- 30 Jahre lang war Chef-Mafioso Matteo Messina Denaro auf der Flucht, bis er den sizilianischen Carabinieri endlich ins Netz ging.
- Seine Organisation ist inzwischen zum "kleinen Bruder" geschrumpft.
- Doch noch immer mischt die Cosa Nostra beim Organisierten Verbrechen mit – auch in Deutschland.
Ein "Feiertag für alle anständigen Leute" sei es, erklärte Italiens Regierungschefin
Bombenanschläge und Dutzende von Morden sollen auf das Konto von Denaro und "seiner" Mafia-Organisation "Cosa Nostra" gehen – unter anderem tödliche Anschläge auf die obersten Anti-Mafia-Staatsanwälte Giovanni Falcone und Paolo Borsellino.
1992 war das – und seither hat sich einiges getan. Unter anderem gehört die Cosa Nostra mittlerweile nicht mehr zu den Grossen im Geschäft. "Die Organisation ist seit den 90er-Jahren geschwächt", sagt Sandro Mattioli im Gespräch mit unserem Portal. Der Journalist, der den Berliner Verein "MafiaNeinDanke" leitet, diagnostiziert, die Clans hätten eingesehen, "dass es dem Ansehen und damit dem Geschäft schadet, wenn man zu oft zur Waffe greift".
Mittlerweile komme es sogar zu Kooperationen: "Wenn beispielsweise die einen wissen, dass die anderen gut an Sprengstoff kommen, dann fragen sie eben bei denen nach."
Die italienische Zivilgesellschaft wehrt sich
Geschäftlich allerdings bleibt die Konkurrenz zwischen den Mafia-Organisationen bestehen – auch wenn manches nicht mehr so einfach ist wie früher. Die traditionelle Schutzgelderpressung etwa stösst in Italien mittlerweile auf Gegenwehr. Die italienische Zivilgesellschaft, so Mattioli, könne mit Gegenaktionen Erfolge verzeichnen.
Etwa mit "addiopizzo", einer Gruppe, die sich unter dem Motto "Ein Volk, das Schutzgeld zahlt, ist ein Volk ohne Würde” gegen die "pizzo" genannte Schutzgelderpressung wehrt. Doch man dürfe sich nicht täuschen, schränkt Mattioli ein, "die Clans haben nach wie vor auch viel Unterstützung."
Doch andere Betätigungsfelder der Mafia-Organisationen kommen ohne Unterstützung breiterer Bevölkerungsschichten aus. Nach wie vor ist der Drogenhandel eine wichtige Einnahmequelle der "Paten" und ihrer Gehilfen. Auch in diesem Geschäftsfeld gehen die Clans systematisch und nach bestimmten Regeln vor.
Diese Regeln werden vor allem mündlich weitergegeben und liegen nicht unbedingt ausformuliert vor. Die raffinierteste Struktur hat die 'Ndrangheta, die kalabrische Mafia. Mattioli spricht hier von einer "durchgegliederten Organisation", mit einem festen "Dachgremium" an der Spitze, mit strategischen Zielen, mit flexiblen Methoden, aber festen Entscheidungsebenen.
Die Camorra ist am "wildesten"
Am "wildesten" und am wenigsten durchorganisiert scheint die Camorra zu sein – eine ihrer Gruppen soll über längerer Zeit von einer transsexuellen Frau geleitet worden sein. Alle Organisationen der Mafia aber beruhen auf dem Gesetz der "omertá" – einer Art Schweigegelübde, das es verbietet, Aussenstehenden gegenüber Geheimnisse preiszugeben oder gar als Zeuge aufzutreten. Für Polizei und Justiz stellt die Schweigemauer der "omertá" einen oft undurchdringlichen Schutzwall dar, der auch die jahrzehntelang erfolglose Suche nach Matteo Messina Denaro erklärt.
