Geschlossene Läden, gestrichene Flüge, blockierte Wahrzeichen, fliegende Steine, brennende Müllcontainer: Die seit Tagen anhaltenden Proteste der katalanischen Separatisten bereiten in Spanien immer mehr Probleme - und immer grössere Sorgen vor der Zukunft.
Massendemonstrationen, neue schwere Unruhen und ein 24-stündiger Generalstreik haben den Unabhängigkeitskonflikt in Katalonien bedrohlich angeheizt. Mehr als eine halbe Million Menschen versammelten sich am Freitagabend nach Schätzung der Stadtpolizei im Zentrum der Regionalhauptstadt Barcelona, um gegen Haftstrafen für neun Separatistenführer zu protestieren.
Die Hauptkundgebung auf dem Prachtboulevard Passeig de Gracia im Zentrum Barcelonas verlief zwar ohne grössere Zwischenfälle. Die Teilnehmer allen Alters forderten in zumeist ausgelassener Stimmung die Freilassung der "politischen Gefangenen" und sangen auch die katalanische Hymne. Unweit davon kam es aber auf einer Demo von mehreren Hundert zumeist jungen Menschen vor dem Polizeipräsidium erneut zu Zusammenstössen mit der Polizei. Es war der fünfte Krawalltag in Folge in Barcelona.
Vermummte und dunkel gekleidete Antifa-Aktivisten, die in dieser grossen Zahl erst seit kurzem an den Separatisten-Protesten teilnehmen, bewarfen Polizisten unter anderem mit Steinen und Eiern und zündeten erneut Müllcontainer an. Die Beamten setzten Schlagstöcke gegen die Krawallmacher ein. Wie die Polizei mitteilte, wurden drei Kundgebungsteilnehmer - darunter zwei Minderjährige - festgenommen. Ein Beamter sei verletzt worden. Ausschreitungen gab es am Abend auch in Girona, Tarragona und Lleida.
128 Demonstranten festgenommen
Innenminister Fernando Grande-Marlaska sagte, seit Beginn der Proteste am Montag seien in ganz Katalonien 128 Demonstranten festgenommen worden. Von diesen seien neun aktuell hinter Gittern, sie seien entweder in U-Haft oder warteten auf die Anhörung durch den Ermittlungsrichter. Man werde gegen gewalttätige Demonstranten "das Strafrecht in aller Härte anwenden", sagte der Minister der sozialistischen Zentralregierung vor Journalisten in Madrid. Grande-Marlaska bezifferte die Zahl der "organisierten gewaltbereiten Demonstranten" auf etwa 400.
Die Proteste erreichten am Freitag auch die Sagrada Familia, eines der Wahrzeichen Barcelonas. Hunderte Demonstranten blockierten zeitweise die Zugänge zum weltberühmten Gotteshaus. Später wurden die Pforten der bis heute unvollendeten Basilika des Architekten Antoni Gaudí (1852-1926) komplett geschlossen, "um die Sicherheit von Besuchern, Arbeitern und Belegschaft zu garantieren".
An der Grosskundgebung nahmen auch rund 30 000 Menschen teil, die in fünf "Märschen für die Freiheit" nach Barcelona gekommen waren. Sie hatten sich vor einigen Tagen - begleitet unter anderem von zahlreichen Traktoren - von verschiedenen Städten aus auf den Weg nach Barcelona gemacht.
Die Aktionen sind eine Reaktion auf Urteile des Obersten Gerichts in Madrid, das am Montag sieben ehemalige Spitzenpolitiker der abtrünnigen Region und zwei Anführer ziviler Organisationen des Aufruhrs für schuldig befunden hatte. Wegen ihrer Rolle bei dem illegalen Abspaltungsreferendum vom Oktober 2017 wurden sie zu Gefängnisstrafen von bis zu 13 Jahren verurteilt. Seither gibt es in Katalonien massive Proteste von Befürwortern einer Unabhängigkeit der vergleichsweise wohlhabenden Region im Nordosten Spaniens.
Mehrere Dutzend Flüge gestrichen
Wegen des Generalstreiks wurden unter anderem mehrere Dutzend Flüge vor allem der Gesellschaften Iberia und Vueling gestrichen. Auch der Zugverkehr war beeinträchtigt, Dutzende Strassen wurden von Demonstranten blockiert. Hafenarbeiter und Angestellte der VW-Tochter Seat legten die Arbeit ebenso nieder wie die Belegschaft der Supermarktkette Bonpreu. Auch zahlreiche Hörsäle an den Unis und viele Klassenzimmer blieben leer.
In Teilen des Zentrums von Barcelona wirkten Strassen teilweise wie ausgestorben. Geschäfte waren geschlossen, kaum ein Auto war unterwegs. "So habe ich das an einem Wochentag hier noch nie gesehen", sagte ein Hausmeister im zentralen Viertel Eixample.
Der von Spanien zur Festnahme ausgeschriebene Separatistenchef Carles Puigdemont bleibt in Belgien vorerst auf freiem Fuss. Der Ex-Regionalpräsident meldete sich selbst bei der Polizei in Brüssel, nachdem Spanien europäischen Haftbefehl gegen ihn ausgestellt hatte. Er widersprach den Vorwürfen der spanischen Justiz. Der Politiker wurde zunächst verhaftet, ein Untersuchungsrichter verfügte am Freitagnachmittag aber die Freilassung unter Auflagen. Puigdemont muss am 29. Oktober wieder vor dem Richter erscheinen.
Der frühere Separatistenführer war 2017 nach Belgien geflohen. Die spanische Justiz wirft ihm Aufruhr und Zweckentfremdung öffentlichen Geldes vor. Einem früheren Auslieferungsbegehren waren die belgischen Behörden nicht gefolgt. Puigdemont war 2018 in Deutschland festgenommen worden, aber nach einigen Tagen Haft wieder freigekommen. Später hob das Schleswig-Holsteinische Oberlandesgericht den Auslieferungshaftbefehl auf. Am Montag hatte die spanische Justiz den internationalen Haftbefehl reaktiviert. (dpa/fra)
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