Immer wieder ist die Rede davon, dass Menschen mehr für tierische Produkte zahlen wollen. Doch an der Ladenkasse sieht es dann oft anders aus. Eine neue Umfrage zeigt, dass offenbar viele Menschen tatsächlich dazu bereit wären. Welche Instrumente gäbe es, das Tierwohl zu fördern?

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Den Tieren soll es gutgehen, aber dafür mehr bezahlen? Das Thema Tierwohl ist ein heiss diskutiertes und beschäftigt nicht nur die Politik, sondern auch die Gesellschaft. Einer Umfrage zufolge würden 58 Prozent der Befragten gerne mehr für Fleisch bezahlen, wenn die Standards in der Tierhaltung nachweisbar hoch sind. Die ergab eine Umfrage von YouGov, über die der "Spiegel" berichtete. Die Aufschlüsselung nach Alter und Geschlecht zeigt jedoch erkennbare Unterschiede. So sind Frauen eher bereit, für Fleisch guter Qualität tiefer in die Tasche zu greifen. Männer sind dabei etwas zurückhaltender. Je jünger die Befragten sind, desto eher steigt die Zustimmung dazu, mehr für das Tierwohl tun zu wollen.

Dass eine solche Frage je nach sozialer Herkunft anders beantwortet wird, macht die Umfrage ebenfalls klar. Menschen mit monatlichen Einkommen von mehr als 3.000 Euro sind zu 67 Prozent dazu bereit, für ein höheres Tierwohl mehr zu zahlen. Bei Menschen mit weniger als 1.500 Euro sinkt die Zustimmung auf 49 Prozent. Diese Umfrage von YouGov ist nicht die einzige zu diesem Thema. Erst im Februar dieses Jahres kam eine Befragung der europäischen Verbraucherschutzorganisation BEUC in acht EU-Mitgliedstaaten, darunter Deutschland, zu einem ähnlichen Ergebnis, was eine mehrheitliche Zustimmung in der Gesamtbevölkerung angeht. Darüber berichtete damals die "Verbraucherzentrale Bundesverband".

Tierwohl: Verbraucher oftmals durch zu viele Siegel verunsichert

Gleichzeitig gibt es immer wieder auch Debatten um eine Lücke in der Praxis zwischen dem, was moralisch als richtig angesehen wird, und dem, was praktisch getan wird. Die Göttinger Agrarwissenschaftler Achim Spiller und Gesa Busch sprechen von der „Bürger-Konsumenten-Lücke“. Wie verlässlich ist also eine solche Umfrage? "Die zitierte Umfrage zeigt die Bürgerposition", sagt Spiller unserer Redaktion. Der grössere Teil der Menschen sei damit einverstanden, mehr zu zahlen, wenn dies für alle gelte. Nur wenn einzelne Gruppen höhere Preise zu bewältigen hätten, sinke die Zustimmung zu solchen Forderungen merklich. Dies werde dann als unfair empfunden, sagt der Experte. Es sei in solchen Umfragen der Wunsch erkennbar, dass die Standards in der Tierhaltung tierfreundlicher werden sollten. Den Menschen sei klar, dass das nicht ganz umsonst ginge, sagt der Agrarwissenschaftler.

Dies sieht auch Patrick Müller vom Bund für Umwelt- und Naturschutz Bund so. Die meisten Menschen wollten, dass Tiere besser gehalten werden. Doch oftmals verhindere ein ganz bestimmter Umstand, dass Menschen tiefer in die Tasche greifen und mehr bezahlen würden. "Das liegt vor allem daran, dass der Verbraucher maximal verwirrt ist, wenn er vor einem Regal steht. Auf allen unseren Lebensmitteln sind mittlerweile besondere Zertifikate drauf", sagt Müller. Niemand blicke dabei mehr wirklich durch. So gäbe es mittlerweile über 100 Siegel und Label, alle paar Monate komme ein Neues hinzu.

Bio Siegel
Viele Siegel führen auch zu grosser Unübersichtlichkeit. © IMAGO/APress/IMAGO

Biosiegel und Eierkennzeichnung sind positive Beispiele für Kennzeichnungen

Diese Situation führe nach Ansicht von Patrick Müller vom Bund dann zu einer kontraproduktiven Entwicklung. "Wenn Sie als Verbraucher die Labels nicht einordnen können, richten Sie sich nach dem Preis und dann nehmen Sie doch wieder das Billigste." Trotz vieler Labels, die das Ziel einer erhöhten Transparenz hätten, geschehe letztlich das Gegenteil des ursprünglich Gewollten. "Aber nicht, weil Sie kein Interesse an Tierschutz haben, sondern weil Sie die Labels nicht einordnen können", sagt Müller.

