Natascha Kampusch hat ein Buch über den Hass im Netz geschrieben. Im Interview spricht sie über "Cyberneider", unseren nachlässigen Umgang im Netz und darüber, welche Schutzmechanismen sie für sich selbst aufbauen musste.

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Natascha Kampusch, notierte der österreichische "Standard" einmal, war eines der ersten prominenten Opfer von Cybermobbing. 2006 befreite sich die damals 18-Jährige nach acht Jahren Gefangenschaft aus der Gewalt ihres Entführers – und stand plötzlich in der Weltöffentlichkeit.

Schon damals hetzten Menschen in Internetforen und Chatprogrammen gegen Kampusch und verbreiteten Verschwörungstheorien über die Österreicherin.

Nun hat Kampusch ein Buch über den Hass im Netz geschrieben. Immer wieder webt sie auch ihre Geschichte mit ein und schreibt über ihre eigenen Erfahrungen mit Online-Mobbing.

Frau Kampusch, wann haben Sie sich zuletzt selbst gegoogelt?

Natascha Kampusch: Das ist schon sehr lange her. Für die Recherche habe ich meinen Namen auf Instagram gesucht, da existieren einige Fake-Accounts. Ich bin dann doch neugierig, wer sich als Natascha Kampusch ausgibt.

Wenn Sie sich lange nicht mehr gegoogelt haben – ist das ein Schutzmechanismus?

Ja. Wenn ich es doch mal gemacht hatte, kam sofort ein hässliches Bild von mir oder irgendeine Verschwörungstheorie oder Artikel, in denen Leute irgendwelche Aussagen aus Interviews herausnehmen und dramatisieren. Es war einfach schrecklich.

Sie schreiben in Ihrem Buch, dass Sie auch Ihre Leserpost vorsortieren lassen.

Es geht darum, herauszufinden, ob Post etwa von kleinen Kindern kommt, von Journalisten, Verwandten – oder doch von Stalkern. Die schicken meistens Pakete, manchmal auch Blumen, per Botendienst. So etwas will ich mir nicht zumuten, das öffnen andere Leute für mich, da auch hin und wieder Hassnachrichten darunter sind.

Wie sieht es im Internet aus - erkennen Sie da auf den ersten Blick, ob das jetzt ein netter Kommentar ist oder ein Stalker dahintersteckt?

Darin bin ich routiniert. Oft merke ich, dass das Profilbild gefakt ist und gar nicht mit der Nachricht zusammenpasst. Die Kommentare auf meiner Website schaut sich zuerst meine Agentur an, wenn Leute etwas Vorwurfsvolles oder Anzügliches schreiben, nehmen sie das raus. Auch, um andere Besucher meiner Website nicht zu verunsichern oder vor den Kopf zu stossen.

Sie haben sich also einige Schutzmechanismen aufbauen müssen. Andere User haben die nicht. Glauben Sie trotzdem, mit Ihrem Buch diesen Menschen Hilfestellung geben zu können?

Ich habe vor Kurzem mit einer 16-Jährigen gesprochen, die auf Instagram auch ganz seltsame Zuschriften bekommt. Sie löscht einfach rigoros, aber viele finden das spannend oder suchen extra Foren auf, um sich mit Menschen auszutauschen, die sie noch nie gesehen haben. Da rate ich natürlich zur Vorsicht. Man sollte keine persönlichen Daten preisgeben und immer prüfen, was man veröffentlicht. Dieses Mädchen hat zum Beispiel auf Fotos ihr Gesicht unkenntlich gemacht.

Diese Generation ist mit dem Internet aufgewachsen. Ihr Buch liest sich aber wie ein Einstieg ins Thema. Müssen wir uns 2019 immer noch so grundlegend damit befassen, wie wir uns im Netz bewegen?

Zu Beginn waren die Leute noch skeptisch: Was ist das, Facebook? Und dann hiess es: Ah, man vernetzt sich ja nur mit Freunden und Bekannten. Dann wurden diese Leute immer mehr in den Sog hineingezogen und haben sich auch mit fremden Menschen vernetzt, sogar mit Fake-Profilen.

Plötzlich hat sich das Sicherheitsbedürfnis verändert, die Leute wurden nachlässig. Gleichzeitig sind sie auch den Strukturen der Plattformen ausgeliefert, die mit den Daten Werbung machen. Man wird immer mehr zum gläsernen Menschen, und das ist den Leuten immer noch nicht bewusst.

Sie haben Ihr Buch "Cyberneider" genannt. Liegt dem Hass im Netz wirklich Neid zugrunde?

Oft ist es das Unverständnis für die Thematik. Nehmen wir das Beispiel Flüchtlinge: Da heisst es, sie würden uns Versicherungsgelder wegnehmen und Sozialwohnungen bekommen, während arme Rentner in ihren 30-Quadratmeter-Wohnungen hausen. Da denken die Leute nicht darüber nach, wie es eigentlich ist zu fliehen.

Der österreichische Autor Michael Köhlmeier hat jüngst gesagt, für ihn sei "Kränkung" der Begriff der Stunde. Könnte er in Bezug auf den Hass im Netz recht haben?

Ja, natürlich. Etwa in der Gamer-Szene, wo Kränkung ein klares Motiv ist. Ich habe auch ein fürchterliches Beispiel beschrieben: Elliot Rodger, der sich massiv gekränkt und zurückgewiesen gefühlt hat. Dieses Gefühl hat er erst ins Internet getragen und dann eine grausame Tat folgen lassen. [Rodger ermordete im Mai 2014 in Kalifornien sechs Studierende und erschoss sich danach selbst; Anm.d.Red.]

Mit Forderungen an die Politik scheinen Sie sich schwer zu tun, in Ihrem Buch schwanken Sie zwischen dem Wunsch nach schärferen Sanktionen und der Betonung der persönlichen Freiheit, die auch im Netz erhalten bleiben soll.

Man sollte Hass oder Mobbing im Netz mit anderen Mitteln als jetzt verfolgen können. Gerade vor Kurzem schrieb mir jemand, er wolle mich töten – herausfinden liess sich nur, dass der Mensch im Ausland wohnt.

Da hätte ich mir schon gewünscht, dass Plattformen mehr Informationen herausgeben, damit man die Person anzeigen und verklagen kann. Es handelt sich immerhin um eine Morddrohung.

Ich habe den Eindruck, die Politik interessiert sich nicht so brennend für das Thema. Mein Anliegen wäre, dass zuverlässig gewährleistet wird, dass belangt werden kann, wer sich im Netz rassistisch, beleidigend oder bedrohend äussert.

In Ihrem Buch schreiben Sie auch, dass es keinen Sinn ergebe, immerzu den "Meinungssalat" im Netz zu lesen. Nehmen Sie sich manchmal bewusst eine Auszeit von den Sozialen Medien?

Ja, das mache ich. So ein bisschen Abstand tut ganz gut. Aber auf Dauer ist es nicht so schön, wenn man darauf verzichten muss, was ja positiv ist am Internet: auf den Austausch mit anderen Menschen.

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