Das Drogengeschäft wirft hohe Gewinne ab – und schafft Probleme, die auch ausserhalb Italiens zu spüren sind. Denn die Mafia versucht zunehmend, grosse Geldsummen aus diesen Geschäften illegal zu "waschen", sie also in legalen oder weniger auffälligen Geschäftsfeldern anzulegen. Und damit kommen auch andere Länder ins Spiel.
Was Europa anbelangt, ist die Lage nach Ansicht des Experten undurchsichtig. Doch liegt die Vermutung nahe, dass Deutschland wegen seiner Position als wirtschaftlich stärkste Volkswirtschaft für "Auslandsinvestitionen" der Mafia grosse Bedeutung hat. Für Messina Denaros Cosa Nostra waren zwar ursprünglich und in vorderster Linie die USA der wichtigste "Handelspartner".
Doch spätestens seit 1967, so Mattioli, "haben sie ihre Leute auch nach Deutschland geschickt." Bis heute, so hat es den Anschein, haben sich die Mafia-Strukturen in Deutschland verfestigt, ist gewissermassen eine Infrastruktur des von der Mafia organisierten Verbrechens entstanden.
700 Mafia-Mitglieder in Deutschland – oder sogar 2000?
Besonders Irene Mihalic, grüne Abgeordnete im Bundestag, hat sich in den letzten Jahren umfassend mit dem Probleme Mafia beschäftigt. Eine kleine Anfrage ihrer Fraktion hat die Bundesregierung im August 2021 beantwortet: Den Regierungsangaben zufolge gingen die Polizeibehörden im Jahr 2019 von jeweils etwa einhundert Angehörigen von Camorra und Cosa Nostra aus, gut 500 Menschen sind demnach der 'Ndrangheta zuzurechnen.
31 Tötungsdelikte seit 1990 werden der italienischen Organisierten Kriminalität (IOK) zugerechnet. In den Jahren 2021/21 wurden allein für den Bereich der IOK neun deutsch-italienische Ermittlungsgruppen eingerichtet, fast alle eingeleiteten Ermittlungsverfahren beziehen sich auf die Bereiche Drogenhandel und Geldwäsche.
An einzelnen Zahlen hat der Experte Mattioli Zweifel: Italienische Staatsanwälte gehen von 60 Niederlassungen der 'Ndrangheta in Deutschland aus. Solche "locale" genannten Gruppierungen hätten in der Regel etwa 50 Mitglieder – das ergäbe allein 3000 'Ndrangheta-Mitglieder. "Mindestens 2000" seien es auf jeden Fall, betont der Journalist.
Unzureichende Vorkehrungen gegen Geldwäsche in Deutschland
Besonders bedrohlich: In Deutschland überwiegt bei den Mafia-Gruppierungen im Gegensatz zu Italien nicht die Konkurrenz, sondern die Kooperation. "MafiaNeinDanke" fordert deshalb entschiedeneres Vorgehen von den deutschen Behörden – unter anderem eine deutliche Aufstockung des für die Mafia-Bekämpfung vorgesehenen Personals.
Insbesondere, so Sandro Mattioli, seien die gesetzlichen und verwaltungstechnischen Vorkehrungen gegen Geldwäsche hierzulande unzureichend. Weit über 100 Milliarden Euro würden in Deutschland jährlich gewaschen – ein enormes Kapital, das der organisierten Mafia-Kriminalität für weitere Verbrechen zur Verfügung steht.
Verwendete Quellen:
- Deutscher Bundestag Drucksache 19/31923 vom 9.8. 2021: "Entwicklung der italienischen Mafiakriminalität in Deutschland in den Jahren 2020 und 2021". Kleine Anfrage der Abgeordneten Dr. Irene Mihalic, Dr. Konstantin von Notz, Monika Lazar, Filiz Polat, Tabea Rössner und der Fraktion BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN.
- Bussmann, Kai-D. und Vockrodt, Marcel: Geldwäsche-Compliance im Nicht-Finanz-Sektor: Ergebnisse aus einer Dunkelfeldstudie. In: Compliance Berater, 5/2016, S. 138-143.
- Gespräch mit Sandro Mattioli
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