Tausende Menschenleben hat das schwere Erdbeben im nordwestafrikanischen Marokko gefordert. Rettungskräfte suchen noch immer nach vermissten und verschütteten Personen. Besonders in einigen Bergdörfern herrscht Ausnahmezustand.

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Während Rettungskräfte behutsam Erde und Gestein abtragen, trösten andere Helfer die verzweifelte Mutter, die um ihre Tochter unter dem Geröll bangt. Ob die 20-Jährige das verheerende Erdbeben in Marokko überleben wird, ist am Sonntagabend noch völlig offen.

Damit die junge Frau eine Chance hat, müssen die Helfer in dem Dorf Ouirgane im Süden von Marrakesch mit grosser Vorsicht vorgehen. Die Rettung geht deswegen nur sehr langsam voran, während sich zugleich das Zeitfenster für die unter den Trümmern Eingeschlossenen schliesst. Rund 72 Stunden kann ein Mensch längstens ohne Wasser auskommen, sagen Experten.

Für die Such- und Bergungskräfte im Land ist deshalb, seit das Beben der Stärke 6,8 Marokko in der Nacht zu Samstag erschütterte, ein Wettlauf gegen die Zeit angebrochen. Es war das schlimmste Beben in dem Land seit Jahrzehnten. Nach bisherigen amtlichen Angaben kamen mindestens 2.122 Menschen ums Leben, mindestens 2.421 weitere Menschen wurden verletzt.

Hilfe erreicht Bergdörfer erst spät

Nicht weit entfernt von der Bergungsstelle, wo um das Leben der 20-Jährigen gekämpft wird, betet ein erschöpft aussehender Mann vor Häuserruinen. Auf der gegenüberliegenden Seite der Strasse, die durch Ouirgane führt, streiten derweil mehrere Anwohner um Lebensmittel und Wasser, die Einsatzkräfte soeben gebracht haben.

Bis die offizielle Hilfe im Dorf sowie in den Nachbarorten angelaufen ist, hat es lange gedauert. Die Verzweiflung unter den Menschen ist deshalb gross. Zunächst seien nur private Helfer gekommen, berichten die Bewohner. Viele Strassen waren zunächst etwa durch abgebrochene Felsen blockiert. Die Helfer kamen in den abgelegenen Bergregionen deshalb nur mit Mühe voran.

Am Sonntagnachmittag rollen dann endlich Lastwagen der Armee in grosser Zahl die engen und steilen Serpentinen-Strassen südlich von Marrakesch entlang. Soldaten errichten Zeltstädte für die Menschen, die ihr Obdach verloren haben oder sich vor dem Einsturz ihrer Häuser durch weitere Erdstösse fürchten.

Helfer aus Spanien und Grossbritannien im Einsatz

Obwohl mehrere Länder, darunter Deutschland, Hilfe angeboten haben, nahm Marokko zunächst nur von vier Ländern Unterstützung an. Das marokkanische Innenministerium hatte am späten Sonntagabend erklärt, die Behörden hätten eine genaue Bewertung der Bedürfnisse vor Ort vorgenommen.

Dabei sei berücksichtigt worden, dass ein Mangel an Koordinierung in solchen Situationen zu nachteiligen Ergebnissen führen würde, meldete die marokkanische Nachrichtenseite Hespress.

Inzwischen haben Such- und Rettungsteams aus Spanien und Grossbritannien ihren Einsatz in Marokko aufgenommen. Sie würden gegenwärtig die örtlichen Einsatzkräfte in betroffenen Gebieten unterstützen, berichtete die marokkanische Nachrichtenagentur MAP am Montag.

Grossbritannien schickte 60 Such- und Rettungsexperten samt Ausrüstungen sowie vier Suchhunde nach Marokko, um die Einsätze unter marokkanischer Führung zu unterstützen, wie der britische Botschafter Simon Martin auf der Social-Media-Plattform X (vormals Twitter) mitteilte. Auch eine Spezialeinheit des spanischen Militärs mit Suchhunden flog am Sonntag nach Marokko.

Überflutungen: Zahl der Todesfälle in Griechenland steigt

Die Zahl der Todesopfer in den überfluteten Gebieten in Mittelgriechenland ist auf zehn gestiegen. Vier Menschen werden noch vermisst, darunter auch ein Ehepaar aus Österreich, wie der griechische Ministers für Zivilschutz, Vassilis Kikilias, im griechischen Fernsehen (ERT) sagte. © ProSiebenSat.1

In Marrakesch geht das Leben weiter

An einer Strasse, die Richtung Marrakesch führt, bitten Anwohner Autofahrer am Sonntagabend darum, ihre Handys kurz in deren Wagen aufladen zu dürfen, um Verwandte und Freunde kontaktieren zu können. "Mir geht es gut, Gott sei Dank", berichtet Fatma aufgeregt ihren Angehörigen am anderen Ende des Telefons.

Seit dem verheerenden Beben am Freitag wurde das nordafrikanische Land, wo Erdbeben generell nur selten vorkommen, von weiteren Nachbeben heimgesucht. Aus Angst vor den Nachbeben verbringen viele Menschen deshalb die Nächte auf den Strassen.

Trotzdem ist in Marrakesch selbst in der Nacht auf Montag nur noch wenig von der Katastrophe zu spüren. Trotz vieler Schäden sind die Cafés und Restaurants der auch bei ausländischen Touristen beliebten Stadt gut gefüllt. Die Nachrichten aus den rund anderthalb Fahrtstunden entfernten Dörfern, die in vielen Lokalen auf Bildschirmen übertragen werden, wirken hier sehr weit weg.

Marokko kündigt Sonderfonds für Erdbebenhilfe an

Die marokkanische Regierung kündigte unterdessen einen Sonderhilfsfonds für die notleidende Bevölkerung an. Damit sollten unter anderem Kosten zur Absicherung beschädigter Häuser gedeckt werden, berichtete Hespress unter Berufung auf einen Regierungssprecher.

Zur Höhe des Fonds gab es keine Angaben. Er solle sich aus Geldern öffentlicher Einrichtungen und freiwilliger Beiträge des Privatsektors zusammensetzen, hiess es. Zur medizinischen Versorgung der Verletzten seien neben den ortsansässigen Krankenhäusern und Ambulanzdiensten mehr als 1.000 Ärzte sowie 1.500 Krankenschwestern und Pfleger mobilisiert worden. (dpa/thp)

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