Oft werden Islamverbände als "verlängerter Arm" von Regierungen in muslimisch geprägten Ländern kritisiert. Imame werden meist im Ausland ausgebildet und vertreten häufig ein konservatives Islambild. Eine neue Initiative will dem nun entgegentreten und Imame in Deutschland auf deutscher Sprache ausbilden. Sie sollen mit einem Islambild vertraut gemacht werden, das mit dem Grundgesetz vereinbar ist.
Die Mehrzahl der an Moscheen in Deutschland tätigen Imame wird derzeit aus dem Ausland entsandt. Die Bundesregierung und das Land Niedersachsen wollen dem entgegensteuern. Sie fördern mit dem neuen Islamkolleg in Osnabrück ein Projekt, das die Imamausbildung in Deutschland stärken soll.
Sie sollen Wissen über den Islam vermitteln, Gottesdienste leiten aber auch Gläubige in deren Lebensgestaltung beraten und Seelsorge betreiben. Doch vielen Imamen fehlt der Zugang zur Alltagsrealität und den Problemen der Gemeindemitglieder. Denn die meisten Imame werden im Ausland ausgebildet und von dort für eine begrenzte Zeit nach Deutschland entsandt.
Die Moscheenlandschaft in Deutschland ist uneinheitlich. Einige Gebetshäuser der bundesweit mehr als 2.000 muslimischen Gemeinden werden von unabhängigen Vereinen betrieben. Viele gehören einem der zahlreichen bundesweiten Islamverbände an. Der mit Abstand grösste Verband und Betreiber von Moscheen in Deutschland ist die Türkisch Islamische Union der Anstalt für Religion, kurz DITIB.
Verbände bilden ihre Imame selbst aus
Einige grössere Verbände haben bereits damit begonnen, das Personal für ihre Moscheen teilweise in Deutschland auszubilden. Der Verband der Islamischen Kulturzentren, Milli Görüs und DITIB führen entsprechende Ausbildungsprogramme durch. Dass diese jeweils von einem einzelnen Verband gestaltet werden, ist in manchen Fällen jedoch nicht unproblematisch.
Die DITIB ist vom türkischen Religionspräsidium Diyanet abhängig. Dem Verband wurde vielfach vorgeworfen, als verlängerter Arm der türkischen Regierung unter Präsident Recep Tayyip Erdogan in Deutschland Einfluss auszuüben. Milli Görüs wird wegen antidemokratischer Tendenzen vom Verfassungsschutz beobachtet.
In Osnabrück soll ab April das verbandübergreifende Islamkolleg Deutschland (IKD) mit der Ausbildung von Imamen beginnen. Die Initiatoren sind für eine Zusammenarbeit mit den Islamverbänden aufgeschlossen. Bislang findet das Projekt eher bei kleineren Organisationen wie dem Zentralrat der Muslime, dem Bündnis Malikitischer Gemeinden und der Islamischen Gemeinschaft der Bosniaken Zuspruch.
Imamausbildung komplett in deutscher Sprache
Das Alleinstellungsmerkmal des Islamkollegs ist laut dem Vorstandsvorsitzenden Esnaf Begić, dass der Unterricht ausschliesslich in deutscher Sprache erfolgen soll. Die bislang in Deutschland existierenden Programme würden zu grossen Teilen in den Sprachen des Ursprungslands der Verbände abgehalten.
"Somit sind allen anderen, die zum Beispiel des Türkischen nicht mächtig sind, die Zugänge zu diesen Ausbildungsangeboten verwehrt", so Begić im Gespräch mit unserer Redaktion. Ausserdem sollen die Imame dadurch die jüngere Generation besser erreichen, denn junge Muslime sprächen oft "Deutsch besser als ihre vermeintliche Muttersprache."
Das Seminar beinhaltet nicht nur theologische Inhalte. Es soll die Teilnehmer auf unterschiedliche Aspekte der Gemeindearbeit vorbereiten. So sollen Kompetenzen in der Seelsorge, Pädagogik, politscher Bildung und Sozialarbeit vermittelt werden. Pro Jahrgang sollen 20 bis 30 Interessenten aufgenommen werden.
