Von der Mafia hat wohl jeder schon mal gehört. Aber was genau verbirgt sich hinter dem beinahe schon mythisch verklärten Begriff? Woher kommt er und was hat es mit dem Ehrenkodex und der Omertà auf sich? Das erfahren Sie im ersten Teil unserer neuen Reihe "Mythos Mafia".

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"Mafia" – ein abstrakter Begriff, bei dem viele Menschen wahrscheinlich eher an den von Marlon Brando verkörperten Don Corleone im Filmklassiker "Der Pate" denken, als an eine Verbrecherorganisation, die - nach wie vor und nicht nur in Italien - weite Teile des gesellschaftlichen Lebens bestimmt. Die Mafia, das sind Ehrenkodex und strenge Hierarchien, Bandenkriege, Morde und Attentate. Das ist aber auch eine Wirtschaftsmacht, die weltweit vernetzt ist und mitten im Herzen der Gesellschaft operiert, mit engen Verbindungen in die Politik.

Doch was ist Fakt, was ist Mythos? Im ersten Teil unserer neuen Reihe werfen wir einen Blick auf die Ursprünge der Verbrecherorganisation, die als "Mafia" weltberühmt werden sollte. Wir zeigen, wie alles begann, was es mit der berühmten "Omertà" auf sich hat und wie die Mafia eigentlich organisiert ist. Doch beginnen wir ganz am Anfang...

Von stolzen Männern und den Anfängen der Mafia

Woher hat die Mafia eigentlich ihren Namen? Der Begriff bezeichnet heute weltweit sämtliche Formen organisierter Kriminalität. Sein inflationärer Gebrauch störte schon den später ermordeten Mafiajäger Giovanni Falcone. Denn im engeren Sinne ist mit "Mafia" die "Cosa Nostra" Siziliens gemeint.

Dort tauchte die Bezeichnung "mafiusu" erstmals im 18. Jahrhundert auf. Im Dialekt Palermos bedeutete sie "tapfer", "mutig", aber auch "stolz" - ein "mafiusu" war also ein stolzer Mann. Eine andere Erklärung sieht in dem Begriff "mafia" ein Akronym eines Schlachtrufs. Während der langjährigen Fremdherrschaft durch die Bourbonen sollen die Sizilianer "Morte Alla Francia, Italia Anela!" gerufen haben – zu Deutsch: "Italien ersehnt sich den Tod Frankreichs!" Der Name "Cosa Nostra" heisst übersetzt "Unsere Sache" und wurde in Nordamerika geprägt, wohin viele Sizilianer um das Jahr 1900 auswandern. Die sizilianische Mafia nennt sich erst später analog zu ihrem italo-amerikanischen Ableger "Cosa Nostra".

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Aber wieso erblickte die Mutter der Mafia gerade auf Sizilien das Licht der Welt? Dafür muss man bis Mitte des 19. Jahrhunderts zurückgehen, in eine Zeit wirtschaftlicher Not, als wenige Aristokraten ihre Ländereien auf Sizilien von Grosspächtern verwalten liessen. Die wiederum setzten Wächter ein, die ihre Zitronenplantagen vor Diebstahl beschützen sollen. Die "campieri" begannen, die ärmeren Bauern zu erpressen, vernetzten sich zu Banden und traten wie Polizisten auf – wer Schutz wollte, musste einen Teil der Ernte abtreten. Bis heute ist Schutzgelderpressung eine wichtige Einnahmequelle.

Blutige Mafia-Kriege machen Sizilien weltweit bekannt

Lange Zeit interessierte Rom sich nicht besonders für das, was sich auf Sizilien ereignet. Mussolini gelang es, im Faschismus die Cosa Nostra zu unterdrücken. Dennoch wurde die Mafia nach dem Zweiten Weltkrieg wieder stark, blutige Bandenkriege zwischen den Clans hielten die Insel über Jahrzehnte in Atem. Leichen, die in Salzsäure aufgelöst wurden, Fabriken, die als Folterstätte genutzt wurden: Eine rote Blutspur zog sich in den 1980er-Jahren bis aufs Festland. Tausende Menschen starben, unter ihnen auch bekannte Politiker wie der Regionalpräsident Siziliens, der Bruder des heutigen Staatspräsidenten Sergio Mattarella.

