- Besitzergreifendes Kontrollverhalten vieler Männer ist ein alltägliches Problem.
- Machismo ist tief in der lateinamerikanischen Kultur verankert.
- Auch Frauen aus anderen Regionen der Erde sind gefährdet, Opfer von häuslicher Gewalt mit Todesfolge zu werden.
Um der zunehmenden Gewalt gegen Frauen im häuslichen Umfeld besser entgegenzuwirken, hat Puerto Rico nun den Notstand ausgerufen. 2020 wurden dort allein 60 Frauen durch Ihre Partner ermordet – doppelt so viele wie im Jahr zuvor.
Den Grund für die hohe Zahl der Tötungen durch geschlechtsbezogene Gewalt sieht das Land in der allgegenwärtigen, systematischen Machismo-Kultur. Dieses in vielen lateinamerikanischen Ländern verbreitete Phänomen wird aktuell durch Krisen wie Hurrikan Maria und Corona noch verstärkt.
Der Inselstaat hat genug von machistischen Männern: Er will mit Hilfe des längst geforderten Notstands mehr Mittel zum Schutz gegen häusliche Gewalt zur Verfügung stellen. Das Ziel: Frauen Wege aus ihrer Opferrolle aufzuzeigen, die ihnen die Machismo-Kultur zuweist.
Das umfasst mehr Aufklärungsarbeit, um die Gleichberechtigung zwischen Frau und Mann zu vermitteln, mehr Bildung, mehr Beratung sowie die Integration der Frauen in den Arbeitsmarkt. Doch warum sind solche Initiativen notwendig? Was steckt hinter der Machismo-Kultur und weshalb tritt das Phänomen auch in vielen anderen lateinamerikanischen Ländern wie Mexiko und Kolumbien auf?
Was bedeutet "Machismo"?
Der Begriff Machismo beschreibt ein dominantes, besitzergreifendes, kontrollierendes, aggressives Verhalten von Männern hauptsächlich gegenüber Frauen. Dahinter verbirgt sich ein Unterdrückungssystem, das auf der Annahme beruht, es gäbe eine Ungleichheit zwischen Mann und Frau, sprich eine Überlegenheit des männlichen Geschlechts gegenüber dem weiblichen.
Machistas, so erklärt es Juliana González Villamizar vom Deutsch-Kolumbianischen Friedensinstitut CAPAZ an der Universität Giessen, finden sich in allen Kulturen. "Derzeit sind alle Gesellschaften patriarchisch, also von Männern bestimmt. In diesen ist das Phänomen des Machismo in sehr unterschiedlichen Intensitäten vorhanden.
Auch in anderen Teilen der Erde werden Frauen von ihren Partnern gewalttätig behandelt und ermordet. Es ist also nicht ein rein lateinamerikanisches Problem, das muss man differenzierter betrachten", so die Kulturwissenschaftlerin.
Geschlechtsbezogene Morde – ein weltweites Problem?
In der Tat hat eine Studie der Uno aus dem Jahr 2018 ermittelt, wie häufig Frauen auf der ganzen Welt Opfer tödlicher Gewalt werden und in welchem Umfeld. Der Erhebung zufolge starben 2017 50.000 Frauen durch tödliche Gewalt, ausgeübt durch ihre Lebenspartner oder Familienmitglieder – Tendenz steigend.
Prozentual gesehen ist demnach das Risiko von Vertrauten ermordet zu werden in Afrika am höchsten. Hier liegt die Femizid-Mordrate durchschnittlich bei 3,1 je 100.000 Frauen, direkt gefolgt von Amerika mit einer Mordrate von 1,6. Europa liegt mit einer Rate von 0,7 auf 100.000 Frauen am unteren Ende. Lateinamerika liegt mit seiner Femizid-Rate also im globalen Mittelfeld.
Was ist der Grund für den Machismo in Lateinamerika?
Die Gründe für den Machismo sieht Juliana González Villamizar in Anlehnung die Genderforscherin Mara Viveros vor allem in der Geschichte Lateinamerikas:
"Das Verhaltensmuster des Machismo hat seine Wurzeln in der kolonialen Geschichte. Die gewalttätige spanische Eroberung brachte das Konzept der Dominanz durch die Kolonialherren, ihre Unterdrückung und ihren Rassismus gegenüber den Ureinwohnern mit sich."
González erklärt weiter: "Frauen wurden vergewaltigt, Männer unterdrückt und verweiblicht. Machismo ist ein Ergebnis dieser männlichen und europäischen Dominanz, die seitdem von Generation zu Generation weitergegeben wird."
Die Wissenschaftlerin zählt auch das katholische Christentum, das die Spanier mit sich brachten und das heute die stärkste Religionsgemeinschaft in Lateinamerika bildet, zu einer weiteren Ursache des Machismo: "Das Christentum weist der Frau eine spezifische Rolle in der Gesellschaft zu – das sich unterordnende Frauenbild, das dort vermittelt wird, geht einher mit dem unterdrückenden Prinzip, das den Machismo charakterisiert."
Das koloniale Prinzip der Unterdrückung und Überlegenheit hat sich zudem auch in anderen Bereichen der Gesellschaft tief verfestigt. Die Diskriminierung von ärmeren, indigenen, sozial tiefer gestellten Schichten ist vielerorts an der Tagesordnung. "Die koloniale Unterdrückung hat sich tief in die komplette lateinamerikanische Kultur gebrannt", fasst Juliana González Villamizar zusammen.
Wie kann das Problem des Machismo langfristig gelöst werden?
Da Machismo ein tiefverwurzelter Bestandteil der lateinamerikanischen Gesellschaft ist, kann er nur schwer durch einfach politische Massnahmen unterbunden werden. Initiativen, wie die von Puerto Rico geplanten Massnahmen, sind hier zwar hilfreich, Experten fordern jedoch, einen flächendeckenden Prozess des Verstehens, des Reflektierens anzustossen.
Die Ursachen der extremen häuslichen Gewalt müssten zusammen mit der Gesellschaft Stück für Stück herausgearbeitet werden. Für Juliana González Villamizar könnten hier vor allem Frauenorganisationen eine wichtige Rolle spielen, um die Betroffenen besser aufzuklären und ihnen deutlich zu machen, dass sie sich nicht unterwerfen müssen und eigene Rechte haben.
Für die derzeit in Kolumbien lebende Sozialwissenschaftlerin ist es wichtig, "dass wir überlegen, was Liebe und Partnerschaft wirklich bedeuten, und dass sie das Gegenteil von Aggression und Kontrolle sind." Sie hofft, dass lateinamerikanische Frauen so mehr und mehr den Respekt erhalten, den sie verdienen.
Verwendete Quellen:
- Uno: Global Study on Homicide Gender-related killing of women and girls, 2018,
- TAZ: Femizide in Deutschland: Blinder Fleck der Gesetzgebung
- Medium: In Puerto Rico, an Epidemic of Domestic Violence Hides in Plain Sight
- NZZ: Puerto Rico ruft Notstand wegen Gewalt gegen Frauen aus
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.