- Eine wachsende Zahl von Autoherstellern will Tesla den Spitzenplatz in der Elektromobilität streitig machen.
- Deutschland ist in diesem Konkurrenzkampf gut aufgestellt.
- Die neue E-Revolution dürfte allerdings auf einem anderen Kontinent stattfinden.
Wenn der Aktienkurs eines Unternehmens einen Blick in die Zukunft gestattet, dann hängt am Himmel über Wolfsburg gerade ein ganz schön fetter Silberstreif. Allein in den vergangenen 30 Tagen legte der Aktienkurs des niedersächsischen Autobauers um 37 Prozent zu, im Vergleich zum Vorjahr hat sich die Aktie mehr als verdoppelt. Stand jetzt ist VW das wertvollste Unternehmen in Deutschland.
Kurzfristig mag das vor allem damit zu erklären sein, dass in Wolfsburg zuletzt kaum ein Tag verging, an dem Konzernchef Herbert Diess nicht irgendeine positive Neuigkeit zu verkünden hatte. Vor zwei Wochen gab der Manager bei einem üppig inszenierten "Battery Day" den Aufbau einer grossen Batterie-Zellfertigung bekannt. Bis 2030 sollen gemeinsam mit Partnern sechs Produktionsanlagen mit einer jährlichen Kapazität von 240 Gigawattstunden in Betrieb genommen werden.
Als die Wolfsburger kurz danach auch noch sehr gute Bilanzzahlen, sowohl für den Gesamtkonzern als auch die einzelnen Marken, präsentierten, brachen an der Börse die Dämme. Nach einem harten letzten Jahr für Diess, das von Querelen in der Unternehmensführung überschattet war, hat der gebürtige Österreicher gerade einen ziemlichen Lauf.
Langfristig ist diese Entwicklung so zu erklären, dass die Investoren den VW-Konzern unter allen etablierten Autobauern am besten aufgestellt sehen, um es mit dem bisherigen Branchenprimus Tesla aufzunehmen. Seitdem Diess vor fünf Jahren auf dem Pariser Autosalon das erste Elektrofahrzeug namens "I.D." präsentierte, hat der Manager seinen Konzern schliesslich ganz auf die Entwicklung von Stromern getrimmt. Bis 2030 will das Unternehmen CO2-frei sein, was nur dann gelingen kann, wenn die Verbrenner sukzessive aus dem Programm verschwinden. Die Investoren, die in ihren Portfolios nur noch ungerne rendite-spuckende Dreckschleudern liegen haben, freut das.
VW hat in Europa die Nase vorn
VW setzt dabei konsequent auf eine eigene Elektro-Architektur, anders als die deutschen Konkurrenten Daimler und BMW, deren E-Autos noch teilweise auf modifizierten Verbrenner-Plattformen basieren. Konkret handelt es sich um zwei Plattformen: Die erste, mit dem Namen MEB, kommt vor allem in den Modellen aus dem Klein- und Mittelwagensegment zum Einsatz, darunter den ID-Modellen, dem Audi Q4 E-Tron oder dem Skoda Enyaq.
Im Laufe des Jahres soll dann die "Premium Platform Electric" (PPE) folgen, die für alle Modelle ab der Mittelklasse aufwärts geeignet ist und in den leistungsstärkeren Modellen aus dem Hause Audi und Porsche zum Einsatz kommen soll. VW versucht damit dem Problem begegnen, dass zum jetzigen Zeitpunkt fast jede Produktlinie eine eigene Plattform besitzt, was wesentlich teurer ist als eine einheitliche Architektur.
Für den Verbraucher ist das allerdings weniger entscheidend. Hauptsache die Batterie hält. Kein Argument gegen das E-Auto hat sich so verfestigt wie die Sorge, irgendwo in der deutschen Ladensäulen-Wüste mit einer rot blinkenden Batteriestatus-Anzeige stecken zu bleiben.
Tesla liegt hier mit Reichweiten von bis zu 610 Kilometern (Model S) vorne, doch mit dem Audi e-Tron (410 Kilometer) schafft es auch ein Fahrzeug aus dem Volkswagen-Konzern auf die vorderen Plätze. Schon im vierten Quartal 2020 verkaufte VW nun erstmals mehr Fahrzeuge als die Kalifornier, nach Schätzungen von Experten könnte VW ab dem Jahr 2024 dauerhaft vorne liegen.
Etwas weniger rosig sieht es für Daimler aus. Glaubt man dem Center of Automotive Management (CAM), belegen die Stuttgarter nur Platz zehn in Sachen Innovationsfähigkeit bei Elektrofahrzeugen. Für den Erfinder des Automobils, der heute mit dem griffigen Slogan "Das Beste oder Nichts" wirbt, muss das enttäuschend sein.
Insbesondere deshalb, weil man den Trend zur E-Mobilität ja eigentlich nicht verschlafen hatte. Bereits im Jahr 2012 elektrifizierte der damalige Daimler-Chef Dieter Zetsche den Kleinwagen Smart und ergänzte die Produktpalette kurz darauf um eine gemeinsam mit Tesla entwickelte E-Variante der B-Klasse, die bereits revolutionäre 200 Kilometer weit fuhr.
Doch entweder scheute man zu diesem Zeitpunkt noch die milliardenschweren Investitionen, die für einen ordentlichen Aufschlag in das Elektrozeitalter notwendig gewesen wären, oder man hatte schlicht verkannt, an welcher Bedeutung das Thema in den kommenden Jahren gewinnen würde. Eine Minderheitsbeteiligung an Tesla verkaufte man jedenfalls noch im Oktober 2014 für 600 Millionen Euro. Heute wäre das Paket rund 45 Milliarden Euro, also einen Viertel-Jahresumsatz, wert.
