Noch bevor die Dokumentation "Leaving Neverland" im US-Fernsehen zu sehen war, war sie umstritten: James Safechuck und Wade Robson erzählen, wie Michael Jackson sie als Kinder über Jahre hinweg sexuell missbraucht haben soll. Der Regisseur der Doku musste bereits einen Fehler einräumen, parallel zur Ausstrahlung sind Demonstrationen von Jacko-Fans geplant.

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Zehn Jahre ist Michael Jackson bereits tot. Nun löst eine neue Dokumentation erneut Kontroversen aus: Hat er kleine Jungs auf seiner Neverland-Ranch über Jahre hinweg sexuell missbraucht? Der Künstler stand bereits zwischen 1993 und 2005 unter Missbrauchsverdacht und wurde in einem Aufsehen erregenden Prozess im Jahr 2005 freigesprochen.

Auch die Michael-Jackson-Fans in München glauben weiterhin an seine Unschuld: "Innocent" steht dort auf seinem Denkmal vor dem Bayerischen Hof, "unschuldig".

Denn für viele Jackson-Fans ist die Sache klar: Die Missbrauchsvorwürfe gegen ihr Idol, die in der Dokumentation "Leaving Neverland" erhoben werden, sind aus ihrer Sicht nichts als Lügen.

Am Samstag, 6. April, zeigt ProSieben den umstrittenen Film nun im deutschen Fernsehen. Die vierstündige Dokumentation des britischen Regisseurs Dan Reed läuft von 20:15 bis 00:20 Uhr.

Gleichzeitig planen Jackson-Fans eine Demonstrationen vor der ProSieben-Zentrale in Unterföhring bei München, um auf "Verleumdungen und Falschaussagen" aufmerksam zu machen.

Regisseur Reed hatte in dieser Woche eingeräumt, dass ein Detail nicht so sein kann, wie einer seiner Protagonisten im Film erzählt. James Safechuck (heute 41) gibt in der Dokumentation an, von 1988 bis 1992 von Jackson missbraucht worden zu sein - unter anderem in einem Raum des "Neverland"-Bahnhofes. Der wurde aber erst 1993 gebaut, wie ein Jackson-Biograf in den offiziellen Unterlagen der Baugenehmigung herausgefunden hat.

"Leaving Neverland"-Doku über Michael Jackson: Verstörende Details werden genannt

Safechuck und Wade Robson (36) erzählen in "Leaving Neverland" schockierend offen in schwer zu ertragenen Details, wie der Sänger sie als Kinder missbraucht haben soll.

"Ich konnte entweder ihn anschauen, wie er masturbierte - oder Peter Pan", sagt Robson in der Dokumentation. Angefangen habe der Missbrauch, als er erst sieben Jahre alt war.

"In Paris zeigte er mir, wie man masturbiert. Damit fing es an", sagt Safechuck. Und dass Jackson sich überall auf seiner berühmten Neverland-Ranch an ihm vergangen haben soll.

"Es klingt krank, aber es war wie in einer frischen Beziehung", sagt er. "Ich war richtig verliebt in ihn." Seine Hände zittern, wenn er erzählt, wie Jackson ihm Schmuck für sexuelle Gefälligkeiten geschenkt haben soll. Der Musiker inszenierte es als Hochzeitszeremonie und schwor dem Jungen ewige Treue.

Beide Männer berichten von Eifersucht, weil sie dann irgendwann, als sie zu alt waren, gegen jüngere Kinder "ausgetauscht" worden seien. Robsons Mutter spricht von einem "Muster": "Alle zwölf Monate hatte er einen neuen Jungen an seiner Seite." Die Mütter der beiden Männer kommen in der Dokumentation ebenfalls ausführlich zu Wort.

Der Regisseur befasst sich mit der Frage, die sich wohl viele Menschen stellen, die "Leaving Neverland" gesehen haben: Warum haben zwei Mütter ihre Kinder mit Michael Jackson in einem Bett schlafen lassen?

"Über 'Leaving Neverland' spricht die Welt", sagt ProSieben-Chefredakteur Stefan Vaupel über die Doku. "Kindesmissbrauch ist eins der grössten gesellschaftlichen Tabu-Themen unserer Zeit. Kirche, Künstler und andere haben sich in den vergangenen Jahren immer wieder das Schweigen ihrer Opfer erkauft. Deshalb zeigen wir 'Leaving Neverland'."

