Der Zugang zur Blutspende ist für homo-, bi- und transsexuelle Männer noch immer erschwert: Nur, wenn sie ein Jahr lang keinen Geschlechtsverkehr mit einem anderen Mann hatten, kommen sie als Spender infrage. LGBTQ*-Verbände empfinden das als Diskriminierung und fordern Änderungen. Das Deutsche Rote Kreuz verteidigt sich.

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Wer in Deutschland Blut spenden möchte, der wird so einiges gefragt. "Wiegen Sie mindestens 50 Kilogramm?" oder "Hatten Sie in den letzten vier Monaten eine Akupunktur?", wollen Blutspendedienste beispielsweise wissen, bevor Blutbeutel und Nadeln überhaupt ins Spiel kommen. Wer manche der Fragen des Spenderbogens positiv beantwortet, für den ist nach dem Arztgespräch bereits Schluss: Bestimmte Gruppen sind für die Blutspende – jedenfalls für eine gewisse Dauer – ausgeschlossen.

Dazu zählen homo-, bi- und transsexuelle Männer, die innerhalb der letzten zwölf Monate Geschlechtsverkehr mit einem Mann gehabt haben. Nikita Baranov, Sprecher von "MetroPride", dem internen Netzwerk der "Metro"-Gruppe für LGBT+-Mitarbeiter_innen, empfindet das als diskriminierend. "Mein Lebensentwurf wird in eine Gruppe kategorisiert und ich werde gezwungen, ein Jahr lang keinen sexuellen Kontakt zu Männern zu haben, um zur Blutspende zugelassen zu werden", sagt er.

Ihn ärgert, dass keine näheren Fragen zum Sexualverhalten erfolgen, die das tatsächliche Risiko ergründen – etwa, ob man in einer monogamen Partnerschaft lebt oder wie man sich schützt. Für Baranov sind die aktuellen Regeln zur Blutspende daher eine "Stigmatisierung" seiner Identität.

Richtlinie wurde 2017 novelliert

Wie begründet die Medizin den Ausschluss? DRK und das "Bayerische Rote Kreuz"(BRK) weisen die Verantwortung von sich: "Wir setzen nur die gesetzlichen Regeln um", betont Pressesprecher Patric Nohe. Man arbeite auf Grundlage der "Richtlinie Hämotherapie", herausgegeben von Bundesärztekammer, Robert-Koch-Institut (RKI), Paul-Ehrlich-Institut und Bundesgesundheitsministerium.

2017 wurde sie novelliert, bis dahin waren Männer, die Sex mit Männern haben (MSM) generell von der Blutspende ausgeschlossen. Bei der Knochenmarkspende wurde der Ausschluss Homosexueller bereits 2014 ersatzlos gestrichen.

Die Bundesärztekammer schreibt: "Die epidemiologischen Daten zeigen, dass einige Verhaltensweisen mit einem hohen Risiko für den Erwerb von transfusionsrelevanten Erregern assoziiert sind". Zu diesen Verhaltensweisen zählt die Arbeitsgruppe neben dem Sexualverhalten von homo-, bi- und transsexuellen Männer auch Sexarbeiter oder Heterosexuelle mit häufig wechselnden Sexualpartnern.

Verhalten statt sexueller Orientierung

Jana Beccard teilt für die Bundesärztekammer mit: "Ausschliesslich ein individuelles Risikoverhalten ist für eine zeitlich begrenzte Rückstellung von der Blutspende ausschlaggebend und nicht, wie in einigen gesellschaftspolitischen Diskussionen thematisiert, die sexuelle Orientierung oder Identität einer Person."

Um Diskriminierung auszuschliessen, beschreibe die verwandte Formulierung "Männer, die Sexualverkehr mit Männern haben (MSM)" ein Verhalten – es werde bewusst offen gelassen, welche sexuelle Orientierung im individuellen Einzelfall bestehe. Für Baranov ist das jedoch eine "Diskriminierung durch die Hintertür".

Mehr als 66 Prozent der Neuinfektionen

Das RKI schätzt die Zahl der HIV-Neuinfektionen für das Jahr 2018 auf 2.400. Davon entfallen mit 1.600 Neuinfektionen mehr als 66 Prozent auf die Gruppe MSM. Nach Schätzungen der Forscher gehören aber weniger als vier Prozent der Männer zwischen 20 und 59 Jahren in Deutschland zu dieser Gruppe – ihr Risiko ist also überproportional.
"Für uns hat die Sicherheit der Blutpräparate allerhöchste Priorität. Dem ist alles unterzuordnen", sagt Nohe. Dass die Blutspende strengen Regularien unterliege, sei wichtig. Diskriminierung liege der Verbandsphilosophie fern. "Es werden auch Menschen mit einem frisch gestochenen Tattoo oder die vor kurzem eine Zahnreinigung hatten, temporär zurückgestellt", erinnert er.