Dabei gibt es nach laut Bund durchaus gute Beispiele für Siegel, die auch mehr Transparenz schaffen und den Kunden Orientierung bieten. Hierzu zählen etwa nach Ansicht des Umweltverbandes das Biosiegel oder die Eierkennzeichnung. Gerade in der Geflügelhaltung liessen sich positive Ergebnisse feststellen. So habe sich der Anteil an Käfigeiern oder Volieren merklich verringert. Dies führe dann auch zu einer höheren Zahlungsbereitschaft. Wenngleich der Verbandsvertreter zu bedenken gibt, dass Bioprodukte nach wie vor nicht für alle Menschen erschwinglich seien.

Doch wie kann nun damit umgegangen werden, dass viele Menschen gern mehr zahlen würden, viele es dann trotzdem noch nicht tun und manche es gar nicht können? Der Bund fordert, dass Produkte möglichst transparent gekennzeichnet werden müssen. Kennzeichnungen müssten von staatlichen Stellen vergeben werden, einheitlich und verpflichtend sein. Auch reiche es nicht, nur bei Fleischprodukten über solche Kennzeichnungen zu sprechen. "Wir brauchen das für alle tierischen Produkte, nicht nur für Fleisch", sagt Patrick Müller.

Bereits vor einigen Jahren hat die sogenannte "Borchert-Kommission" [PDF] einen Leitfaden zu diesem Thema entwickelt. Das Expertengremium um den ehemaligen Bundesagrarminister Borchert hat im vergangenen Sommer seine Arbeit jedoch bis auf Weiteres eingestellt. Die Empfehlung der Kommission sah einen Aufschlag pro Kilo Fleisch von 40 Cent vor, von 15 Cent pro Kilo Käse oder Butter und zwei Cent pro Liter Milch. Dies ergäbe nach Ansicht der Expertenkommission finanzielle Mittel von 3,6 Milliarden Euro.

Experte: Sozialer Ausgleich bei Tierwohlabgabe notwendig

Zuletzt hatte Bundeslandwirtschaftsminister Cem Özdemir im Zuge der Bauernproteste einen „Tierwohlcent“ auf Fleisch und Fleischprodukte ins Gespräch gebracht, wie der MDR berichtete. Noch ist nicht klar, wie hoch diese Abgabe ausfallen könnte. Gegen die Form einer Steuer hatten aber bereits Vertreter von FDP und CDU Protest angemeldet.

Patrick Müller weist darauf hin, dass es letztlich unterschiedliche Instrumente gäbe, die zum selben Ziel führen könnten. So könnte das Geld über eine Verbrauchssteuer sowie eine andere Steuer oder Abgabe auf tierische Produkte umgesetzt werden. Es könne auch dadurch funktionieren, dass man die Mehrwertsteuer auf pflanzliche Produkte auf null senke und die auf tierische Produkte wieder auf den normalen Regelsatz von 19 Prozent anhebe. Das hätte, so Müller, dann auch für Menschen mit mehr Geld den Anreiz, weniger tierische Produkte zu kaufen.

Bei allen Instrumenten, die ein höheres Tierwohl zum Ziel hätten, müsse aber ein sozialer Ausgleich stattfinden, erklärt der Experte. "Menschen mit wenig Geld dürfen nicht in die Ernährungsarmut getrieben werden." Helfen könnten hier seiner Ansicht nach etwa ein höherer Mindestlohn sowie das Klima- oder Bürgergeld.

Von entscheidender Bedeutung sei bei all den Überlegungen aber letztlich vor allem, sagt der Göttinger Agrarwissenschaftler Achim Spiller, dass die landwirtschaftlichen Betriebe eine Sicherheit bekämen und das Geld dauerhaft bei ihnen ankommen müsse. Denn Ställe für Tiere würden in der Regel für eine Laufzeit von 25 Jahren gebaut.

Über die Gesprächspartner

  • Prof. Dr. Achim Spiller ist seit 2000 Professor für "Marketing für Lebensmittel und Agrarprodukte" am Department für Agrarökonomie und Rurale Entwicklung der Georg-August-Universität Göttingen.
  • Patrick Müller ist Referent für Agrarpolitik, Schwerpunkt Tierhaltung in der Abteilung Biodiversität/Team Landnutzung beim Bund für Umwelt und Naturschutz Deutschland e. V. (Bund)

Verwendete Quellen

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