Die Dokumentation am Samstagabend wird ausserdem von einer eigenen ProSieben-Sendung begleitet, in der Opfer, Wegbegleiter, Fans, Freunde und Kritiker Jacksons zu Wort kommen sollen. Sie wird direkt vor "Leaving Neverland" ausgestrahlt und ist ab 19:05 Uhr zu sehen.

Michael-Jackson-Denkmal: "Mir fehlen die Worte"

"Mir fehlen die Worte", sagt die Frau, die sich seit Jahren hingebungsvoll um das Münchner Jackson-Denkmal kümmert, ihren Namen aber nicht mehr in den Medien lesen will. Eigentlich will sie gar nichts mehr dazu sagen - und spricht dann doch fast eine halbe Stunde ohne Pause. So wütend ist sie. Sie ist Vorsitzende eines Vereins, der sich "MJ's Legacy" nennt und sich für Michael Jacksons Erbe zuständig fühlt.

Sie spricht von einer "Lynchjustiz der Medien". Wohin, so fragt sie, kommen wir denn, wenn über Schuld und Unschuld nicht mehr in Gerichtssälen geurteilt wird, sondern in Dokumentationen? Die Justiz, so betont sie, habe Jackson freigesprochen.

In Fan-Foren im Internet werden die Protagonisten des Films teils wüst beschimpft. Jacksons Unschuld ist dort keine Vermutung, sondern Gewissheit. In Köln demonstrierten Fans am vergangenen Wochenende gegen die Ausstrahlung der Dokumentation.

Ein solches Verhalten sei ganz typisch, sagt der Würzburger Professor Harald Lange, Gründer des Instituts für Fankultur. "Fans beurteilen ihr Idol, ihren Star, ihre Mannschaft nicht rational, sondern aus einer emotionalen Perspektive heraus." Eine rationale Einschätzung könne man nicht erwarten. "Fans haben eine rosarote Brille auf - ähnlich wie in der Liebe."

Das liege auch daran, dass Fans sich derart mit ihrem Idol identifizieren, dass sie - sollten sie den Star in Zweifel ziehen - das auch mit sich selbst tun müssten, erläutert Lange. "Das ist nicht auszuhalten für echte Fans." Für den Wissenschaftler ist es nur eine Frage der Zeit, bis im Fall Jackson globale Verschwörungstheorien die Runde machen werden.

Wie soll man mit dem Werk des "King of Pop" umgehen?

Die Vorsitzende von "MJ's Legacy" vermutet den ebenfalls wegen Missbrauchsvorwürfen in die Schlagzeilen geratenen Filmproduzenten Harvey Weinstein dahinter, dass die Vorwürfe gegen Jackson ein so grosses mediales Echo erhalten. "Der hat ja grossen Einfluss - und über den redet jetzt niemand mehr."

Der Fall Jackson hat auch die Frage aufgeworfen, wie nach den neuen Vorwürfen umzugehen ist mit dem Werk des wahrscheinlich grössten Popstars aller Zeiten. Der Intendant der Bundeskunsthalle in Bonn, Rein Wolfs, verteidigt die Ausstellung "Michael Jackson: On the Wall", die dort gerade erst eröffnet worden ist. "Gerade jetzt nach dem Bekanntwerden neuer Missbrauchsvorwürfe ist es wichtig, sich mit dem King of Pop auseinanderzusetzen", sagt er.

Und auch die Macher des Jackson-Musicals "Beat it!" sehen keinen Grund für Konsequenzen. "Unsere Show ist ein eigenständiges Produkt, das sich wertungsfrei auf die Musik von Michael Jackson und die Kunstfigur 'Michael Jackson' konzentriert", sagt ein Sprecher. "Im Mittelpunkt steht neben der Musik der Musiker, nicht die private Person."

In München steht die Zukunft des Jackson-Denkmals nach Angaben der Regierung von Oberbayern nicht infrage. Die Regierung duldet es, dass der Fanverein das Orlando-di-Lasso-Denkmal zu einer Jackson-Pilgerstätte umfunktioniert hat. "Die Missbrauchsvorwürfe sind nach unserer Kenntnis nicht bestätigt", sagte ein Sprecher auf Anfrage Mitte März. "Wir sehen deshalb derzeit keine Veranlassung, die Duldung zu widerrufen."

(mit Material von dpa)

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