Seit acht Jahren lebt Natascha Kampusch wieder in Freiheit. Etwa so lang, wie sie der Entführer Wolfgang Priklopil in seinem Haus gefangen hielt. 1998 zerrte er die damals Zehnjährige in seinen Lieferwagen. Am 23. August 2006 konnte sie sich selbst befreien, ihr Peiniger beging daraufhin Selbstmord. Seitdem wird die Österreicherin nicht müde, ihre Geschichte zu erzählen und die Öffentlichkeit an ihren Leben teilhaben zu lassen – mit zwiespältigen Folgen.
Das zweite Leben der Natascha Kampusch
Bereits zwei Wochen nach ihrer Flucht begegnete die 18-jährige
Natascha lässt sich auf Reisen filmen oder wie sie Fahrstunden nimmt. Die Öffentlichkeit erfährt, als sie ihren Hauptschulabschluss macht und die Goldschmiede-Lehre abbricht. Einen Teil ihres Lebensunterhaltes bestreitet sie durch solche medialen Bekenntnisse. 2011 gründet Natascha das Marketing-Unternehmen "Consolea GmbH". Mitten in Wien will sie ein normales Leben führen, bis jetzt jedoch ohne einen Partner an ihrer Seite.
Spezialistin für Entführungsfälle
Ihre Erfahrungen machen Kampusch zu einer, "die es wissen muss". Als Expertin wird sie beispielsweise 2012 zu der deutschen Fahndungssendung "Aktenzeichen XY Spezial - Wo ist mein Kind?" geladen: als "lebender Beweis, dass man die Hoffnung nie aufgeben soll", wie Moderator Rudi Cerne sagt. 2013 gibt sie ein ausführliches Interview für den Sender CNN London – anlässlich der Befreiung von drei Frauen, die in Cleveland zehn Jahre lang festgehalten und gefoltert wurden. Im Mai 2014 engagiert sie sich für eine internationale Internet-Kampagne, die den Aufenthalt von 200 entführten nigerianischen Schulmädchen klären will. Ausserdem eröffnet sie 2011 ein Kinderkrankenhaus in Sri Lanka.
Fakten oder Fiktion in Buch und Film?
Im Fall Kampusch ist es oft schwer, zwischen subjektiver Wahrnehmung, Tatsachen und Fiktion zu unterscheiden. Nach dem Tod Priklopils gibt es nur Nataschas Sicht der Dinge, die sie 2010 in ihrer Autobiografie "3.096 Tage" darlegt. Im Juli 2014 strahlt das Fernsehen den gleichnamige Spielfilm aus, der ein Jahr zuvor in die Kinos kam. Darin wird auch die sexuelle Beziehung zwischen Opfer und Täter dargestellt – Einblicke, die Kampusch vorher nicht geben wollte. Doch selbst per Anwalt konnte sie nicht verhindern, dass ihre Vernehmungsprotokolle mit entsprechenden Angaben öffentlich gemacht wurden.
Natascha Kampusch etwa vogelfrei?
Während es Natascha darum geht, ihre Gefühle auszudrücken, will die Öffentlichkeit mehr Fakten. Auch ihre Eltern sind bereit, diese zu liefern: in zahlreichen Interviews und eigenen Buchveröffentlichungen. Dies könnte ein Grund sein, warum die Beziehung zu Vater und Mutter schwierig ist. Als Person des öffentlichen Lebens wird Kampusch häufig kritisiert, zum Beispiel 2013 in einer Talkshow von Günther Jauch, der sie mit harten Internet-Kommentaren und Sex-Szenen aus "3.096 Tage" konfrontiert. Es ist sichtbar, wie solche Angriffe die junge Frau verletzen.
Wie geht es weiter im Fall Kampusch?
Gab es Mittäter und pornografische Aufnahmen? Hat sich der Entführer wirklich selbst umgebracht und ist Natascha in der Gefangenschaft schwanger geworden? Um die Tat ranken sich noch heute viele Verschwörungstheorien, die sich aus vermeintlichen Ungereimtheiten nähren. Dazu kommt der mysteriöse Selbstmord des damaligen Chefermittlers Franz Kröll, der nach dem offiziellen Abschluss des Falls auf eigene Faust weiter ermittelte. Für neuen Aufruhr könnten Akten sorgen, die Krölls Bruder sicher gestellt haben will. Abgeschlossen haben viele das Thema Kampusch noch längst nicht. So wird wohl auch Natascha weiterhin Stellung nehmen müssen und sich nicht völlig in ihre beschauliche Welt aus Handarbeiten, Zierfischen und Kakteen zurückziehen können.
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.