• Am Freitag beginnt in Dresden der Prozess gegen sechs Männer, die ins Grüne Gewölbe eingebrochen und Schmuckstücke im Wert von mehr als 113 Millionen Euro gestohlen haben sollen.
  • Die Angeklagten sind Angehörige eines Clans, der in Berlin schon für einige Verbrechen verantwortlich war.
  • "Ich habe im Remmo-Clan die besten, aber auch die schlechtesten Menschen kennengelernt", sagte uns ein Wissenschaftler, der intensiv zu dem Thema forscht.

Mehr aktuelle News finden Sie hier

Als vor rund zwei Jahren drei junge Männer verurteilt wurden, weil sie eine 100 Kilogramm schwere Münze aus dem Berliner Bode-Museum gestohlen hatten, fand die Vorsitzende Richterin in ihrem Urteilsspruch beachtliche Worte: Diesen Schatz zu stehlen, erfordere "Dreistigkeit, Mut und Risikobereitschaft ganz besonderer Güte".

Natürlich war es aber auch ein schweres Verbrechen und die Täter wurden zu mehreren Jahren Haft verurteilt. Zwei von ihnen, Ahmed und Wissam, sind Mitglieder der Familie Remmo aus Berlin - und es lief noch der Bode-Museum-Prozess gegen sie, als sie gemeinsam mit anderen ihren nächsten, noch grösseren Diebstahl durchzogen: den von 21 Schmuckstücken aus dem Grünen Gewölbe in Dresden am 25. November 2019.

Der Prozess gegen insgesamt sechs Remmos beginnt am Freitag (28. Januar) am Dresdner Landgericht.

Remmo-Clan: Wie viele Mitglieder gibt es?

Nicht nur in Berlin ist der Name Remmo vielen ein Begriff. Issa Remmo, Mitte 50, gilt als das Oberhaupt eines Clans, der ursprünglich aus dem Südosten der Türkei in den Libanon und dann wegen des dortigen Bürgerkriegs in den 1990ern nach Deutschland flüchtete. Er wohnt in Alt-Buckow, einem Ortsteil von Berlin-Neukölln.

Die Liste der Vergehen, für die Remmos verurteilt wurden, ist nicht gerade kurz und es sind auch brutale Verbrechen darunter. Neben Drogengeschäften und Körperverletzungen gibt es da einen Einbruch in eine Sparkasse und auch einen Mord. Ende letzten Jahres gab es eine grosse Razzia, 77 Immobilien der Familie wurden beschlagnahmt .

Einer, der die Clanstrukturen ziemlich gut kennt, ist Mahmoud Jaraba. Er ist Politologe und forscht an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU) zu diesem Thema. Er arbeitet in einem Projekt, das verhindern soll, dass Mitglieder eines Clans kriminell werden.

Denn anders als mitunter in der Öffentlichkeit dargestellt, stecken nicht alle Personen in einem Clan unter einer Decke.

Clan = Kriminalität?

In den vergangenen Jahren hat sich der Begriff "Clan-Kriminalität" etabliert. Bei der Polizei wird diese "Clan-Kriminalität" formal oft der Organisierten Kriminalität zugerechnet, obwohl das, wie Mahmoud Jaraba sagt, nicht der Realität entspricht.

"Der Remmo-Clan ist zum Beispiel überhaupt nicht organisiert - im Gegenteil", sagte Jaraba im Gespräch mit unserer Redaktion. Es gebe Konflikte innerhalb des Clans, Spaltungen und Teile der Familie, die einander nie kennengelernt haben.

Hat der Begriff "Clan" mittlerweile für viele bereits eine negative Konnotation, bezeichnet er eigentlich nur eine Grossfamilie, die aus dem türkischen, kurdischen oder arabischen Raum kommt. Diese Familie besteht in der Regel aus mehreren Sub-Clans, die oft gar nichts miteinander zu tun haben. Sub-Clans wiederum teilen sich auf verschiedene "Häuser" auf, die normalerweise zwei bis drei Generationen umfassen.

