Islamischer Staat und Boko Haram - beide fallen regelmässig durch ihre Gräueltaten auf. Doch wo ähneln sich die Gruppen und wo unterscheiden sie sich? Und welche Gefahr geht davon für den Westen aus?
Auf den ersten Blick scheint beide wenig zu trennen: Wann immer Boko Haram in Nigeria sein Unheil treibt oder der Islamische Staat (IS) im Nahen Osten marschiert, gibt es Blutvergiessen. Wer sich ihnen nicht unterwirft, den verschleppen sie oder töten ihn. Um ihre Ziele zu errichten, scheinen sie vor niemandem Halt zu machen.
Dabei wartete vor allem Boko Haram zuletzt mit grausamen Schlagzeilen auf: Nur Tage nach dem "Charlie Hebdo"-Attentat brannte die nigerianische Sekte die Stadt Baga nieder. Bis zu 2.000 Menschen könnten dabei gestorben sein, schätzen Hilfsorganisationen. Erst am Sonntag soll die Sekte wieder mehrere Dörfer im Nordwesten Kameruns überfallen und Dutzende Minderjährige entführt haben.
Angesichts der möglichen Überlappungen beider islamistischer Gruppen lohnt ein genauer Blick: Was haben Boko Haram und der Islamische Staat tatsächlich gemeinsam?
Gleiche Ziele - andere Grösse
Am deutlichsten sind die Gemeinsamkeiten bei den Zielen: Beide Organisationen beziehen sich bei ihren Taten auf die Religion, streben nach einem Gottesstaat und rufen das Kalifat mit Scharia-Recht aus. Doch die nigerianische Sekte ist weit von einem zweiten IS entfernt, weiss Robert Kappel vom Giga Institut für Nahost-Studien. "Erst wenn Boko Haram weitere Gebiete unter seine Kontrolle bringt, kann die Struktur für einen Gottesstaat entstehen", sagt der Wissenschaftler.
Es ist vor allem die Struktur, woran es Boko Haram fehlt. Denn anders als der IS kontrollieren die Nigerianer kein grösseres Areal mit eigener Verwaltung oder Scharia-Polizei. Ihre Gebiete sind umkämpft, immer wieder erobert die Armee Teile davon zurück, ehe Boko Haram abermals vorstösst. Die derzeitige Strategie beschreibt Kappel so: "Die Verwaltung zum Kollaps bringen, das Schulwesen paralysieren, die Polizei vertreiben und das Militär zurückdrängen."
Boko Haram arbeitet dafür vor allem mit Guerillataktik und kleinen Gruppen von 20 bis 30 Mann - nicht mit grossen Offensiven wie der IS. Forscher gehen insgesamt von mindestens 6.000 Kämpfern im Dienst der Nigerianer aus. Schätzungen zum IS sprechen dagegen meist von mehreren 10.000 Mann. Den Angriff auf die Stadt Baga sieht Kappel jedoch als ersten Versuch, sich dem Vorgehen des Islamischen Staats zu nähern. Denn: "Das grosse Vorbild ist der IS im Irak."
Islamischer Staat verdient mehr Geld
Dass sich dennoch beide stark unterscheiden, zeigt auch ein Blick auf die Finanzen: Boko Haram bezieht seine Einkünfte vor allem aus Entführungen und Erpressung. Am bekanntesten ist ein Vorfall aus dem Frühjahr 2014, als Gruppte rund 200 Mädchen verschleppte.
Auch für den IS sind Entführungen lukrative Einnahmequellen - gerade versuchen die Kämpfer 200 Millionen US-Dollar für zwei japanische Geiseln zu erpressen. Doch die Miliz hat ihre Wirtschaft deutlich professionalisiert: Sie exportiert Erdöl und verkauft Antiquitäten aus den geplünderten Städten. Das bringt Millionen pro Monat.
Diese Quellen fehlen Boko Haram. Die Sekte sei dennoch "nicht arm" und besässe dank ihrer Verbindungen in der Armee moderne Waffen, erklärt Kappel. Einkünfte habe sie auch in Form von erpresstem Schutzgeld und dank des Schmuggels von Waffen und anderen Produkten.
Wie gross ist die Gefahr für den Westen?
Der wohl deutlichste Unterschied aber ist, dass es sich bei Boko Haram um ein lokales Phänomen handelt. Zwar griffen die Islamisten ebenfalls bereits in Nachbarstaaten ein, wie die Überfälle in Kamerun vom Wochenende zeigen - und könnten das auch in Zukunft noch ausweiten. Doch im Gegensatz zum IS, der Grenzen auflösen will, waren solche Attacken bisher nicht die Regel.
Daraus entspringt auch, dass die Gefahr für den Westen geringer ist. Experten und Geheimdienste fürchten vor allem Rückkehrer, die sich in Syrien und dem Irak radikalisiert haben und nun auch in ihrer Heimat Anschläge verüben könnten. Dieses Risiko entfällt bei Boko Haram, das seine Kämpfer lokal rekrutiert. Auch richtete sich bisher noch keine Attacke der Gruppe gegen eine westliche Einrichtung. Zugleich bedeutet das auch: Es gilt vorerst als unwahrscheinlich, dass europäische Staaten oder die USA wie gegen den IS militärisch eingreifen.
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