen und Kandidaten der Opposition zum Sieg verhelfen", sagt Sarah Pagung. "Er hat durchaus das Potenzial, für das politische System Russlands gefährlich zu werden."

Über die Expertin: Sarah Pagung arbeitet bei der Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik. Am Robert-Bosch-Zentrum für Mittel- und Osteuropa, Russland und Zentralasien beschäftigt sich die Politikwissenschaftlerin mit russischer Aussen- und Sicherheitspolitik und Informationspolitik. Sie ist zudem Lehrbeauftragte an der Freien Universität Berlin.

Verwendete Quellen:

  • Gespräch mit Sarah Pagung, Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik
  • Sueddeutsche.de: Wie Nawalny gegen Migranten Wahlkampf macht
  • taz.de: Politiker Nawalny im Porträt – Der Widersacher
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