Am Montag ist Gedenktag für die Opfer des SED-Regimes. Bis heute leiden Menschen an den Folgen der DDR-Diktatur. Die Bundesrepublik hat sie bislang mit mehr als 2,5 Milliarden Euro entschädigt. Doch nicht alle Betroffenen würden berücksichtigt, kritisieren Interessenvertreter.
Mehr als 200.000 Menschen waren in der DDR aus politischen Gründen inhaftiert, andere kamen auf Geheiss des SED-Regimes (Sozialistische Einheitspartei Deutschlands) in die Psychiatrie oder ins Heim. Kinder wurden ihren Eltern weggenommen und zur Adoption freigegeben.
Auch wenn der Staat das Leid aus 41 Jahren Diktatur damit nicht aufwiegen kann: Betroffene können bis heute Entschädigungszahlungen beantragen. Fragen und Antworten im Überblick.
Wer hat Anspruch auf Rehabilitierung und Entschädigungszahlungen?
Opfer von SED-Unrecht haben einen gesetzlichen Anspruch auf Rehabilitierung und Entschädigung. Geregelt ist dies in den SED-Unrechtsbereinigungsgesetzen.
Diese richten sich unter anderem an Menschen, die in der DDR aus politischen Gründen in Haft sassen. Aber auch an diejenigen, in deren Berufsleben oder Ausbildungsweg die Partei eingegriffen hat.
Betroffene, die aus politischen Gründen in psychiatrische Anstalten oder Kinder- und Jugendheime gesteckt worden sind, können ebenfalls Entschädigung beantragen.
Wie hoch sind die Entschädigungsleistungen?
Die Summen fallen unterschiedlich hoch aus. Ehemaligen Haftopfern, die rechtsstaatswidrig eingesperrt waren, stehen zum Beispiel 306,78 Euro für jeden angefangenen Kalendermonat im Gefängnis zu. Und Menschen, die mindestens 180 Tage im Gefängnis waren, können monatlich bis zu 300 Euro Opferrente bekommen, falls sie sich in einer schwierigen wirtschaftlichen Lage befinden.
Es geht aber unter anderem auch um die Rückzahlung von eingezogenen Vermögenswerten oder bezahlten Geldstrafen sowie um Ausgleichsleistungen für Nachteile, die Menschen durch den Freiheitsentzug entstanden sind.
Welche Unterstützung gibt es darüber hinaus?
In Berlin können Menschen, die bestimmte Leistungen nach dem SED-Unrechtsbereinigungsgesetz erhalten, seit Februar 2018 den berlinpass beantragen. Damit bekommen sie ein vergünstigtes Ticket für den Öffentlichen Nahverkehr sowie Preisnachlässe in diversen kulturellen Einrichtungen.
Deutsche, die durch die Sowjetunion zu Unrecht verurteilt wurden, können die Urteile von russischen Behörden aufheben und sich rehabilitieren lassen. Hierum kümmert sich in Deutschland die Dokumentationsstelle Sächsische Gedenkstätten.
In einer mehr als 140-seitigen Broschüre hat die Stiftung Aufarbeitung, die sich mit Ursachen, Geschichten und Folgen der Diktatur in der Sowjetischen Besatzungszone und der DDR beschäftigt, Beratungsangebote für Opfer politischer Verfolgung zusammengestellt.
Dieses Jahr endet die Frist für Antragsteller. Was plant die Bundesregierung?
Die entsprechenden Gesetze werden entfristet, so dass Opfer auch über 2019 hinaus Anträge stellen können. Das hat das Bundesjustizministerium Mitte Mai mitgeteilt.
Zudem will es ehemaligen DDR-Heimkindern erleichtern, ihre Ansprüche durchzusetzen: "Dort, wo es schwierig ist, die Gründe für eine Heimeinweisung darzulegen, werden die Gerichte künftig leichter feststellen können, dass Antragsteller als Kinder selbst politisch verfolgt wurden", teilte Justizministerin
Zusätzlich dürfen in Zukunft erstmals auch Heimkinder, die nur indirekt – über ihre Eltern – von politischer Verfolgung betroffen waren, Entschädigungen beantragen.
Wie bewerten Opfervertreter die aktuellen Entwicklungen?
Opfervertreter begrüssen natürlich die Entfristung. Sie greift ihnen allerdings zu kurz. Es sei bedauerlich, dass die Politik diese Gelegenheit nicht genutzt habe, um "nachhaltige Verbesserungen" vorzunehmen, wird etwa Anna Kaminsky, Geschäftsführerin der Stiftung Aufarbeitung, in einer Pressemitteilung zitiert.
