Eine Beinahe-Katastrophe, zwei Havarien und drei Schwerverletze in acht Monaten:Schiffe der Schweizer Hochseeflotte verunglückten 2016 auffällig oft. Jetzt wird untersucht. swissinfo hat die Details zu den Vorfällen zusammengetragen.

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Die Schweizerische Sicherheitsuntersuchungsstelle SUST untersucht derzeit vier Unfälle mit Schweizer Hochseeschiffen. In drei Fällen waren Schiffe der "Enzian Ship Management" involviert, jener Reederei, die Schiffe zuletzt dringend verkaufen musste, weil sie nicht mehr rentierten.

Verlust für den Bund

Weil der Bund für die Schweizer Hochseeflotte bürgt, schreibt er deswegen einen Verlust von 215 Millionen Franken.

Die Schiffsunglücke der "Enzian Ship Management" geschahen alle in den letzten zwei Jahren. In den acht Jahren davor war nach Auskunft des Aussendepartements keine einzige Unfalluntersuchung bei Hochseeschiffen eröffnet worden – nun gab es innert zwei Jahren drei Unfälle bei jener Firmengruppe.

Die Details zu den drei Unfällen:

16. Oktober 2015: "MV Sabina" auf Kollisionskurs - und niemand reagiert

Seeretter Sten-Erik Rasmussen wohnt auf der dänischen Insel Bornholm und erinnert sich noch heute an diesen Tag. "Ich hoffe, dass ich so etwas nie wieder erlebe", sagt er am Telefon zu swissinfo.

Rasmussen arbeitet bei der Seerettung des Hafens von Rønne auf der Insel Bornholm und hatte an in dieser Nacht Dienst.

Kurz nach Mitternacht erreicht ihn der Notruf der dänischen Küstenwache. Der Schweizer Frachter "MV Sabina" fährt mit 12 Knoten, ungefähr 20 km/h geradewegs auf die Insel Bornholm zu, obwohl er diese weiträumig umschiffen sollte.

Die Küstenwache hatte den Frachter, der vom dänischen Aalborg Richtung Kotka in Finnland unterwegs ist, mehrmals angefunkt – niemand antwortete. Auf der Brücke des Schiffs müssten eigentlich alle Alarm-Signale längst losgegangen sein. Aber unbeirrt fährt die "Sabina" auf die Küste zu.

"Es ist sehr aussergewöhnlich für einen Frachter, dass niemand zurückfunkt", sagt Rasmussen. Er eilte mit seiner Crew ins Rettungsboot und nahm Kurs auf das scheinbar führerlose Schiff.

Rasmussen steuert sein Boot an die Seitenwand des Schweizer Frachters. Mit einer Axt und einem Vorschlaghammer hämmert seine Crew gegen die Stahlwand der "Sabina".

Es ist gerade noch eine Schifflänge bis zum Aufprall an der Küste. Erst jetzt reagiert die Crew. Ob es die Schläge waren oder vielleicht einer der Funksprüche, bleibt unklar.

Der Frachter wendet in letzter Minute, 85 Meter von der Küste entfernt, schreibt die Lokalzeitung "Bornholm Tidende". Etwas weiter und er wäre aufgelaufen. "Ich glaube, die waren am Schlafen", sagt Rasmussen heute über die dramatischen Minuten nach Mitternacht.

Dann übernahm die Polizei. Der Frachter musste im lokalen Hafen ankern, bis die Untersuchungen abgeschlossen waren. Laut der Lokalzeitung ist es am Ende nicht zu einer Anklage gekommen, weil keine Schäden und keine Umweltverschmutzung verursacht wurde.

Mittlerweile ist die "MV Sabina" nicht mehr in Schweizer Besitz. Vor zwei Monaten wurde sie an eine Reederei auf den Cookinseln verkauft.

8. Januar 2016: Die "SCL Basilea" fordert in einem Notruf Schwimmwesten an

Das schwerste Schiffsunglück geschah im vergangenen Jahr in Portugal mit der SCL Basilea. Zwei Seeleute wurden dabei schwer verletzt, wie der Schweizer Untersuchungsleiter Daniel Knecht sagt. Gemäss Knecht geschah das Unglück, als das Schiff beim Auslaufen aus dem Hafen von Porto in einen Sturm geriet.

Portugiesische Medien berichteten ebenfalls über den Vorfall. Ein Mann sei bei schwerer See über Bord gegangen. Der Hafen ist laut den Presseberichten darauf um Hilfe angefunkt worden, man brauche eine Schwimmweste und eine Rettungslanze.

Bei der folgenden Rettung seien zwei weitere Mitglieder der 15-köpfigen Crew schwer verletzt worden. Alle drei Verunglückten wurden in lokale Spitäler eingeliefert. Ein Fotograf hat die schwer havarierte Basilea bei der Rückkehr in den Hafen abgelichtet.

Die Reederei, die Enzian Ship Management, schreibt auf Anfrage von Radio SRF, Kapitän und Mannschaft hätten sich ordnungsgemäss verhalten.

19. Juni 2016: Feuer auf der "MV Sabina"

Ein Jahr nach dem Vorfall vor Bornholm lief die "MV Sabina" tatsächlich kurzzeitig auf Grund. Schuld war ein Brand im Maschinenraum, der den Frachter manövrierunfähig machte.

Der Frachter war vor der Küste Polens unterwegs, als die Hauptmaschine explodierte. Das sagt die SUST gegenüber Radio SRF. Die Crew konnte das Feuer alleine löschen. Menschliches Versagen schlössen sie aus, so die SUST.

Schiffsunglücke werden miteinander verglichen

Zu den genauen Unfallursachen lasse sich noch nichts sagen, heisst es von Seiten der SUST. Die drei Fälle würden aber mit Sicherheit verglichen, um allfällige Gemeinsamkeiten oder Zusammenhänge mit der Situation der Reederei abzuklären. Dies sei allgemein üblich bei einer Sicherheitsuntersuchung.

Für Schlussfolgerungen sei es noch zu früh. Die Schlussberichte der SUST zu den drei Schiffsunfällen sollen im kommenden Frühling veröffentlicht werden.  © swissinfo.ch

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