Dabei tappten die Ermittler lange Zeit im Dunkeln. Wer die Cosa Nostra ist und wie sie arbeitet, kommt lange nur durch Zufälle ans Licht. Denn die Mafiosi befolgen einen strengen Ehrenkodex, dessen wichtigste Regel die "omertà" ist, eine Art ungeschriebenes Gesetz des Schweigens. Es verpflichtet dazu, in keiner Weise mit dem Staat zu kooperieren. Die "omertà" greift auch in die Gesellschaft über. Noch heute sind Menschen in einigen besonders armen Regionen der Insel dem Staat gegenüber misstrauischer als gegenüber der traditionell verankerten Mafia.

So viel ist klar: Mit Al Capone im Nadelstreifen-Anzug haben die Mafiosi kaum etwas gemein. Nach aussen wirken sie wohl wie ganz "normale" Kleinkriminelle. Sich selbst bezeichnen sie als "uomini d’onore", also "Ehrenmänner", die ausschliesslich sizilianischer Herkunft sein dürfen. Frauen können keine Mitglieder sein.

Als die Polizei 2007 den Mafioso Salvatore Lo Piccolo verhaftete, fiel ihr ein Dokument mit "Zehn Geboten" in die Hände, das erstmals den Wertekodex der Cosa Nostra offenlegte. Darauf stand laut "antiarte.it" etwa, die Ehrenmänner sollten "kategorisch alle Verabredungen einhalten" und "niemals auf die Ehefrauen unserer Freunde schielen". Die Cosa Nostra verlangt von den Ehrenmännern nicht nur absoluten Gehorsam. Sie sollen sich auch an christliche Werte halten. Denn wie viele Sizilianer sind auch die Ehrenmänner streng katholisch.

Das allein reicht noch nicht für eine Aufnahme. Wer der Mafia beitreten will, wird lange beobachtet und muss sich mit allerlei kriminellen Aufgaben beweisen. Bei einem traditionellen Aufnahmeritual gelobt der Anwärter dann seine Treue. Bei der Verhaftung von Lo Piccolo fand die Polizei auch kleine Madonnenbildchen: "Wenn ich untreu werden sollte, soll mein Fleisch verbrennen, so wie dieses Bild verbrennt", stand darauf geschrieben. Nach dem Schwur lässt der Anwärter ein wenig Blut auf das Heiligenbild tropfen, anschliessend wird es verbrannt – er gibt seine alte Identität auf, um als Ehrenmann wiedergeboren zu werden.

Die Hierarchie in der Cosa Nostra

Eine Besonderheit der Cosa Nostra ist ihre streng hierarchische Struktur. Ganz unten stehen die "picciotti", "junge Männer". Sie organisieren sich in Zehner-Gruppen, denen jeweils ein "Capodecina" vorsteht, also ein "Chef von zehn".

Mit anderen Gruppen zusammen bilden die Zehner-Gruppe dann die "Cosca", eine Familie, die nicht zwingend aus Verwandten bestehen muss. Jede Familie kontrolliert ein Territorium, nach dem sie auch benannt ist – fast in jeder Stadt Siziliens gibt es heute noch Familien, insgesamt sind es Schätzungen zufolge rund 181. Die Familien werden durch einen Boss in überregionalen Kommissionen vertreten, sie sollen Konflikte unter den Familien diplomatisch lösen. Die Spitze der Cosa Nostra nennt sich "cupola", Kuppel: Dort sitzt der Boss der Bosse.

Wie Riina den Mord an Giovanni Falcone befahl

Was auch immer die Mafiosi zu verrichten haben, sie halten sich an eine Befehlskette. So auch beim Mord an Giovanni Falcone, der zum Symbol wurde für den Kampf der Mafia gegen den Staat. Der Ermittlungsrichter liess sich nicht korrumpieren oder einschüchtern, gemeinsam mit dem Staatsanwalt Paolo Borsellino brach er Mitte der 1980er-Jahre das System des Schweigens und brachte hunderte Mafiosi vor Gericht. Die Cosa Nostra schwor Rache. Die Führungsriege hatte in den Kommissionen über Jahre immer wieder beraten, wie mit Falcone und anderen Widersachern vorzugehen sei. 1992 ordnete der damalige Boss der Bosse, Salvatore "Totò" Riina, schliesslich den Mord an. Aber natürlich machte er sich dabei nicht selbst die Hände schmutzig.

