Die Mordzahlen haben in Mexiko ein neues Rekordhoch erreicht. Allein im Mai wurden 2.168 Menschen getötet - so viele wie noch nie seit dem Beginn der Erhebung der Zahlen vor 20 Jahren. Die Folgen für das Land sind dramatisch.
Nur selten schafft es die Gewalt in Mexiko in die internationalen Schlagzeilen.
Als 2014 43 Studenten von der Polizei verschleppt und wahrscheinlich von Mitgliedern einer Drogenbande getötet und verbrannt wurden, war dies der Fall.
Auch der Mord an der Bürgermeisterin Gisela Mota im Januar 2017 erregte Aufsehen.
Die 33-Jährige von der Linkspartei PRD wollte sich in der Kleinstadt Temixco gegen den Drogenhandel und die organisierte Kriminalität einsetzen. Nach einem Tag im Amt wurde sie von Auftragsmördern getötet.
Nun ist Mexiko wieder in den Nachrichten, wieder ist Gewalt der Grund. 2.168 Menschen wurden im Mai ermordet – der höchste Monatswert seit Erhebung der Zahlen vor 20 Jahren in dem mittlerweile 123-Millionen-Land.
Was sind die Ursachen für die Gewaltexzesse? Und was macht das mit dem Land und seinen Bewohnern?
Situation "sehr deutlich verschlechtert"
In ganz Lateinamerika und der Karibik ist die Lage dramatisch: Ein Drittel aller Morde weltweit geschieht dort, aber nur acht Prozent der Weltbevölkerung leben in dieser Region.
"Mexiko ist nicht das gewalttätigste Land Lateinamerikas. Honduras, Venezuela und El Salvador haben eine vergleichsweise sehr viel höhere Mordrate", sagt Ingrid Spiller, Referatsleiterin Lateinamerika der Heinrich-Böll-Stiftung, im Gespräch mit unserer Redaktion. "Aber die Situation in Mexiko hat sich in den letzten Monaten wieder sehr deutlich verschlechtert."
Zum Vergleich: In Deutschland mit seinen rund 83 Millionen Menschen gab es 373 Mordopfer – im ganzen Jahr 2016. In Mexiko sind allein 2017 schon fast 10.000 Tote zu beklagen.
"Besorgniserregend ist dies nicht nur wegen der hohen Zahl an Morden, sondern auch wegen der fehlenden Strafverfolgung – die Straflosigkeit liegt bei über 95 Prozent", betont Spiller.
Für oder gegen die Banden?
Was sind die Ursachen der Zustände? Teile des Landes stehen unter Kontrolle von Drogenkartellen und rivalisierenden Banden.
Wer Bürgermeister oder Polizeipräsident einer Stadt wird, muss sich entscheiden: Arbeite ich für oder gegen die Banden? Letzteres kann – wie im Fall Gisela Mota – tödlich enden.
Die Folge: An manchen Orten sind Bürgermeister- und Polizeiposten verwaist, der Staat zieht sich zurück.
"Die Ursachen der Gewalt sind vor allem in den Auseinandersetzungen mit und unter den Drogenkartellen zu finden", erklärt Mexiko-Expertin Spiller.
In den letzten Jahren wurden viele hochrangige Bosse durch Behörden festgenommen oder ausgeschaltet, etwa der Chef des Sinaloa-Kartells Chapo Guzmán.
Die Strategie hat allerdings nicht zur Schwächung der Drogenmafia geführt, sondern zur "weiteren Eskalation der Gewalt", so Spiller.
185.000: Schockierende Mordzahlen
Brutale Machtkämpfe innerhalb der einzelnen Kartelle, Abspaltung von Gruppen, neue Gruppen drängen nach oben. Es ist ein mörderischer Kampf um die territoriale Vorherrschaft.
"Es geht schliesslich um sehr viel Geld", betont die Expertin. Mit dem Schmuggel von Heroin oder Kokain sowie Schutzgelderpressung, Menschenhandel und Benzindiebstahl verdienen die Kriminellen Milliarden.
Zwischen 2006 und 2016 hat der Drogenkrieg – innerhalb der Kartelle und zwischen dem Staat und den Kartellen – in Mexiko über 185.000 Opfer gefordert.
Laut dem Heidelberger Institut für Internationale Konfliktforschung gilt der Konflikt seit 2010 als "innerstaatlicher Krieg".
Der mexikanische Ferienort Acapulco ist eine der drei gefährlichsten Städte der Welt, den Titel der weltweiten "Mordhauptstadt" trägt San Pedro Sula (Honduras) vor Caracas (Venezuela).
Die dramatischen Folgen des Mordens
Die Folgen für die Bevölkerung sind dramatisch. Obwohl die Mehrheit der Toten zu den Kartellen gehören, werden viele unbeteiligte Menschen getötet, die zur falschen Zeit am falschen Ort waren oder Opfer von Verwechslungen wurden.
"Inzwischen hat sich die Gewaltsituation in die Köpfe eingebrannt, ist fast schon zur Normalität geworden", sagt Spiller.
Je nach Wohnort gehört die Gewalt zum Alltag der Mexikaner, zumindest über die Medien ist das Thema aber dauerhaft präsent.
Auch Fluchtbewegungen innerhalb der Länder oder ins Ausland sind eine Folge des Drogenkrieges.
2014 erreichten über 60.000 unbegleitete Kinder die Grenze zu den Vereinigten Staaten, US-Präsident Barack Obama sprach von einer humanitären Katastrophe.
Neben dem persönlichen Leid durch Traumata oder andere psychische Erkrankungen hat die Gewalt auch soziale, wirtschaftliche und politische Auswirkungen.
Das Töten in Mexiko geht weiter
Die weltweiten Folgekosten von Tötungsdelikten betragen laut Institut für Wirtschaft und Frieden (IEP) rund 1,43 Billionen US-Dollar.
"Es gibt viele zivilgesellschaftliche Initiativen, die nach Wegen suchen, diese mörderische Konjunktur zu stoppen und den Staat in seine Verantwortung für die öffentliche Sicherheit zu zwingen", sagt Ingrid Spiller.
Das Justizwesen gilt als Schlüssel zur Bekämpfung der Mord-Epidemie. Auch die Legalisierung von Drogen – damit würde den Kartellen eine wichtige Geschäftsgrundlage entzogen – wird vermehrt als Lösungsansatz diskutiert.
Noch ist keine Trendwende zu erkennen – ganz im Gegenteil. Lateinamerika ist die einzige Region der Welt, in der die Zahl der Tötungsdelikte zwischen 2000 und 2012 gestiegen ist. Die Zeit der Negativschlagzeilen ist noch nicht vorüber.
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