Kleinmachnow - Gesehen und wieder verschwunden: Eine freilaufende Raubkatze - mutmasslich eine Löwin - soll in Berlin und Brandenburg gesichtet worden sein.
Wohngebiete wurden am Donnerstag abgesperrt, Menschen sollten zu Hause bleiben. Hunderte Polizisten waren im Einsatz, unterstützt von Jägern und Tierärzten - doch bis zum späten Abend konnte das Tier nicht gefangen werden. Wo ist es?
Die erste Warnung erreichte die Bevölkerung südlich von Berlin in der Nacht zu Donnerstag: Ein "freilaufendes gefährliches Wildtier" soll in der Gemeinde Kleinmachnow in Brandenburg gesichtet worden sein. Ein nur wenige Sekunden langes Handyvideo eines Zeugen zeigt das Tier dort zwischen Büschen und Bäumen umherschleichen. Das Video schätzen die Ermittlungsbehörden als echt ein. In der Nacht hätten auch Polizeibeamte die Raubkatze "gesichert" gesehen, sagte eine Behördensprecherin.
Eine weitere mögliche Sichtung gab es dann am Nachmittag auf Berliner Stadtgebiet, nahe der südlichen Grenze zu Brandenburg. Aufgrund der Hinweise suchten Polizisten am Nachmittag in Zehlendorf im Bereich des Waldfriedhofs - die Spur führte aber ins Leere. "Es fanden sich keine Hinweise oder Spuren, dass das Tier sich dort tatsächlich befunden hat", teilte die Polizei auf Twitter mit.
Doch am Abend soll das Tier in dieser Gegend nochmals aufgetaucht sein. Die Berliner Polizei konzentriert darum ihre Suche auf den Bereich - auch in der Nacht. Etwa 220 Polizistinnen und Polizisten waren dort bis zum Abend im Einsatz, sagte eine Polizeisprecherin. In der Nacht sollten etwa 70 Kräfte weiter Ausschau halten. Beteiligt an der Suche seien der Stadtjäger und Veterinärmediziner. Es sollten Nachtsichtgeräte und eine Nachtsichtdrohne eingesetzt werden. Die Polizei berichtete, dass auch "Löwengebrüll" gehört wurde.
Parallel dazu setzte auch die Polizei in Brandenburg in der Nacht ihre Suche fort. Mehr als 100 Polizistinnen und Polizisten seien im Einsatz, hiess es. Mit Drohnen, Hubschraubern und Wärmebildkameras suchten sie nach der mutmasslichen Löwin, unterstützt von Tierärzten und Jägern sowie Feuerwehrleuten. In der Nacht seien mehrere Gruppen unterwegs, sagte ein Polizeisprecher am Abend. "Wir gehen jedem Hinweis nach", betonte er.
Zunächst fehlte jedoch jede Spur von dem Tier. Weder Blut noch Kot oder Pfotenabdrücke deuteten auf seine Präsenz in der Region hin. Aus Sicht des Veterinärmediziners Achim Gruber von der Freien Universität Berlin bleiben nicht zuletzt deswegen Zweifel, ob es sich wirklich um eine Löwin handelt. "Ich halte es für möglich, dass das eine Löwin ist, bin aber nicht davon überzeugt", sagte er am Abend im RBB-Spezial. Er setze auf die Jagdhunde, die nach dem Tier suchten. Wenn diese keine Spuren fänden, sei dies "ein starkes Puzzlestück" gegen die Hypothese, dass man es mit einer Löwin zu tun habe.
Sollte es tatsächlich eine Löwin sein, bleibt die Frage: Woher kommt sie? Aus den Zoos, Tierparks und Zirkussen dieser Region jedenfalls nicht, wie die Polizei herausfand. Dort vermisste niemand eine Grosskatze. Private Halter seien in Kleinmachnow nicht bekannt, sagte Bürgermeister Michael Grubert (SPD) am Donnerstag bei einer Pressekonferenz. Er sprach von einer "ernsten Lage".
Die private Haltung von Wildtieren ist in Deutschland Ländersache. In Berlin ist sie verboten, in Brandenburg gibt es keine spezielle Regelung neben der Bundesartenschutzverordnung. Erkenntnisse über eine illegale Haltung wurden zunächst nicht bekannt. Nach Angaben des Landesumweltamtes ist in Brandenburg die Haltung von 23 Löwen angemeldet. Dabei handle es sich um drei Zirkusunternehmen, zwei Zoos und eine private Haltung.
