Es geht um dröhnende Motoren und den Nervenkitzel: In den deutschen Grossstädten hat sich eine Szene um illegale Autorennen etabliert. Doch die Gefahr fährt mit: Immer wieder sorgen schwere Unfälle durch die Raser für Aufsehen. Auch Unbeteiligte kommen dabei ums Leben. Was steckt hinter diesem Phänomen? Und was kann man tun, um Todesopfer zu verhindern?
Ein Blick an der Ampel. Der Fuss spielt mit dem Gaspedal. Nur wenige Sekunden, dann geht es los: Ein Autorennen mitten in der Stadt. Die aufgemotzten Wagen erreichen dabei Geschwindigkeiten von bis zu 100 oder 150 km/h.
Zwar waren junge Männer von
In den vergangenen Jahren haben illegale Autorennen in Deutschland mehrere Todesopfer und Verletzte gefordert – darunter auch völlig unbeteiligte Verkehrsteilnehmer. Bei einem solchen Unfall im April 2015 starb eine 19-jährige Radfahrerin in Köln.
Die Fahrer wurden zunächst zu Bewährungsstrafen verurteilt, doch der Bundesgerichtshof hob das Urteil teilweise auf. Der Prozess wird Anfang 2018 neu verhandelt.
Die Raser sind radikalisierte Motor-Fans
Was treibt die Teilnehmer an solchen Rennen dazu, sich selbst und Unbeteiligte in Lebensgefahr zu bringen? Der Frankfurter Verkehrssoziologe Alfred Fuhr hat sich mit dem Phänomen und der Szene eingehend beschäftigt.
"Das sind vor allem junge Männer, die eine Begeisterung für Autotechnik teilen", meint Fuhr. Es seien nicht unbedingt "Prolls", sondern Menschen, die viel Ahnung von Mechatronik haben und darum wetteifern, aus ihrem Motor mehr Leistung herauszuholen.
Diese Leidenschaft haben sie mit vielen anderen aus der Tuning-Szene gemeinsam, die ihrem Auto eine "individuelle Note geben" wollen. "Aber irgendwann setzt eine gewisse Radikalisierung ein", erklärt der Verkehrssoziologe.
Die illegale Rennszene ist laut Fuhr ähnlich organisiert wie zum Beispiel die Wettmafia. Es ist viel Geld im Spiel, denn die getunten Autos haben nicht selten einen Wert von 30.000 bis 100.000 Euro.
"Bei solchen Rennen gewinnt der Schnellere das Fahrzeug des Langsameren", sagt Fuhr. Besonders prestigeträchtig sei es zum Beispiel, wenn ein aufgemotzter Opel gegen einen BMW gewinnt.
"Ich will sowieso nicht im Bett sterben"
Die Leidenschaft für die Technik und das Spiel um Gewinn und Verlust seien zwei sehr emotionale Motive, die dazu führen können, dass die Umgebung völlig vergessen wird. Die Szene sei ohnehin von Zynismus und Fatalismus geprägt. "Es herrsche die Haltung vor: 'ich will sowieso nicht im Bett sterben'", meint Fuhr. Das "Normale, Bürgerliche" wird abgelehnt.
Auch Internet-Videos von Rennen oder von Fahrern, die alleine unterwegs sind und halsbrecherische Geschwindigkeiten ausprobieren, kursieren in der Szene. Selbstdarstellung und Stolz spielen eine wichtige Rolle. Doch in dem Alter haben die jungen Männer noch wenig Fahrerfahrung. "Sie sind kaum in der Lage, die Fliehkräfte in der Kurve richtig einzuschätzen", meint Fuhr.
Dieses Problem sieht auch Rainer Fuchs von der Polizei Köln. Der Hauptkommissar leitet die Soko "Rennen". Die Projektgruppe wurde nach mehreren schweren Unfällen in Köln 2015 gegründet. "Damals haben wir gemerkt, dass das Phänomen doch grösser ist", sagt Fuchs. Auch komme die Polizei bei den Autorennen mit ihren normalen Mitteln nicht weiter.
Bei den Rennen kommt es zu extrem hohen Geschwindigkeiten: Erst vor kurzem hat Fuchs einen Fahrer erwischt, der mit 160 km/h bei erlaubten 70 km/h gefahren ist – also mehr als doppelt so viel wie die zulässige Höchstgeschwindigkeit.
Rasen gilt in Deutschland als Kavaliersdelikt
Die Soko habe versucht, das Problem mit verschiedenen Massnahmen zu lösen: Der Einsatz neuer Techniken bei der Geschwindigkeitsüberwachung oder das Anpassen der Verkehrsregeln auf besonders betroffenen Strecken.
Illegal getunte Fahrzeuge wurden nach Kontrollen aus dem Verkehr gezogen. Dass es in Köln seitdem keinen tödlichen Unfall mehr im Zusammenhang mit einem illegalen Rennen gab, wertet Fuchs als Erfolg des Projektes "Rennen".