Daimler hat den Turbo eingeschaltet
Unter Zetsches Nachfolger Ola Källenius hat Daimlers E-Strategie nun wieder Fahrt aufgenommen. Nächstes Jahr will Mercedes acht Elektroautos auf den Markt bringen, darunter auch die nur noch elektrisch erhältlichen Modelle der Tochter Smart. In Stuttgart rechnet man damit, dass sogenannte xEVs – Plug-in-Hybride und vollelektrische Fahrzeuge – 2030 mehr als die Hälfte des Absatzes ausmachen werden.
Zum Problem könnte nun werden, dass Daimler – anders als VW und Tesla – den Einstieg in die Batterieproduktion bislang scheut. Durch eine Kooperation mit dem amerikanisch-chinesischen Batterieproduzenten Farasi wollte man eigentlich die Versorgung mit Lithium-Ionen-Zellen sichern und so mehr als die Hälfte der von Daimler in Europa benötigten Zellen fertigen.
Doch der relativ junge Hersteller, an dem Daimler mit 400 Millionen Euro beteiligt ist, machte zuletzt vor allem mit Produktionsmängeln auf sich aufmerksam. Dazu kommt, dass für eine Fertigungsstätte in Bitterfeld (Sachsen-Anhalt) noch nicht einmal die Baugenehmigung erteilt wurde, obwohl dort ab 2022 bereits die Produktion für den europäischen Markt starten soll.
Auch bei der eigenen E-Mobil-Plattform ist Daimler bislang im Rückstand. Modelle wie der EQC basieren auf einer Art modifizierter Verbrennerarchitektur, die intern "EVA 1" genannt wird. Das ist zwar günstiger, hat jedoch den Nachteil, dass die Autos in Sachen Komfort, Reichweite und Wirtschaftlichkeit eine Art Kompromiss aus neuer und alter Welt sind.
Entsprechend dürftig sind auch die Absatzzahlen. In diesem Jahr will Mercedes nun mit dem EQS, einer Luxus-Limousine, neue Massstäbe setzen. Das Auto soll bis zu 700 Kilometer Reichweite schaffen und auf einer eigenständigen, neu entwickelten Stromer-Plattform basieren. Eine besonders hohe Nachfrage sehen die Stuttgarter in China.
Auf weniger Konkurrenz sollte sich Daimler im chinesischen Markt allerdings nicht einstellen. Bislang ist das Tesla Model 3 der Verkaufsschlager im Reich der Mitte, doch in kaum einem Markt spriessen gerade so viele E-Hersteller aus dem Boden. Das liegt an einem nicht versiegenden Strom von Investoren, die in China Milliarden in die E-Mobilität stecken, unter anderem deshalb, weil die Regierung teilweise massiv mit Subventionen nachhilft. Schätzungen zufolge zahlten staatliche Stellen zwischen 2016 und 2018 rund 3,3 Milliarden US-Dollar an Hilfen für E-Autos. Das nächste Tesla, so unken Branchenkenner, könnte gerade irgendwo zwischen Shenzen und Peking entstehen.
In China bahnt sich eine E-Revolution an
Besonders viel trauen die Kapitalmärkte derzeit dem Hersteller "Nio" zu. Das Start-up aus Shanghai, das rund 5000 Mitarbeiter an 19 Standorten beschäftigt, wurde 2018 mit der Idee bekannt, die weltweit erste "Power Swap Station" zu betreiben, wo Autofahrer ihre verbrauchte Batterie einfach austauschen lassen können. Nur wenige Minuten dauert das, weitaus kürzer als das zeitaufwendige Laden. Stand jetzt, sind 177 solcher Stationen bereits in ganz China installiert, bis Ende 2021 soll die Zahl auf 500 steigen.
Besonders effizient zeigt sich Nio auch im Verkauf: Der Vertrieb verläuft ausschliesslich online, wenn auch unterstützt durch Stores in chinesischen Grossstädten. In Europa will Nio im dritten Quartal dieses Jahres an den Start gehen, in einem der "Elektromobilität sehr zugeneigten Land", wie Firmenchef William Li zuletzt auf einer Pressekonferenz ankündigte. Es ist davon auszugehen, dass Norwegen gemeint ist.
Zum grossen Tesla-Jäger könnte das Modell ET7 werden, eine 5,09 Meter lange Limousine, die von zwei Elektromotoren an der Vorder- und Hinterachse angetrieben wird. 2022 soll der Viertürer in drei verschiedenen Antriebspaketen und zu einem Listenpreis von umgerechnet 55.500 Euro auf den Markt kommen. Eines davon verspricht Reichweiten von bis zu 1000 Kilometern. Das wäre eine echte Revolution.
Überhaupt dürften sich die Konsumenten noch auf die ein oder andere Revolution in der Elektro-Autobranche freuen, auch deshalb, weil gerade ein weiteres Unternehmen einen Angriff auf die Industrie plant: Apple
Verwendete Quelle:
- FAZ.de: VW baut sechs "Gigafabriken" für Batteriezellen in Europa
- Center of Automotive Management: Electromobility Report 2020
- Business Insider: Mercedes neuer Batterie-Partner Farasis enttäuscht: Die Qualität der ersten Zellen sei "katastrophal"
- Statista.de: Absatz von Batterieelektro- und Plug-in-Hybrid-Automobilen in ausgewählten Märkten weltweit in den Jahren 2015 bis 2019
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