Der Countdown für die Abstimmung vom 10. Juni in der Südschweiz über die Schaffung eines Nationalparks läuft. In Locarno und Umgebung ist die Stimmung zwischen Befürwortern und Gegner ist aufgeheizt.

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Der Süden der Schweiz steht aktuell unter einer grossen Frage: Stellt der Nationalpark eine letzte Chance dar, um abgelegenen Tälern wie dem Onsernone oder Centovalli ein wirtschaftliches Überleben zu sichern? Oder ist der Nationalpark eine Mogelpackung, der die individuellen Freiheiten weiter beschränkt?

In diesem Spannungsfeld bewegt sich momentan die Debatte um den geplanten Nationalpark im Locarnese, wie die Täler um die Stadt Locarno am oberen Lagio Maggiore heisst.

Im Vorfeld der Abstimmung vom 10. Juni ist die Stimmung aufgeheizt. Bei einer Podiumsdiskussion in Brissago musste der Gemeinderatspräsident dieser Tage zur Zügelung der Emotionen aufrufen. "Bitte denkt daran, dass es auch noch ein Leben nach dem 10.Juni gibt", rief Elvio Dellagiacoma seinen Mitbürgern zu.

Gelb ist Ja, Grün Nein

Wer durch das geplante Nationalparkgebiet fährt oder wandert, kann die Spaltung der öffentlichen Meinung mit eigenen Augen erkennen. "Parco si! Bello è possibile" ("Schön ist möglich") heisst es auf unzähligen gelben Fahnen, die auf Balkonen wehen und mit denen die Befürworter buchstäblich Flagge zeigen.

"Unnütz, schädlich, teuer: Nein zum Nationalpark!" steht hingegen auf grün getünchten Spruchbändern.

Zu den Nein-Wortführern gehört Sandro Rusconi, der ehemalige Kulturamtschef des Kantons Tessin. Er bezeichnet das Projekt "als Monster, das unsere Landschaft und unsere Freiheiten auffrisst".

Auch Nationalrat Fabio Regazzi von den Christdemokraten mischt bei den Gegnern gehörig mit. Er vertritt die Mehrheit der Jäger, die das vorgesehene Jagd-Verbot in den Kernzonen bekämpfen und Angst haben, dass die Verbotszone künftig in Richtung Maggiatal ausgeweitet werden könnte.

Cristiano Terribilini, Gemeindepräsident von Onsernone und Vizepräsident des Parkrats des Nationalparkkandidaten im Locarnese, kann mit den Slogans der Gegner nichts anfangen. Mit Pilotprojekten habe man aufgezeigt, was sich konkret und positiv in den Tälern machen lasse. Das sei nützlich.

Stop der Abwanderung

Teuer? Für ein Budget von fünf Millionen Franken im Jahr müssten die Gemeinden im Parkgebiet nur 190‘000 Franken beisteuern. "Für uns ist es also keineswegs teuer, sondern sehr vorteilhaft, da der Löwenanteil vom Bund kommt", so Terribilini. Das Territorium werde aufgewertet, die Abwanderung aus den Tälern könne möglicherweise gestoppt werden.

Im Gegensatz zum bestehenden Nationalpark im Engadin, einem echten Naturreservat, geht es im Locarnese um einen Nationalpark der neuen Generation, der aus einer Kernzone und einer Umgebungszone besteht.

Der Park verläuft über mehrere Klimazonen von den Brissago-Inseln, dem tiefsten Punkt des geplanten Nationalparks auf 193 Metern bis zum 2864 Meter hohen Wandfluhhorn (Pizzo Biela) oberhalb Bosco Gurin. Dazwischen liegen nur 35 Kilometer. Die äusserst schwach besiedelten Täler Onsernone und Centovalli stellen die zentralen Gebiete dar.

Gemeinden dafür? Und das Volk?

Das Projekt wird von den acht beteiligten Gemeinden und 12 Bürgergemeinden getragen. Im Gegensatz zum Nationalprojekt Adula, das in einer Volksabstimmung scheiterte und bereits vorher von einigen Gemeinden abgelehnt worden war, stehen im Locarnese alle beteiligten Gemeinden offiziell hinter dem Projekt. "Es ist eine einmalige Gelegenheit, die wir nicht verpassen dürfen", meint Ottavio Guerra, Gemeindepräsident von Centovalli.

Abgestimmt wird über die Park-Charta – ein Managementplan für die ersten zehn Jahre und Parkvertrag zwischen den Gemeinden. Für die fragmentierten Kernzonen, deren Summe 28% der Gesamtfläche von 218 Quadratkilometern ausmacht, gibt es gesetzliche Restriktionen, damit sich die Natur dort frei entfalten kann.

Vieles noch möglich

Schon jetzt werden diese Zonen vom Menschen praktisch nicht mehr genutzt. Allerdings ist eine Reihe von Ausnahmen vorgesehen, damit gewachsene Strukturen und Traditionen erhalten werden können. So kann die Kernzone zwar nur auf vorgeschriebenen Wegen durchwandert beziehungsweise durchklettert werden, Hunde können aber mitgeführt werden, insofern sie an der Leine sind.

Selbst die Belieferung von Berghütten mit Helikoptern bleibt erlaubt, ebenso Rettungseinsätze durch die Rega. Die Jagd ist grundsätzlich verboten, wird aber im Falle von potentiellen Schädlingen zugestanden, etwa bei Überbeständen von Wildschweinen.

Das Bundesamt für Umwelt (Bafu) und der Kanton Tessin unterstützen das Vorhaben. "Das Projekt ist weniger kompliziert als beim Parc Adula – und alle Gemeinden stehen dahinter", sagt der kantonale Umweltminister Claudio Zali.

Der Mann der rechtsgerichteten Lega zeigt sich daher zuversichtlich. Aber mahnt: "Wenn es im Locarnese nicht klappt, wird es wohl überhaupt keinen neuen Nationalpark geben."

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