- Der belarussische Aktivist Witaly Schischow ist erhängt in der ukrainischen Hauptstadt Kiew aufgefunden worden.
- Die Polizei ermittelt wegen Mordes, Regimekritiker glauben, dass der belarussische Geheimdienst KGB hinter dem Tod Schischows steckt.
- Gegner des belarussischen Diktators Alexander Lukaschenko berichteten unserer Redaktion auch von Drohungen und Einschüchterungsversuchen in Deutschland.
Die belarussische Diaspora in Kiew ist in heller Aufregung. Einen Tag nach seinem plötzlichen Verschwinden ist der belarussische Aktivist Witaly Schischow tot aufgefunden worden. Schischow wollte nur joggen gehen, am frühen Dienstagmorgen wurde seine Leiche entdeckt – erhängt an einem Baum in einem Park in der Nähe seiner Wohnung. Sein Handy lag neben ihm.
"Die Polizei hat ein Strafverfahren gemäss Artikel 115 des Strafgesetzbuches der Ukraine (vorsätzlicher Mord) eingeleitet und wird alle Versionen überprüfen, einschliesslich der Version eines als Selbstmord getarnten Mordes", teilte die Kiewer Polizei in einer Pressemitteilung mit.
Der Verdacht, der sich vielen sofort aufdrängt: Der belarussische Geheimdienst KGB steckt hinter dem Tod Schischows, der zu den bekanntesten und in der Öffentlichkeit sichtbarsten Belarus-Aktivisten in Kiew zählt. Zudem soll er an Recherchen zur Enthüllung von Aktivitäten belarussischer Spezialkräfte in der Ukraine beteiligt gewesen sein.
Schischow hatte geflüchteten Belarussinnen und Belarussen in der Ukraine geholfen. Er leitete die von ihm mitgegründete Organisation "Belarussisches Haus in der Ukraine". Diese erklärte am Dienstag auf ihrem Telegram-Kanal: "Es besteht kein Zweifel, dass es sich um eine geplante Liquidierung des KGB handelt."
Das belarussische Menschenrechtszentrum Wjasna erklärte unter Berufung auf Freunde Schischows, der Aktivist sei kürzlich beim Joggen von "Fremden" verfolgt worden. Die ukrainische Polizei sei darüber informiert worden, berichten sowohl der belarussische Journalist Tadeusz Giczan als auch das "Belarussische Haus in der Ukraine".
Lukaschenko-Kritikerin in Deutschland: "Ich fühle mich hier nicht sicher"
Wegen der anhaltenden Repressionen in Belarus sind Dutzende Menschenrechtler, Journalistinnen, Regimekritiker und Oppositionelle sowie ihre Familien nach Kiew geflohen. Der seit fast drei Jahrzehnten regierende belarussische Diktator Alexander Lukaschenko war vor einem Jahr nach massiver Wahlfälschung zum Sieger der Präsidentschaftswahl erklärt worden. Dies löste in Belarus historische Massenproteste aus, die von den Sicherheitskräften brutal niedergeschlagen wurden.
Zehntausende Menschen wurden in den vergangenen zwölf Monaten verhaftet, Menschenrechtler zählen derzeit mehr als 600 politische Gefangene in dem EU-Nachbarland. Die nahe gelegene ukrainische Hauptstadt ist deshalb neben Vilnius und Warschau zu einem der vermeintlich sicheren Zufluchtsorte für Hunderte, wenn nicht gar Tausende Menschen aus Belarus geworden.
Schischow selbst hatte aktiv an dem Protest in der südbelarussischen Stadt Gomel teilgenommen – so wie Oksana Lichodiewsakaja. Die belarussische Polizei verhaftete die zweifache Mutter mehrmals, liess sie aber nach Strafzahlungen wieder frei. Als die Behörden drohten, ihr die Vormundschaft für ihre Kinder zu entziehen und sie schliesslich auch ihren Job verlor, floh die 36-Jährige im Dezember erst nach Polen, später nach Deutschland.
"Ich fühle mich hier nicht sicher", sagte Lichodiewsakaja unserer Redaktion bereits vor dem Tod von Schischow. "Überall gibt es Spitzel", bemerkte sie mit Blick auf Lukaschenko-Getreue im Ausland. Der Redaktion ist zudem ein weiterer Fall bekannt: Ein äussert exponierter Vertreter der belarussischen Diaspora in Deutschland und vehementer Kritiker des Regimes wurde am Telefon bedroht. Der Anrufer kannte neben der aktuellen auch seine alte, fast niemandem bekannte Adresse.
Parallelen zu anderen Todesfällen
Dass Lukaschenko-Kritiker auch ausserhalb von Belarus nicht sicher sind, zeigte etwa das Attentat auf den russisch-belarussischen Journalisten Pawel Scheremet. Der 44-Jährige wurde im Juli 2016 von einer Autobombe getötet, in der Nähe seiner Wohnung in Kiew. Der Mordfall ist bis heute unaufgeklärt. Anfang des Jahres tauchte jedoch ein Tonbandmitschnitt aus dem Jahr 2012 auf.
Darauf sollen laut eines "Taz"-Berichts Mitglieder einer KGB-Antiterroreinheit zu hören sein, wie sie die Beseitigung von insgesamt vier Lukaschenko-Kritikern besprechen. Von den vier Oppositionellen leben drei im Exil in Deutschland – der vierte war Scheremet.
Und es gibt eine weitere Auffälligkeit beim Fall von Schischow: Der belarussische Regierungskritiker und Journalist Oleg Bebenin kam im September 2010 unter zweifelhaften Umständen zu Tode. Er wurde damals – wie Schischow – erhängt in seinem Landhaus nahe Minsk aufgefunden. Die belarussischen Ermittler gingen in erster Linie einem Selbstmordverdacht nach.
Freunde und Bekannte Bebenins zweifelten diese Möglichkeit jedoch an. Es wurde kein Abschiedsbrief gefunden und die letzten SMS-Nachrichten zeigten, dass Bebenin einen Kinobesuch plante. Schischows toter Körper soll einem Augenzeugen zufolge eine gebrochene Nase aufweisen. Das spricht gegen einen Selbstmord.
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