Kaminsky verweist auf Empfehlungen des Bundesrates aus dem Oktober und fordert: "Ein umfassender Gesetzesentwurf, der die bekannten Defizite behebt, sollte ausgearbeitet werden."
Welche Defizite sind gemeint?
Der Bundesrat fordert unter anderem, dass auch Schüler, die kein Abitur machen durften und denen somit berufliche Chancen verwehrt blieben, Anspruch auf Entschädigung bekommen.
Genau wie sogenannte Zersetzungsopfer: Menschen, die zwar nicht inhaftiert waren, denen aber "mit Psychoterror der Boden unter den Füssen weggezogen wurde", wie Nancy Aris, Stellvertretende Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen, im Gespräch mit unserer Redaktion beschreibt. "Das waren Menschen, in deren Leben plötzlich nichts mehr funktioniert hat. Die völlig verunsichert waren. Die aber nicht durchschauen konnten, dass die SED dahintersteckt".
Dem Bundesrat geht es zudem unter anderem um einen Inflationsausgleich bei den Leistungen. "Es ist nicht nachvollziehbar, dass die vom Bundesrat vorgebrachten Punkte vollständig ignoriert worden sind", kritisiert auch Nancy Aris.
Wie viel Geld haben SED-Opfer bislang bekommen?
Das Justizministerium nennt eine Gesamtsumme von gut 2,5 Milliarden Euro, die Bund und Länder bis einschliesslich 2018 gezahlt haben. Darin seien jedoch nicht alle Ausgleichsleistungen enthalten.
Die Stiftung Aufarbeitung führt lediglich Statistik über die bundesweiten Anträge. "Diese lässt jedoch keine Aussagen darüber zu, wie viele, wann und in welcher Höhe bewilligt wurden", betont Sprecher Tilman Günther.
In den Jahren 1990 bis 1992, also direkt nach der Wende, gingen demnach insgesamt knapp 68.000 Anträge ein – schon ein Jahr später waren es mehr als die Hälfte weniger: 30.045. In den beiden Folgejahren sank die Zahl der Anträge jeweils um rund ein Drittel.
2016 und 2017 waren es noch knapp 2.000. Insgesamt geht die Stiftung bis 2017 von 218.627 Anträgen aus. Durch die Streichung der Frist rechnet das Bundesjustizministerium nach Schätzungen nun bis einschliesslich 2024 mit weiteren Kosten in Höhe von 19,6 Millionen Euro für den Bund sowie knapp 7,9 Millionen Euro für die Länder.
Warum ist die Entschädigung auch 30 Jahre nach der Wende noch so wichtig?
Es gehe bei diesem Thema nicht nur um den finanziellen Aspekt, betont Nancy Aris. "Sondern darum, dass begangenes Unrecht weiterhin als solches anerkannt wird." Es sei wichtig, dass eine staatliche Instanz auch weiterhin bestätige: "Ja, dir ist politisches Unrecht widerfahren."
Eine Einschätzung, die Bettina Kielhorn teilt. Sie arbeitet in der Beratungsstelle "Gegenwind" für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur in Berlin. "Wir sind voll", sagt sie. Noch immer suchten jährlich zwischen 1.000 und 1.200 Menschen Unterstützung, in Jubiläumsjahren wie in diesem seien es teilweise fast doppelt so viele.
Betroffene litten nach wie vor an Folgestörungen der Diktatur, darunter Depressionen, Ängste, Süchte oder psychosomatische Erkrankungen. Viele seien nicht arbeits-, nicht beziehungsfähig. Kielhorn betont: "Die DDR ist zwar seit 30 Jahren Vergangenheit, aber das Trauma der Menschen ist aktuell."
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Nancy Aris, Stellvertretende Landesbeauftragte zur Aufarbeitung der SED-Diktatur in Sachsen
- Gespräch mit Bettina Kielhorn, Beratungsstelle "Gegenwind" für politisch Traumatisierte der SED-Diktatur in Berlin-Moabit
- Pressestelle des Bundesjustizministeriums
- Justizministerin Katarina Barley zur Streichung der Antragsfristen in den Rehabilitierungsgesetzen
- Bundesjustizministerium: Sechstes Gesetz zur Verbesserung rehabilitierungs-rechtlicher Vorschriften für Opfer der politischen Verfolgung in der ehemaligen DDR
- Webseite der Bundesstiftung Aufarbeitung: www.bundesstiftung-aufarbeitung.de
- Bundesrat: Entschliessung des Bundesrates zur Verbesserung der sozialen Lage anerkannter politisch Verfolgter durch Novellierung der SED-Unrechtsbereinigungsgesetze
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