Leonora ist 15 Jahre alt, als sie ihr Heimatdorf in Sachsen-Anhalt verlässt, nach Syrien reist und sich dort dem IS anschliesst. Ihr Vater kämpft seit Jahren darum, seine Tochter wieder zurück nach Deutschland zu holen - bisher vergeblich.
Sie ist Klassensprecherin in einem Ort im Harz in Sachsen-Anhalt, eine unbeschwerte Jugendliche, Funkenmariechen, hat einen eigenen Beauty-Youtube-Kanal. Dann plötzlich wird sie Drittfrau eines IS-Terroristen in Syrien. Mit 15 Jahren. Ein drastischer Cut.
Das Buch "Leonora" schildert ein seit vier Jahren andauerndes Schicksal, das mit einer Schnellradikalisierung im Kinderzimmer beginnt. Das Drama hat kein Ende, es ist offen bis heute: Aktuell harrt die 19-jährige Islamistin mit zwei unterernährten Kindern in einem syrischen Flüchtlingslager aus, schreiben die Autoren.
Leonora Messing: Flucht von Sachsen-Anhalt nach Rakka
Zunächst in Kürze die Story - erzählt von Vater Maik Messing aus Sachsen-Anhalt und den Reportern Volkmar Kabisch und Georg Heil: Leo(nora) hat viele Freunde, ist ein bisschen auf Sinnsuche, interessiert sich für den Islam. Maik und Leos beste Freundin Emine wissen das. Allerdings nicht, dass sie sich über einschlägige Internetseiten regelrecht für den Dschihad begeistert, heimlich vollverschleiert nach Frankfurt fährt und Moscheen besucht, die der Verfassungsschutz beobachtet.
Sie reist über die Türkei in die syrische Stadt Rakka, die lange die Hauptstadt des IS-Terrors darstellt. Dort trifft sie ihren bis dahin noch unbekannten künftigen Ehemann Nihad, dem sie schon fest versprochen ist. Eine Verkäuferin islamkonformer Bekleidung im Internet hatte ihr den IS-Kämpfer angepriesen. Nihad ist Konvertit, auch aus Ostdeutschland und schon seit einiger Zeit in Rakka. Auf Bildern posiert er mit Kalaschnikow. Leo lässt sich verkuppeln, wird seine Drittfrau und fängt auch selbst an, Bräute für das Kalifat zu ködern.
Mit Nihad - einem der meist gesuchten Deutschen in den Rängen des IS-Geheimdienstes - wird Leo vier Jahre inmitten von Gewalt, Terror, Angst und Bomben verbringen und später auch auf der Flucht sein. Zwischenzeitlich zusammen mit dessen weiteren Ehefrauen, Kindern und einer Sklavin. Ein früher Versuch, Leo mit Schleusern rauszuholen, scheitert.
Gedenkfeier nach Todesnachricht
Die Kommunikation nach Deutschland zu Vater und Freundin Emine via Handy ist extrem schwierig, Wochen und Monate ohne Nachricht vergehen. Zermürbende Ungewissheit lähmt daheim. Dann gibt es eine Todesnachricht, sie kommt von Nihads Zweitfrau. Trauer, Schockstarre. Eine Gedenkfeier für Leo wird im Harz organisiert. Kurz zuvor geht eine Whatsapp-Nachricht bei Emine ein: "ich lebe egal was sie sagen".
Das Buch "Leonora. Wie ich meine Tochter an den IS verlor - und um sie kämpfte" beschreibt nicht nur eindringlich ein einzelnes Schicksal. Es macht klar, wie gefährlich schnell und unbemerkt islamistische (Selbst-)Radikalisierung bei jungen Leuten im Netz verläuft. Wie geschickt und perfide der IS und seine Anhänger locken, wie erfolgreich sie auch in Deutschland rekrutieren. Und der Titel lässt ins Innere des menschenverachtenden Terrorsystems schauen, das niemanden mehr aus seinen Fängen lässt, in dem Abweichler und Verräter hingerichtet werden.
Die Autoren schildern: Der IS sei scharf auf junge Mädchen aus Europa. Die Frauen sollen gebären für das Kalifat. Den jungen IS-Kämpfern werde Macht, Sex, bis zu vier Ehefrauen und Sexsklavinnen in Aussicht gestellt. Und es sei eben besonders praktisch, europäische und deutsche Dschihadisten mit Frauen aus ihren Heimatländern zu versorgen.
Messing: Baldige Rückkehr in die Heimat?
Leo und Nihad schaffen es Ende Januar 2019, aus dem extrem geschrumpften IS-Gebiet zu flüchten, sie ergeben sich den Kurden, leben seitdem unter erbärmlicher Umständen im Flüchtlingslager. Leo gibt einem deutschen Magazin ein Interview - voll verschleiert und eine Koran-Sure rezitierend. Daheim weiss Vater Maik bei aller Erleichterung: Mit der Rückkehr seiner Tochter werden die eigentlichen Probleme erst anfangen.
Als die Arbeiten zu dem Buch im Sommer 2019 zu Ende gehen, ist der IS als Staat geschlagen und verschwunden, schreibt der Terrorismusexperte Georg Mascolo in einem Vorwort. Die Ideologie sei aber weiter lebendig. So wie Leonora hätten sich allein aus Deutschland rund 1.050 Islamisten auf den Weg gemacht und mehr als hundert von ihnen lebten nun in Lagern und wollen wieder nach Hause.
Praktisch alle europäischen Länder weigerten sich, ihre Staatsbürger zurückzuholen. Mascolo mahnt: Jedes Land müsse alles Erdenkliche tun, um die Verbreitung der radikalen Ideologie zu unterbinden. Mit Strafverfolgung, Prävention und De-Radikalisierung. © dpa
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