Verbände fordern Änderungen

Albert Kehrer ist Vorstandsmitglied der Organisation "Prout at work", die sich für ein diskriminierungsfreies Umfeld am Arbeitsplatz einsetzt - unabhängig von der sexuellen Orientierung oder Geschlechtsidentität. Wie auch Baranov betont er: "Homo-, bi- und transsexuellen Menschen wird einfach ein promiskuitives Sexualleben unterstellt." Die Regelung sei nicht zeitgemäss, die individuellen Einzelfälle müssten betrachtet werden.

"Prout at work" fordert deshalb eine Novellierung der Richtlinien und hat gemeinsam mit in Deutschland tätigen Grossunternehmen ein Positionspapier herausgegeben. Angeschlossen haben sich etwa "Ikea", "Metro", "SAP", "Deutsche Bahn" und "Otto". Sie schreiben: "Die Annahmen, die sich in der Richtlinie Hämotherapie widerspiegeln und ihre Konsequenzen für homo- und bisexuelle Männer und transsexuelle Personen (MSM) entsprechen nicht unseren Massstäben für ein diskriminierungsfreies Umfeld."

Arbeitsrechtliche Bedenken

Kehrer dazu: "Neben der individuellen Diskriminierung haben wir auch arbeitsrechtliche Bedenken, denn häufig veranstalten Unternehmen Blutspendenaktionen für ihre Mitarbeiter." Arbeitgeber diskriminierten Homosexuelle mittelbar, wenn sie Blutspendetermine durch Dritte anbieten – wodurch die besagten Gruppen letztendlich ausgeschlossen würden.

"Wir wollen in keinem Fall die Sicherheit der Blutspende verringern, sondern spendebereiten Männern aus der Gruppe MSM die Blutspende ermöglichen", so Kehrer. Es gehe um einen Dienst an der Gesellschaft. "Prout at work" fordert eine Verkürzung der Rückstellungszeit, etwa nach kanadischem oder britischem Vorbild, wo die Rückstellung auf drei Monate reduziert wurde – ohne einen signifikanten Anstieg der HIV-positiven Blutspenden.

Dänemark und Frankreich planen eine Verkürzung auf vier Monate, Japan praktiziert eine Rückstellung von sechs Monaten. Der Gesundheitsausschuss des Bundestages lehnte erst am 15. Mai einen Antrag der FDP zur Überarbeitung der Richtlinien ab.

Ausland als Vorbild

"Denkbar wäre auch ein Ersatz der Rückstellung durch gezielte Befragung, in der man herausfindet, ob das individuelle Sexualverhalten tatsächlich ein höheres Übertragungsrisiko birgt", schlägt Kehrer vor. Vorbilder seien Italien oder Spanien – wo das konkrete Sexualverhalten massgeblich für die Spenderprüfung sei. "Dabei könnten auch Präventivmassnahmen abgefragt werden", so Kehrer. Der medikamentösen HIV-Präexpositionsprophylaxe, die zum Schutz vor HIV eingenommen wird, wird der seit Jahren stetige Rückgang der Neuinfektionen in der Gruppe MSM zugeschrieben.

Das DRK warnt jedoch in seinem Spender-Fragebogen: "Direkt nach der Ansteckung mit HIV oder Hepatitis kann ein Spender, ohne es zu wissen infiziert sein und durch sein Blut den Empfänger der Spende anstecken. Leider können Labortests eine Infektion zum Teil erst bis zu vier Monate nach der Ansteckung nachweisen."

"Fensterphase" bis zu vier Monate

Die Bundesärztekammer schliesst eine verkürzte Rückstellung aus. "Auch wenn jede Spende auf die wichtigsten Erreger und/oder Antikörper gegen HIV, Hepatitis-B-Virus und Hepatitis-C-Virus sowie auf Treponema pallidum getestet wird, kann eine frische Infektion in der sogenannten Fensterphase mit den heutigen Testsystemen nicht in jedem Fall erkannt werden."

Nohe betont: "Wir freuen uns über jeden Menschen mehr, der Blut spenden darf – wenn die Sicherheit gewährleistet ist." Führten wissenschaftliche Erkenntnisse dazu, dass es Lockerungen gäbe, begrüsse man dies. Denn der Blutspendedienst ist auf kontinuierliche Spender angewiesen: "Zu Beginn der Coronakrise hatten wir starke Einbrüche bei der Blutspende, dann folgte eine Welle der Solidarität. Jetzt steige aber wieder der Bedarf in den Kliniken und wir fliegen auf Sicht", so Nohe.

Verwendete Quellen:

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