Es ist ein Wettlauf gegen die Zeit, aber die vielen Helfer geben nicht auf, um den vermissten Arian in Niedersachsen zu finden. Die Suche nach ihm ist auch in der fünften Nacht ohne Erfolg geblieben. Mit einer sogenannten leisen Strategie waren 200 Soldaten bis morgens im Einsatz. Am Samstag wurde die Suche fortgesetzt.
Trotz einer neuen Suchtaktik ist der sechs Jahre alte Arian aus Elm in Bremervörde auch in der fünften Nacht vermisst geblieben. "Leider hat uns die Nacht nicht weitergebracht", sagte ein Sprecher der Polizei am Samstagmorgen. Es habe keine neuen Spuren gegeben.
Polizei hoffte durch Feuerwerk auf Rückmeldung von Arian
Mit einer sogenannten leisen Strategie suchten rund 200 Soldaten der Bundeswehr in kleinen Gruppen und mit Nachtsichtgeräten in der Nacht zum Samstag nach dem Jungen. Eine Polizeisprecherin hatte am Freitagabend erklärt, die neue Taktik sei unter anderem auch mit einer Expertin für Autismus besprochen worden.
Nach Angaben der Polizei ist Arian Autist und reagiert nicht auf Ansprachen. Zuvor wurde unter anderem Musik gespielt und Feuerwerk abgebrannt, da der Junge dies möge. Die Polizei hoffte, damit eine Spur zu dem Sechsjährigen aus dem nördlichen Niedersachsen zu bekommen, der seit Montagabend vermisst wird.
Bei Suche nach Arian sollen Aufnahmen der Mutter helfen
Nach Musik und Feuerwerk sollen nun Botschaften von Arians Mutter abgespielt werden. Darin erlaubt sie ihm, sich an Einsatzkräfte zu wenden, wie die Ergotherapeutin Jutta Bertholdt am Samstag der dpa berichtete. Bertholdt berät die Helfer während der Suche.
Als Autist könne Arian ohne die Erlaubnis einer Vertrauensperson vor einer Kontaktaufnahme mit Einsatzkräften zurückschrecken. Menschen mit Autismus seien Regeln vergleichsweise wichtig, sagte Bertholdt. Ihr zufolge soll Arians Mutter entsprechende Botschaften aufgezeichnet haben.
Suche nach Arian am Samstag fortgesetzt
Am Samstag wurde die Suche nach Arian fortgesetzt. Dem Polizeisprecher zufolge suchten Einsatzkräfte auf und am Fluss Oste weiter nach dem Sechsjährigen.
Auf der Oste, einem Nebenfluss der Elbe, fahren die Helfer demnach mit mehreren Sonarbooten. Weitere Einsatzkräfte durchkämmen das Gebiet zwischen dem Ort Elm und der Gemeinde Oldendorf
An manchen Orten müsse mehrfach nachgeschaut werden, sagte der Sprecher bereits am Freitagabend. "Es ist durchaus möglich, dass sich der Junge auch hin und her bewegt. Was gestern negativ war, kann heute positiv sein." Gleichzeitig ziehe sich die Suche bereits weit in den angrenzenden Landkreis Stade.
Ein Dorf sucht den vermissten Arian
In dem niedersächsischen Dorf, in dem der sechs Jahre alte Arian vermisst wird, ist die Luft am Freitag klar und frisch vom Regen. Häuser im Dorf sind aus Backstein gebaut oder rot gestrichen – wie in Skandinavien. Vögel singen, sonst ist es still. Elm ist ein Idyll. Wären da nicht die Zettel. Sie hängen an Häusertüren. Und sie hängen auch in der Dorfmitte mit Kreppband festgeklebt an einem Schaufenster, in dem Bilder von vergangenen Dorffesten ausgestellt sind. "Liebe Elmer, Ihr seid aufgefordert, bei der Suche nach Arian zu unterstützen!"
Arian hatte nach Angaben seiner Eltern erst kurz zuvor gelernt, wie man Türen öffnet. Eine Überwachungskamera filmte, wie er nach dem Verschwinden aus dem Elternhaus mit einem Stock auf der Strasse herumfuchtelt. Dann eilt er Richtung Wald – und die Spur verliert sich. Der Vater meldet sein Kind als vermisst. Die Suche nach Arian beginnt noch in der Nacht. Seitdem helfen Hunderte Feuerwehrleute, Polizisten, und Freiwillige. Die Bundeswehr stockte am Freitag ihre Unterstützung auf insgesamt rund 450 Soldaten auf.
