Sie werden vergewaltigt. Sie werden ermordet. Und das nur, weil sie weiblich sind. In weiten Teilen der indischen Gesellschaft werden Mädchen und Frauen als niedere Menschen diskriminiert. Eine der Folgen: eine hohe Anzahl von Fällen sexuellen Missbrauchs. Dabei gehören sowohl Touristinnen als auch vor allem sozial schwache Einheimische zu den Opfern. Reue zeigen die Täter meist nicht - selbst die Todesstrafe schreckt sie nicht ab.

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Sie will nur Gutes tun, und erlebt einen Alptraum. Als freiwillige Helferin einer Nichtregierungs-Organisation ist eine 18-jährige Deutsche in Indien unterwegs. Sie reist mit dem Zug von Mangalore nach Chennai - und wird während der Fahrt vergewaltigt. Nur vier Tage später fällt in Delhi eine Gruppe Männer über eine 51-jährige Dänin her. Sie hatte sich verlaufen und fragte die Männer nach dem Weg.

Es sind keine Einzelfälle. In Indien häufen sich Berichte über Vergewaltigungen. Selbst vor Kindern machen die Täter keinen Halt. Im April 2013 missbrauchen zwei Männer eine Fünfjährige 48 Stunden lang. Das kleine Mädchen stirbt nur wenige Tage später. Eine Siebenjährige wird vier Monate später auf einer Zugtoilette vergewaltigt. Eine 16-Jährige wird im Oktober gleich zweimal von einer Gruppe Männer missbraucht. Weil sie sich wehrt und zur Polizei geht, wird sie einen Tag vor Heiligabend von zwei Tätern angezündet - und stirbt.

Trotz zahlreicher Proteste aus sämtlichen Schichten des immer noch im Kastensystem gefangenen Landes lässt das Problem des schweren sexuellen Missbrauchs nicht nach. Rita Banerji, eine der bekanntesten Frauenaktivistinnen in Indien, kennt die Gründe. "Kriminelle [...] haben keine Angst", sagt sie der "Süddeutschen Zeitung". Die Probleme lägen unter anderem in den gesellschaftspolitischen Strukturen: "Mehr als 30 Prozent der Regierungsangestellten in Indien haben einen kriminellen Hintergrund, Vergewaltigung, Mord, Diebstahl. Wenn Kriminelle regieren, werden sie nicht das System aufräumen."

Kindestötungen innerhalb der Familie

Weitere, gravierende Ursachen für die hohe Anzahl an Vergewaltigungen sind tief in der Kulturgeschichte des Landes verwurzelt. In Indien sind Frauen schlicht weniger wert als Männer. Ein Beispiel, das auf "menschenrechte.eu" zu lesen ist, zeigt, wie teilweise innerhalb der Familie Mädchen als Neugeborene verachtet werden: Als im Dezember 2008 die kleine Karishma auf die Welt kam, brachte dies ihre Grossmutter zur Weissglut. "Ein Mädchen! Ich werde ihr Salz in den Mund tun, um sie zu töten!", soll sie gesagt haben.

Das gezielte Töten des weiblichen Geschlechts, der Femizid, ist ein grosses Problem in Indien: Föten werden abgetrieben, sobald zu erkennen ist, dass sie weiblich sind. Kleinkinder werden ermordet, weil sie als Mädchen auf die Welt kommen. Einige werden von der eigenen Familie umgebracht, damit die Angehörigen eine Mitgift bei einer Heirat umgehen.

Selbstverständlich sind diese Praktiken auch in Indien illegal, doch mithilfe von Komplizen ist es selten ein Problem, diese Gräueltaten umzusetzen. Im Interview mit "menschenrechte.eu" erklärt Banerji: "Die Tötung von Frauen in Indien [ist] letztlich ein Ausdruck der Macht des Patriarchates, weil das patriarchalische System es nicht wünscht, dass Frauen über Ressourcen und Wohlstand verfügen."

Anders als in westlichen Ländern gibt es in Indien mehr Männer als Frauen. Das Verhältnis liegt bei ungefähr 60 zu 40 Prozent. Banerji schätzt, dass es im zweitbevölkerungsreichsten Land ohne den Femizid 50 Millionen Frauen mehr gäbe.

Todesstrafen sind keine Lösung

Michael Gottlob, seit über zehn Jahren der Sprecher der Kogruppe Indien von Amnesty International, glaubt: "Das Ende der Gewalt mit ihren vielfältigen Ursachen ist nicht auf die Schnelle zu erwarten."

Auch die Verschärfung der Gesetze, die für Vergewaltigungen in manchen Fällen sogar die Todesstrafe vorsieht, schrecke die Täter nicht ab, erklärt der 63-Jährige im Interview mit diesem Portal. "Wie es die prominente Polizistin Kiran Bedi in einer der zahlreichen TV-Debatten formuliert: Nicht die Härte, sondern die Gewissheit der Strafe ist entscheidend", sagt Gottlob. Zudem seien sich die Vergewaltiger der Abscheulichkeit ihrer Tat oftmals nicht bewusst.

Insbesondere Dalitfrauen, die noch unterhalb der untersten Kaste Indiens stehen, werden sexuell missbraucht. "Ausländerinnen sind eher selten Opfer von Vergewaltigungen, aber ihre Fälle erregen natürlich weltweites mediales Aufsehen", sagt Gottlob.

Zwangsheirat mit dem Vergewaltiger

Seit Dezember 2012, als eine 23-jährige Inderin von sechs Männern vergewaltigt und ermordet wurde, werde beinahe täglich über neue oder auch ältere, bisher ignorierte Fälle berichtet. Viele Protestler tragen seitdem Buttons, auf denen "I respect women" steht. In der Gesellschaft findet ein Umdenken statt. "Viele Inder sind entsetzt über die berichteten Fälle. Besonders in der städtischen Mittelschicht, aus der die meisten Demonstranten kommen, gibt es den ehrlichen Willen, die Dinge zu ändern", betont Gottlob. "Die wachsende Zahl von gut ausgebildeten und auch ökonomisch unabhängigen Frauen gibt Anlass zu der Hoffnung, dass die Wirkung der öffentlichen Proteste und Debatten nachhaltig sein wird."

Der grosse Zuspruch aus sämtlichen Kasten der Gesellschaft führt dazu, dass mehr Frauen den Mut aufbringen, nach einer Vergewaltigung die Polizei aufzusuchen. Doch eine Anzeige birgt für sie auch immense Risiken. "Häufig werden die Frauen aufgefordert, den Vergewaltiger zu heiraten", berichtet Gottlob. "Falls sie sich weigern und auf Anklage bestehen, riskieren sie gesellschaftliche Ächtung."

Und auch da, wo sich Frauen am sichersten fühlen sollten - in den eigenen vier Wänden - sind sie oft machtlos. Denn in Indien ist es keine Straftat, wenn der Mann seine Ehefrau vergewaltigt.

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