Die Soko arbeitet eng mit der Stadt Köln zusammen, um Rasern auf die Spur zu kommen. "Dabei haben wir festgestellt, dass die Verkehrssicherheit in Köln immer noch sehr schlecht ist", betont Fuchs. Es werde viel zu oft zu schnell und zu riskant gefahren, das gelte nicht nur für Autorennen.
"Gegenseitige Rücksichtnahme findet viel zu selten statt", mahnt Kommissar Fuchs. "Je schneller ich fahre, desto schlimmer sind die Folgen." Anders als beispielsweise in der Schweiz wird zu schnelles Fahren in Deutschland relativ mild bestraft.
Was bringen schärfere Gesetze?
Die tödlichen Unfälle durch illegale Autorennen haben auch eine Diskussion über härtere Strafen hervorgerufen. Bisher waren Autorennen lediglich eine Ordnungswidrigkeit, die meist lediglich mit Bussgeldern sanktioniert werden konnten.
In diesem Sommer wurden die Gesetze verschärft, nun gelten Autorennen als Straftat. Veranstalter und Fahrer können jetzt mit Geldstrafen und bis zu zwei Jahren Haft bestraft werden. Kommen Menschen zu Schaden, drohen sogar bis zu zehn Jahre Haft. Auch der Führerschein und das Auto können einkassiert werden.
Das gilt zudem nicht nur für Autorennen, sondern generell für besonders rücksichtsloses Fahren.
Für den Kölner Kommissar Rainer Fuchs helfen die neuen Gesetze bei der polizeilichen Arbeit.
Als er noch vor wenigen Monaten ein illegales Rennen entdeckte, konnte er die überführten Raser nur ermahnen und allenfalls ein Bussgeld fordern. "Dabei wusste ich, dass die beiden Fahrer zehn Minuten später das nächste Rennen fahren können", sagt Fuchs.
Katz-und-Maus-Spiel mit der Polizei
Als nach Änderung der Gesetzeslage im November wieder ein Rennen entdeckt und zumindest ein Fahrer angehalten wurde, konnte dieses Mal der Führerschein sichergestellt und das Fahrzeug beschlagnahmt werden.
Zudem bekam der Raser eine Strafanzeige. "In meinen Augen hat das viel mehr Wirkung", findet Fuchs. "Wer so schnell durch die Innenstadt fährt und bewusst das Risiko in Kauf nimmt, sollte dafür bestraft werden."
Der Verkehrssoziologe Fuhr hat eine andere Meinung. Er gibt ein klares "Nein" auf die Frage, ob die schärferen Gesetze etwas gegen die illegale Renn-Szene ausrichten können.
"Die Fahrer gehen sowieso davon aus, dass sie nicht erwischt werden", meint Fuhr. "Der ‚Kick‘ kommt auch dadurch, dass man verfolgt wird, dass die Polizei der Gegner ist."
Die Szene schirme sich zudem stark ab. Nach Meinung von Fuhr muss die Polizei in die Szene eintauchen und Informanten für sich gewinnen. Nur so habe sie überhaupt die Chance, solche Rennen zu verhindern.
Ex-Raser Nico Klassen kämpft gegen illegale Autorennen
PS-Fan Nico Klassen findet die schärferen Gesetze zwar teilweise gut, glaubt aber nicht, dass sie helfen, schlimme Unfälle zu verhindern. Der 37-Jährige nahm früher selbst an illegalen Autorennen teil.
Die Leidenschaft für Autos und Langeweile haben ihn in die Szene gebracht. "Daraus hat sich dann eine richtige Sucht entwickelt", sagt er.
Die Lebensgefahr, die er dabei einging, war ihm zunächst nicht bewusst. Erst als er mit ansehen musste, wie ein Freund bei einem Unfall starb, brachte ihn das Erlebnis zum Umdenken.
Heute engagiert sich der ausgebildete KfZ-Mechaniker in der Präventionsarbeit gegen solche Rennen: "Ich will nicht mehr aufwachen und bei Facebook lesen, dass wieder jemand dabei gestorben ist."
Er geht dabei von seiner eigenen Erfahrung aus, dass die Adrenalinausschüttung, die die Teilnehmer bei solchen Rennen haben, zur Sucht werden kann. Deswegen sei es wichtig, die Rennen in ein "kontrollierbares Umfeld" zu bringen. Denn härtere Strafen kämen für die Opfer zu spät.
Mit seiner Firma EFR Germany organisiert er selbst legale Autorennen auf Flugplätzen, zu denen rund 5.000 Teilnehmer kommen. Die wichtigsten Sucht-Faktoren, Aufmerksamkeit und der Wettbewerb mit anderen Fahrern, können hier laut Klassen bedient werden.
"Vielleicht kann man damit nicht alle erreichen, aber wenn schon ein Teil aus der Szene abwandert, haben die illegalen Rennen weniger Aufmerksamkeit", glaubt Klassen.
In anderen Ländern wie den USA oder Abu Dhabi habe man so das Problem schon erfolgreich bekämpfen können.
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