Zunächst war geplant, Falcone in Rom zu erschiessen, doch Riina pfiff das Kommando in letzter Sekunde zurück. Ein Bombenanschlag auf Sizilien sollte noch eindrucksvoller die Macht der Cosa Nostra zur Schau stellen. Riina delegierte die Planung des Attentats an den ranghohen Mafioso Giovanni Brusca, der mit seinen Gefolgsmännern die Sprengsätze vorbereite und den Ablauf probte. Als der Konvoi aus gepanzerten Limousinen am 23. Mai 1992 die Autobahn nach Palermo passierte, war es Brusca, der den Sprengsatz auslöste. Die Bombe tötete das Ehepaar Falcone und drei Leibwächter.

Das Beispiel Giovanni Brusca zeigt aber auch, dass die Cosa Nostra keineswegs vor Morden an Frauen und Kindern zurückschreckt: Brusca liess nicht nur die schwangere Freundin eines Rivalen erdrosseln, er veranlasste auch, dass der 13-jährige Giuseppe Di Matteo stranguliert und schliesslich in Salzsäure aufgelöst wurde. Sein Vater hatte begonnen, mit der Justiz zu kollaborieren.

Weniger öffentliche Gewalt, mehr versteckte Aktivitäten

Im Umgang mit Abtrünnigen ist die Cosa Nostra besonders grausam. Wer mit dem Gedanken spielt, die "omertà" zu brechen, wird mit dem Tod bedroht und muss auch um das Leben seiner Liebsten fürchten.

Aller Gefahr zum Trotz sind immer mehr Mafiosi zu den Behörden übergelaufen, weil sie erkannt haben, dass es in der modernen Welt auch eine Alternative zum System der Mafia gibt. Die italienische Justiz kommt diesen "pentiti", also Kronzeugen, mit gemilderten Strafen und Schutzprogrammen entgegen. Auch deshalb ist die Cosa Nostra nicht mehr das, was sie einmal war.

Als der Mafia-Boss "Totò" Riina ins Netz der Behörden geriet, rückte die Cosa Nostra zunehmend ab von der Gewalt gegen den Staat. Dadurch verringerte sich auch die Zahl ihrer Opfer: Während im Rekordjahr 1991 laut "repubblica.it" in Italien mehr als 1.900 Menschen ermordet wurden, sind es heute weniger als zwei Dutzend jährlich. Doch das heisst nicht, dass es in Italien keine Mafia mehr gibt.

Auch heute noch ist die Cosa Nostra eng mit Politik und Verwaltung verflochten. Sie hat sich zunehmend zu einer Finanz- und Business-Mafia gewandelt: Geldwäsche, Korruption bei öffentlichen Aufträgen im Baugewerbe und illegale Abfallwirtschaften sind ihre Geschäftsfelder. Auch der Drogen- und Waffenhandel spielt eine grosse Rolle, Erpressungen mit Schutzgeldern, die "pizzo", machen auf Sizilien immer noch eine Haupteinnahmequelle aus. Die Cosa Nostra operiert weltweit und ist auch in Deutschland aktiv.

Bis zum Ende des 20. Jahrhunderts galt sie noch als gefährlichste kriminelle Organisation Italiens: Inzwischen wurde sie durch die kalabrische N’drangheta abgelöst, die ihren Machtbereich in ganz Europa, Nord- und Südamerika, Russland und Australien ausgedehnt hat. Sie ist die am stärksten in Deutschland operierende Mafiaorganisation. Auch sie organisiert sich in Familienclans, die aber tatsächlich blutsverwandt sind. Die zweitstärkste italienische Mafia ist die Camorra aus dem Grossraum Neapel. Sie ist nicht zentral organisiert, mehrere Clans konkurrieren miteinander.

Und trotzdem: Die Cosa Nostra dominiert ganze Wirtschaftszweige, während Männer wie Lucky Luciano, Carlo Gambino und Al Capone bis heute das Don-Corleone-Bild prägen. Erfahren Sie mehr über die Aktivitäten der Mafia in den USA im zweiten Teil unserer Reihe "Mythos Mafia".

Verwendete Quellen

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