Vor dem Bürgerhaus in Elm stehen mehrere Gruppen in Uniform. Wer selbst keine Uniform trägt, blickt ernsten, angespannten Gesichtern entgegen. Es ist Tag vier der Suche – und Schichtwechsel: Die Müden aus der Nacht gehen, neue Helfer kommen. Man fühlt die Schwere, die Angespanntheit.
Wichtige Hinweise für Helfer
Es ist eine Suche unter erschwerten Bedingungen. Arian spricht nicht – und würde auf Zuruf von Fremden wahrscheinlich nicht reagieren. Auf Laufzetteln gibt es deshalb wichtige Hinweise für die Helfer. So sollen sie etwa den Namen des Jungen nicht rufen, weil er ängstlich reagieren und sich verstecken könnte. Helfer sollen auf Aufhäufungen achten, weil es möglich sei, dass sich der Junge, wenn er ruht, mit schwerem Material zudeckt.
Sollten Helfer ihn finden, soll nur eine Person auf ihn zugehen, sich zu ihm hocken – und nicht anfassen. Auf keinen Fall solle gejubelt werden. Wenn er liegt, ihn in liegender Position lassen. "Medizinisch absolut notwendig", heisst es.
All das zeigt, wie schwierig der Einsatz ist. Die Helfer gehen folglich unkonventionell vor, um Arians Aufmerksamkeit zu gewinnen und ihn dann zu finden. Sie platzieren Süssigkeiten und Ballons, brennen nachts ein Feuerwerk ab, weil Arian das so gerne mag. Sie setzen Scheinwerfer ein, die Lichtkegel in den Himmel projizieren, spielen Kinderlieder ab. Einsatzkräfte lassen Drohnen steigen, ein Tornado-Flugzeug der Bundeswehr ist in der Luft, Taucher steigen in Tümpel, Polizisten durchsuchen den Fluss Oste, stellen Wildkameras auf. Die Beteiligten lassen nichts unversucht – und finden den Jungen dennoch nicht.
Rehe und Hasen gesehen – aber nicht Arian
Im Bürgerhaus schwimmt Kaffee in Pappbechern, Helfer reichen anderen Helfern Brötchenhälften mit Wurst, Käse und Marmelade. Jörg Böttjer sitzt zwar im Trockenen, doch ihn stört der Regen. Böttjer ist 51 Jahre alt, Drohnenpilot der freiwilligen Feuerwehr. Wenn es regnet, kann das Gerät nicht fliegen. Das liege an dem Modell der Drohne, sagt er. Am Donnerstag hätten sie Rehe im Rapsfeld gesehen und Hasen. Aber nicht Arian.
Elm ist klein, gross ist die Kundschaft beim Dorfbäcker. Zeitungen liegen aus, Gurken- und Wurstgläser stehen im Regal. Einen Supermarkt gibt es in Elm nicht. Ein junger Elmer im Laden sagt: "Das Dorf wächst zusammen." Eine weitere Kundin bezeichnet den Fall als traurig. Dann schweigt sie.
Im Dorf sagt ein Bewohner, er habe am Montagabend über die Dorf-App von dem Fall erfahren. Sirenen heulten. Die Menschen hätten sich am Gemeindehaus versammelt, sollten dann hineingehen, damit sie einen Hubschrauberpiloten nicht irritieren. Dann fing die Suche an. "Es ging durch die Wälder", sagt der Mann. Bis 5:00 Uhr oder 6:00 Uhr in der Früh habe man gesucht. "Jeder ist da, jeder geht mit." So sei das in Elm, wo fast jeder jeden kennt.
Bewohner von Elm geben Hoffnung nicht auf
Die Dorfbewohner sollen mittlerweile nur suchen, wenn sie dazu aufgefordert werden, sagt der Mann. Das habe mit den Spürhunden zu tun. Man soll die Fährte nicht zerstören. Auf dem Zettel, der an mehreren Stellen in Elm hängt, steht auch: "Bitte durchsucht in regelmässigen Abständen intensiv nur Eure Grundstücke." Die Dorfbewohner beteuern gleich, man mache das, keine Frage.
Bundeswehrsoldaten laufen an diesem Freitag bei der Suche durch das Dorf, auch Mülltonnen werden durchsucht, die Müllabfuhr fährt deshalb nicht. Dann ist Mittag, die Kirchenglocken läuten. Die Vögel zwitschern weiter. Es hat aufgehört zu regnen, Drohnenpilot Böttjer kann nun womöglich wieder starten. In Elm geben sie nicht auf. "Aufhören", das hört man immer wieder, wollen sie hier nicht. (Lukas Müller, dpa/tas/cgo/ari/ms)
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