Islamkolleg offen für Kooperation mit Verbänden
Laut Begić versteht sich das IKD nicht als Konkurrenz zu den verbandseigenen Angeboten, sondern als Ergänzung. Das Kolleg sei ausdrücklich offen für Kooperationen mit den existierenden Programmen der Islamverbände.
Das IKD wird vom Bund und vom Land Niedersachsen gefördert. Die entsprechenden Beantragungsprozesse seien noch nicht abschliessend durchlaufen, aber das Bundesinnenministerium plant, das Projekt mit einem Zuschuss von rund einer Million Euro im Jahr zu unterstützen. Das Niedersächsische Ministerium für Wissenschaft und Kultur will in den ersten fünf Jahren eine Anschubfinanzierung leisten. Vor allem gehe es dabei um die Schaffung einer Referentenstelle, teilte eine Sprecherin auf Anfrage mit.
Imame seien "als Vermittler und Multiplikatoren für die Integration und die Förderung des gesellschaftlichen Zusammenhalts von besonderer Bedeutung. Eine Vielzahl von Muslimen, die bereits in dritter oder vierter Generation in unserem Land leben, wollen und leben Integration", heisst es weiter vom Landesministerium.
Ahmad Mansour sieht Mängel bei der Umsetzung
Gerade was diese Integrationsaufgabe angeht, äussert sich der Extremismus-Experte Ahmad Mansour zwiegespalten zu dem Vorhaben: "Der Ansatz ist gut, in diese Richtung müssen wir gehen. Aber bei der Durchführung ist nicht alles bis zum Ende gedacht, sondern es bleibt bei einer gewissen Symbolaktivität", urteilt der Psychologe, der seit vielen Jahren im Bereich der Extremismusprävention arbeitet.
Der fehlende Schritt sei die Überlegung: "Wie können wir dieses wunderbare Vorhaben so umsetzen, dass das eigentliche Ziel erreicht wird, ein modernes, liberales, offenes, demokratisches Islamverständnis zu fördern, das vor allem Jugendlichen ermöglicht, deutsch, Demokrat mit Achtung vor dem Grundgesetz und gleichzeitig Moslem zu sein."
Problematisch sei, dass die Bundesregierung bei dem Projekt auf die Kooperation mit konservativen Islamverbänden setze. Dazu muss man den Hintergrund verstehen, dass die Verbände nicht etwa mit der katholischen oder evangelischen Kirche vergleichbar sind, sondern als private Initiativen gegründet wurden.
Mansour fordert "innermuslimische Debatte"
Die Mehrheit der Muslime in Deutschland identifiziert sich nicht mit einem Verband. Oft wird kritisiert, dass viele Verbände eine konservative Auslegung des Islam fördern, während ein Grossteil der Gläubigen ein liberaleres Verständnis von Religion hat.
Um Extremismus vorzubeugen, müsse eine innermuslimische Debatte über problematische Islamverständnisse, die im Widerspruch zu Werten wie Gleichberechtigung und Meinungsfreiheit stünden, angeregt werden, fordert Mansour. Viele Verbände seien zu dieser inhaltlichen Auseinandersetzung nicht bereit.
Dagegen gäbe es bereits Initiativen, Moscheen und muslimische Wissenschaftler, die sich für ein Islamverständnis einsetzten, das im Einklang mit der freiheitlich-demokratischen Grundordnung steht. Diese würden von der Regierung bislang zu wenig berücksichtigt.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Dr. Esnaf Begić, Vorstandsvorsitzender des Islamkolleg Deutschland e. V.
- Gespräch mit Ahmad Mansour, Gründer von "MIND prevention" (Mansour-Initiative für Demokratieförderung und Extremismusprävention) und Autor mehrerer Bücher zum Thema Extremismus und Rassismus
- Stellungnahme des Niedersächsischen Ministeriums für Wissenschaft und Kultur auf Anfrage unserer Redaktion
- Deutscher Bundestag: Sachstand Moscheen in Deutschland Aktenzeichen WD 10 - 3000 - 083/19
- Konrad-Adenauer-Stiftung: Muslimische Verbände in Deutschland – Ein Überblick
- Deutschlandfunk: DITIB – Ankaras Einfluss auf den deutschen Moscheeverband
- Pressemitteilung Islamkolleg
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