"Kriminalität findet meist innerhalb dieser Häuser statt", sagt Jaraba. Denn dort sei das Vertrauen unter den Mitgliedern gross. "Schon ausserhalb des Hauses vertraut man einander meist gar nicht mehr."

Immer dieselben Personen

Jarabas Recherchen haben ergeben, dass stets nur ein kleiner Teil der Familie in kriminelle Machenschaften verstrickt ist. "Es ist immer nur die gleiche kleine Minderheit, die da auffällt."

So gebe es also zahlreiche Remmos, die mit den Verbrechen nicht nur nichts zu tun haben, sondern sie auch deutlich missbilligen. Jaraba sagt, er habe unter den Remmos "die besten, aber auch die schlechtesten Menschen kennengelernt".

Einige von ihnen seien stolz auf ihre kriminellen Aktivitäten und dächten den ganzen Tag darüber nach, welcher neue Coup ihnen gelingen könnte, sagt der Politologe, der sich mit zahlreichen Clan-Mitgliedern getroffen hat. "Ihnen geht es vor allem um Macht und Geld." Ihre kriminellen Aktivitäten sollten nicht verharmlost oder unterschätzt werden, sagt Jaraba. Ihm geht es aber um ein Verständnis davon, wo sie stattfinden.

Der "Tagesspiegel" hat vor ein paar Jahren einige der Vergehen aufgelistet: Ein Sohn Issa Remmos soll einen Mann ermordet, ein weiterer einen verletzt haben. Für den Überfall auf die Sparkasse mit 9,16 Millionen Euro Beute wurde einer seiner Brüder zu einer Haftstrafe verurteilt. Zwei weitere Brüder standen wegen Diebstahls vor Gericht beziehungsweise wurden verurteilt. Auch Ahmed und Wissam, die für den Diebstahl der Bode-Museum-Münze verurteilt wurden und jetzt in Dresden wieder vor Gericht stehen, stammen offenbar aus dem engeren Familienkreis.

Insgesamt 35.000 bis 50.000 Menschen aus etwa 30 Grossfamilien

Das alles scheint Mahmoud Jarabas These zu bestätigen, dass der kriminelle Teil der Grossfamilie klein und immer derselbe ist. "Von einem grossen Netzwerk oder organisierter Kriminalität zu sprechen, ist einfach falsch", sagt er.

Das gilt mehr oder weniger auch für andere Clans. Mitglieder von insgesamt 30 Grossfamilien stammen, wie die Remmos, aus dem Südosten der Türkei, und leben mittlerweile überwiegend in Nordrhein-Westfalen, Bremen, Niedersachsen und eben Berlin. Mahmoud Jaraba schätzt, dass es zwischen 35.000 bis 50.000 Personen sind.

"Sie haben aber kein gemeinsames Oberhaupt, sondern höchstens verschiedene Oberhäupter über Sub-Gruppen. Viele Familien sind auch komplett unabhängig und haben gar keinen Clan-Chef oder Ähnliches", sagt Jaraba. Da sie den gleichen Familiennamen tragen, erfahren sie häufig Diskriminierung, etwa bei der Wohnungssuche.

Dass der Nachname der Verdächtigen überhaupt bekannt ist, hat zum Teil auch mit der Öffentlichkeitsarbeit von Behörden zu tun: In mehreren Mitteilungen etwa der Polizei und der Staatsanwaltschaft Dresden werden sie mit vollem Namen genannt.

Über den Experten: Dr. Mahmoud Jaraba ist Politologe und vom Erlanger Zentrum für Islam und Recht in Europa (EZIRE) an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg (FAU).

Verwendete Quellen:

  • Interview mit Dr. Mahmoud Jaraba
  • Expertise von Mahmoud Jaraba: Arabische Grossfamilien und die "Clankriminalität"
  • Mitteilungen des Landgerichts Dresden zur Hauptverhandlung im Fall "Grünes Gewölbe" und der Staatsanwaltschaft Dresden vom 2. September 2021, vom 19. August 2021, vom 5. Januar 2021 und vom 17. November 2020
  • Pressemitteilung Landgericht Berlin vom 20. Februar 2020
  • Tagesspiegel.de: Grossfamilie R. – die Berliner Blutsbande
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.