Indien droht die Corona-Katastrophe: Die Infektionszahlen schiessen in die Höhe, die Krankenhäuser brechen unter der Last zusammen. Während reiche Bürgerinnen und Bürger einen Arzt bekommen, bleiben die Ärmsten im Land auf der Strecke. Jetzt soll ein zweiter Lockdown die Katastrophe verhindern. Kann das klappen?

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Die Fallzahlen sind erschreckend. In Indien infizieren sich aktuell jeden Tag über 20.000 Menschen, 500 Menschen sterben täglich an dem Virus. Das Gesundheitsministerium meldete am Sonntag die Höchstzahl von 28.637 Infizierten innerhalb der letzten 24 Stunden. Die Dunkelziffer ist laut Experten aufgrund mangelnder Tests und Armut in dem bevölkerungsreichen Land deutlich höher.

Doch wie kommt es zu dem massiven Anstieg? Bislang hatte Indien das Coronavirus – trotz der hohen Bevölkerungsdichte – gut im Griff. Nicht zuletzt, weil Indien von März bis Anfang Juni einen der strengsten Lockdowns weltweit hatte. Doch die Wirtschaft litt – und die Beschränkungen wurden nach und nach gelockert.

Masse der Inder kann von Schutzkleidung nur träumen

Das Hauptproblem in Indien ist die soziale Schere: Es gibt die Reichen, die sich medizinische Versorgung sowie Schutzkleidung leisten und Abstandsregeln einhalten können. Und es gibt die Menschen in Indien, die täglich mit weniger als zwei US-Dollar überleben müssen. Das ist die Masse der Einwohner Indiens. Von Schutzkleidung und Masken können sie nur träumen, das Geld reicht gerade so für Lebensmittel. Abstand halten und Hygieneregeln befolgen ist in den indischen Slums schwierig. Oft leben sieben Menschen auf zehn Quadratmetern in den Grossstädten. Ein Infektionsherd aus dem Bilderbuch.

Damit es nicht zur Katastrophe kommt, wenn sich zu viele Menschen auf zu engem Raum begegnen, reagiert die Regierung jetzt. Angesichts der steigenden Corona-Ansteckungszahlen hat Indien Ausgangssperren für fast 150 Millionen Menschen verhängt. Nach den Behörden der südindischen IT-Metropole Bangalore mit ihren 13 Millionen Einwohnern ordnete am Dienstag auch die Regierung des nordostindischen Bundesstaates Bihar eine Ausgangssperre für ihre rund 125 Millionen Einwohner an. Sie soll am heutigen Donnerstag beginnen und erstmal bis zum Monatsende dauern.

Der Bundesstaat Bihar verzeichnete am Dienstag einen neuen Höchststand an täglichen Neuinfektionen mit dem Coronavirus: 1.432 Ansteckungen wurden nachgewiesen. Es war der dritte Tag in Folge mit mehr als tausend Neuinfektionen in Bihar. Insgesamt wurden in Bihar knapp 19.000 Infektionen und 134 Corona-Tote registriert.

Indiens Regierung muss sich erst einen Überblick verschaffen

Wenige Stunden vor der Ankündigung aus Bihar hatten die Behörden in Bangalore eine siebentägige Ausgangssperre ab Dienstagabend um 20 Uhr verfügt. Der Verkehr in der südindischen Stadt soll, von Notfällen abgesehen, ausgesetzt werden. Nur Läden mit lebensnotwendigen Waren dürften geöffnet bleiben. Firmen in Bangalore, die den IT-Betrieb internationaler Konzerne sicherstellen, dürfen weiter arbeiten. Allerdings darf nur die Hälfte ihrer Mitarbeiter ins Büro kommen.

In den grossen Städten wie Delhi und Kalkutta wird auch wieder grossflächig getestet. Behördenmitarbeiter gehen von Haus zu Haus und versuchen so, einen Überblick über die Infektionen zu bekommen. Ausserdem werden die Strassen mit Desinfektionsmittel besprüht, ein letzter Versuch, das unsichtbare Virus einzudämmen.

Bihars Vize-Regierungschef Sushil Kumar Modi forderte die Bürger über Twitter auf, Mund und Nase mit "Masken, Taschentüchern oder Handtüchern" zu bedecken, da es "keine Medizin oder Impfung gegen Corona" gebe. Zumindest noch nicht.

Geplante Impfstofftests an Menschen

Laut tagesschau.de plant Indien jetzt, die ersten Impfstoffe an Menschen zu testen. In Zeitungen werden Freiwillige gesucht. Die Zeit drängt, denn angesichts der Infektionszahlen erreicht Indien bald die Millionen-Schwelle an Infektionen. Mittlerweile wurden nach offiziellen Angaben mehr als 900.000 Ansteckungen mit dem Coronavirus nachgewiesen, fast 24.000 Infizierte starben. Derzeit gibt es täglich etwa 500 Corona-Todesopfer. Nach Ansicht vieler Experten entsprechen die offiziellen Fallzahlen allerdings nicht der tatsächlichen Verbreitung des Virus in Indien, die viel stärker sei. Denn nicht jeder indische Bürger kann sich die Tests leisten.

Am stärksten betroffen sind die Hauptstadt Neu Delhi und die Millionenmetropole Mumbai. Aber auch die westindische Stadt Pune verhängte nach einer Rekordzahl von 1.333 Corona-Neuinfektionen am Montag erneut eine Ausgangssperre. Auch in den Bundesstaaten Uttar Pradesh, Tamil Nadu, Kerala und Assam wurden wegen der Pandemie neue Beschränkungen des öffentlichen Lebens verfügt - in der Hoffnung, so COVID-19 unter Kontrolle zu bekommen.

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