Der ruhige Ort Kleinmachnow, der direkt an Berlin grenzt, wurde von der Suche kalt erwischt. "Wenn ich heute Morgen nicht früh angerufen worden wäre um 6.00 Uhr von einer Person der Feuerwehr, bei der ich wusste, dass die mir nicht um 6.00 Uhr eine Geschichte erzählt (...), hätte ich zuerst an einen Scherz geglaubt", sagte Grubert.
In Kleinmachnow waren bereits in der Nacht Hubschrauber im Einsatz. Am Donnerstagmorgen wirkte in der Gemeinde laut einem dpa-Reporter alles völlig normal. Von der Suche nach einem gefährlichen Raubtier war kaum etwas zu merken. Radfahrer waren unterwegs, Spaziergänger mit Hunden, Menschen auf dem Weg zur Arbeit oder zum Einkaufen.
Die Gemeinde versuchte, das alltägliche Leben möglichst laufen zu lassen, ohne zu grosse Gefahren einzugehen. So liess Kleinmachnow die Kindergärten offen, bat aber, dass die Kinder auf dem Gelände bleiben. Der Wochenmarkt wurde verkleinert. Ein Café im Zentrum sollte die Türen geschlossen halten. Was auf die Suche nach einer Löwin hindeutete, war die Polizei, die teils präsent war.
Ein Wildtierexperte riet den Anwohnerinnen und Anwohnern, bei einer zufälligen Begegnung mit der mutmasslichen Löwin nicht plötzlich zu agieren. "Das Wichtigste ist, dass die Tiere das Gefühl haben, die Kontrolle über die Situation zu behalten", sagte Heribert Hofer, Direktor des Leibniz-Instituts für Zoo- und Wildtierforschung der dpa in Berlin. Ein Überraschungseffekt müsse vermieden werden. "Das ist eine Situation, wo sie einen Kontrollverlust der Situation erlebt." Daraus könnten sich Reaktionen ergeben, weil sich das Tier gefährdet fühlt und sich deswegen eventuell verteidigen würde.
Die Warnmeldung des Bundesamts bezieht auch den Süden Berlins, etwa Steglitz, Marienfelde und Neukölln, mit ein. Auch die Stadt Potsdam rief ihre Einwohnerinnen und Einwohner zu Wachsamkeit auf: "Augen auf! Potsdam ist nicht weit entfernt", teilte die Stadt auf Twitter mit.
Laut Einschätzungen von Expertinnen und Experten aus Zoo und Tierpark in Berlin käme eine Löwin in den Sommermonaten durchaus in einem heimischen Waldstück zurecht. In einem ihr unbekannten Terrain könne davon ausgegangen werden, dass sie sich ins Unterholz zurückziehe und nicht aktiv den Kontakt zum Menschen suche, teilten die Einrichtungen mit. "Auch die Gefahr, dass ein Wildtier auf freier Fläche wie beispielsweise im Wald, Park oder Feld einen Menschen direkt angreift ist geringer, als wenn es sich in einem Wohngebiet in die Enge getrieben und bedroht fühlt."
Noch ungeklärt ist das Schicksal des Tieres, sollte es gefunden werden. Eine Sprecherin des Landkreises Potsdam-Mittelmark sagte, es seien eine Tierärztin und zwei Jäger mit Waffen mit vor Ort. Wenn man das Tier finde, werde entschieden, ob man mit Betäubung arbeite oder es erschiessen müsse. Kleinmachnows Bürgermeister setzte auf einfangen und wenn nötig betäuben.
Wenn ein Tier in freier Wildbahn gefangen werden sollte, werde Tele-Injektion mit einem Narkosegewehr eingesetzt, sagte May Hokan von der Umweltstiftung World Wide Fund For Nature (WWF) der dpa in Berlin. Das könnten am besten etwa Zootierärzte, die mit solchen Situationen auch unter Stress gut umgehen könnten.
Die Tierärztin schilderte mögliche Probleme: "Wenn man so einen Löwen trifft, fällt der nicht direkt um und schläft ein. Es gibt eine Stressphase, er hat diesen Pfeil im Hintern, wird erst mal losrennen und Radau machen." Dies dauere einige Minuten, auch abhängig von der Art des Narkosemittels. "Wir haben dann eine schwierige Phase, bevor das Tier einschläft und man sich dem Tier nähern kann."
Theoretisch denkbar wäre auch ein Abschuss. "Je nachdem, wie die Situation wahrscheinlich von Tierarzt und Polizei eingeschätzt wird, wird das Tier in solchen Situationen auch erschossen. Dabei muss natürlich die Sicherheit gegeben sein, dass da keine Menschen in der Nähe sind. Das ist auch nicht so einfach", sagte die Tierärztin.
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