Claus-Peter Reisch, der Kapitän des Rettungsschiffes "Lifeline" muss sich in Malta vor einem Gericht verantworten. Hintergrund der Vorwürfe ist eine angeblich nicht ordnungsgemässe Anmeldung des Schiffes. Währenddessen bahnt sich ein neues Flüchtlingsdrama vor der libyschen Küste an.
Der deutsche Kapitän des Rettungsschiffs "Lifeline" muss sich wegen der Rettung von rund 230 Migranten in Malta Vorwürfen vor Gericht stellen. Die maltesische Polizei habe bei Gericht die Beschlagnahmung des Schiffs beantragt, berichtete das MDR-Magazin "exakt" unter Berufung auf die Gerichtsvorladung. Das Boot werde dabei als Tatwerkzeug ("corpus delicti") bezeichnet. Die "Lifeline" hatte die Flüchtlinge vor der libyschen Küste aus Seenot gerettet und war danach rund eine Woche auf dem Meer blockiert, bevor sie nach langem Hin und Her in Malta anlegen durfte.
Zwei Straftaten stehen im Raum
Vor dem Gericht in Valletta sollen diesen Montag zunächst die Vorwürfe gegen Kapitän Claus-Peter Reisch präsentiert werden, sagte der Rechtsberater der Organisation, Neil Falzon, der Deutschen Presse-Agentur am Sonntag. Unklar sei, ob sich Reisch selbst äussern werde. In der Gerichtsvorladung würden dem Kapitän zwei Straftaten vorgeworfen, berichtete "exakt". Demnach soll er ein nichtordnungsgemäss registriertes Schiff gesteuert und damit unerlaubt inmaltesische Hoheitsgewässer eingefahren sein. Die Dresdner weisen die Vorwürfe zurück und sehen eine politisch motivierte Kriminalisierungskampagne gegen NGOs hinter den Anschuldigungen.
Neues Flüchtlingsdrama
Unterdessen äusserte Libyens Küstenwache die Befürchtung, es könne zu einem neuen Flüchtlingsunglück mit Dutzenden Ertrunkenen gekommen sein. Ein Offizier der Küstenwache erklärte am Sonntag, es seien rund 40 Menschen gerettet worden, nachdem vor der Hauptstadt Tripolis im Westen des Landes ein Boot gesunken sei. Gerettete hätten jedoch berichtet, dass mehr als 100 Menschen an Bord gewesen seien. Mehr als 60 Flüchtlinge werden demnach derzeit vermisst. Bislang seien jedoch noch keine Leichen entdeckt worden, erklärte der Offizier weiter.
Spanien als rettender Hafen
Die Blockade eines weiteren Rettungsschiffes konnte am Wochenende abgewendet werden. Das Schiff der spanischen Organisation Proactiva Open Arms darf mit den Geretteten in den Hafen von Barcelona. Die spanische Regierung habe ihnen erlaubt, die 60 Flüchtlinge dorthin zu bringen, erklärte die NGO. Italien hatte der "Open Arms" die Einfahrt verwehrt. Auch Malta erklärte sich für nicht zuständig.
Vor allem Italiens Innenminister von der rechten Lega, Matteo Salvini, macht Stimmung gegen die NGOs, die er für Helfer der Menschenschlepper hält. Dem Schiff "Aquarius" von Ärzte ohne Grenzen und SOS Mediterranee und der "Lifeline" hatte er die Einfahrt mit Hunderten Menschen an Bord bereits verweigert. Die "Aquarius" musste nach Spanien ausweichen, die "Lifeline" legte in Malta an.
Harter Kurs der Italiener
Auch die Proactiva könne "vergessen, in einem italienischen Hafen anzukommen", sagte Salvini. "Stopp der Menschenschmuggel-Mafia: Je weniger Menschen ablegen, desto weniger sterben." Italien will, dass die libysche Küstenwache die Migranten abfängt und zurück in das Bürgerkriegsland bringt.
Aber trotz aller Blockaden setzen sich weiter Migranten in schrottreife Boote in Richtung Europa, weil sie vor Folter und schwersten Misshandlungen in Libyen fliehen. Das zeigt auch das letzte Flüchtlingsunglück, bei dem Ende vergangener Woche rund 100 Menschen ums Leben gekommen sein könnten - darunter drei Babys.
Appelle des UN-Flüctlingswerks
Auf Fotos war zu sehen, wie die libysche Küstenwache die Leichen von den Babys aus Booten an Land bringt. Laut der Küstenwache waren alle Kinder unter einem Jahr alt. Die Bilder erinnern an das Schicksal des syrischen Flüchtlingsjungen Alan Kurdi, der 2015 tot an einem Strand in der Türkei angeschwemmt wurde. "Als alle das Foto von Alan sahen, war das eine Bewegung der Empörung und der Solidarität", schrieb die Sprecherin des UN-Flüchtlingswerks UNHCR, Carlotta Sami, auf Twitter. "Doch zu den Toten kamen weitere Tote." Statt die Bergung von Migranten zu koordinieren, reduzierten die EU-Staaten die Rettungsmöglichkeiten auf dem Meer drastisch.
Proactive Open Arms will dennoch weitermachen und nahm die Migranten vor der libyschen Küste auf. Nach Berichten spanischer Medien könnte das Schiff am Mittwoch in Barcelona landen. Die Bürgermeisterin der Stadt, Ada Colau, erklärte, Barcelona erwarte das Schiff mit offenen Armen. Es sei gut, dass sich die Retter nicht der unmenschlichen und grausamen europäischen Politik ergeben hätten.
Hardliner dominiert Diskurs
In Italien ergriff derweil erstmals ein hochrangiger Politiker der regierenden Fünf-Sterne-Bewegung das Wort für die Migranten. "Ich würde die Häfen nicht schliessen. Über Einwanderung muss man mit Intelligenz und mit dem Herzen sprechen", sagte Parlamentspräsident Roberto Fico bei einem Besuch in einem Migranten-Aufnahmezentrum im sizilianischen Pozzallo.
Die Fünf Sterne sind eigentlich der Seniorpartner in der populistischen Regierung mit der Lega. Allerdings diktiert Lega-Chef Salvini derzeit mit ausländerfeindlichen Aussagen den Kurs in Italien und fährt damit in Umfragen immer mehr Zustimmung ein. Der sagte dann auch prompt, dass Fico nicht für die Regierung sondern für sich selbst gesprochen habe. (mc/dpa)
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