In den Stosszeiten wird die Mobilität in urbanen Räumen immer häufiger zu einem Alptraum. Warum also nicht in die Luft gehen? Auch in der Schweiz wird über urbane Seilbahnen nachgedacht, so wie es in der bolivianischen Hauptstadt La Paz schon Realität ist.

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Verkehrsstaus und Chaos auf den Strassen können den Benutzern egal sein. Und sie können sogar das Panorama geniessen. Die Rede ist von urbanen Seilbahnen, die an einigen Orten der Welt bereits zum Alltag gehören. Beispielsweise in London, Brest (Frankreich), Ankara, Berlin, Singapur, Calì und Medellín (Kolumbien), Caracas, Rio de Janeiro oder Hong Kong.

In diesen Städten stellen die Luftseilbahnen bereits eine verlässliche Alternative zu schienen- oder strassengebundenen Fortbewegungsmitteln dar. Das gilt für Touristen, aber insbesondere für Einheimische. In La Paz, Regierungssitz Boliviens, hat sich die urbane Seilbahn Mi Teleférico als rasches und verlässliches Transportmittel etabliert. Staus und Verkehrschaos, welche ganze Quartiere paralysieren, lassen sich so vermeiden. Eingeweiht wurde diese Seilbahn im Jahr 2014. Sie hat acht Linien und eine Länge von 30 Kilometern. Damit bildet sie das grösste Seilbahnnetz der Welt. Bis 290'000 Fahrgäste pro Tag nutzen dieses Angebot.

"Urbane Seilbahnen stellen einen Wachstumsmarkt dar", sagt Christoph Grob, Verkaufsleiter bei der Schweizerischen CWA, die zur österreichischen Doppelmayr-Gruppe gehört, einem weltweit führenden Unternehmen im Seilbahnbau. Gemeinsam mit dem Schweizer Hersteller Garaventa, der ebenfalls zu Doppelmayr gehört, hat CWA am Bau von Mi Teleférico in La Paz mitgewirkt. Laut Christoph Grob können Seilbahnen in eng besiedelten oder verkehrsüberlasteten Gebieten als alternative Verkehrsträger dienen.

Grob unterstreicht aber auch, dass urbane Gebiete für den Seilbahnbau eine grosse Herausforderung darstellen: "Diese Bahnen verlaufen über privaten Grundstücken; es braucht daher entsprechende Bewilligungen. Es kann zu Rekursen kommen, obwohl technische Möglichkeiten bestehen, die Privatsphäre zu garantieren – beispielsweise Kabinen mit verdunkelten Scheiben."

Eine Alternative für die Schweiz

Claudio Büchel, Professor für Verkehrsplanung an der Hochschule für Technik Rapperswil (HSR), ist der Ansicht, dass urbane Seilbahnen auch in der Schweiz angezeigt sein können, insbesondere bei schwierigen topografischen Verhältnissen.

"Städte wie St. Gallen, Lausanne oder Luzern weisen gewisse topografische Hürden auf: Steigungen, Hügel, Seen, Flüsse. In solchen Gebieten können Seilbahnen ihre Stärken ausspielen und Verbindungen garantieren, die mit dem Stadtbus oder einem Tram schwierig wären", meint Büchel.

Ein ganz wichtiger Vorteil von Seilbahnen besteht in ihrer Kapazität. Sie können bis zu 5000 Personen pro Richtung und Stunde transportieren, im Vergleich zu 2500 Personen bei einer Tramlinie im Fünf-Minuten-Takt. So hat es Büchel während eines Kongresses zum Thema Seilbahnen Ende April im Verkehrshaus von Luzern vorgerechnet.

Ein weiterer Vorteil: Der Bau einer Seilbahn ist wesentlich kostengünstiger als beispielsweise der Bau einer Metro. Die Kosten betragen rund 15 Millionen Franken pro Kilometer und damit nur einen Zehntel einer U-Bahn oder ein Drittel einer Tramlinie. Und da keine Brücken oder Tunnels gebaut werden müssen, lassen sie sich auch schneller verwirklichen.

Der auf Mobilität und Logistik spezialisierte Journalist und Berater Kurt Metz betont, dass in vielen Städten der Ausbau herkömmlicher Infrastruktur für das öffentliche Transportwesen an eine Grenze gestossen sei: "Wenn Raum, Zeit und Geld für eine Ausweitung des bestehendes Netzes fehlen, stellen die Seilbahnen eine Alternative dar", schreibt Metz in einem Fachartikel. Er betont zudem, dass der seilbetriebene öffentliche Verkehr auf dem Luftweg besonders sicher sei.

Kehren die Seilbahnen in Schweizer Städte zurück?

Seilgebundene Transportsysteme (Standseilbahnen, Seilbahnen, Sesselbahnen...) gehören traditionell zur Schweiz. Gemäss dem Schweizer Heimatschutz, der grössten Schweizer Non-Profit-Organisation im Bereich Baukultur, stellen diese sogar "ein Schweizer Kulturgut von aussergewöhnlicher Güte" dar. Zurzeit sind landesweit gemäss dem Bundesamt für Verkehr 1800 seilgebundene Transportanlagen in Betrieb.

Während Seilbahnen in Berggebieten zum Landschaftsbild gehören, sind sie bis anhin in städtischen Agglomerationen noch nicht vorhanden. Doch es gibt eine Reihe von Projekten, die sich in unterschiedlichen Entwicklungsphasen befinden.

In Genf möchte die Kantonsregierung ein Machbarkeitsgutachten für eine Seilbahn zwischen dem Flughafen und einigen aufstrebenden Quartieren in Auftrag geben. In Freiburg hat das Kantonsparlament 2016 ein Postulat angenommen, dass von der Regierung verlangt, Interesse und Kosten für eine Luftverbindung zwischen dem Bahnhof, dem Kantonsspital und der Autobahnausfahrt prüfen zu lassen. Ebenfalls in der Französischen Schweiz haben die Gemeinden, die zur Region von Morges (Kanton Waadt) gehören, den Bau einer Seilbahn in den Entwicklungsplan 2030 integriert. Allerdings ist das Vorhaben momentan auf Eis gelegt.

In Basel gibt es eine Petition, welche eine Kabinenbahn wiederaufleben lassen will, die 1992 die beiden Rheinufer miteinander verband. Die vorberatende Kommission des Kantonsparlaments Basel-Stadt findet diese Idee "originell, aber nicht angebracht."

In Zürich hingegen will die Zürcher Kantonalbank aus Anlass ihres 150. Gründungsjahres im Jahr 2020 eine 1300 Meter lange Seilbahn bauen lassen, welche beide Ufer des Zürichsees miteinander verbindet. In Zürich weckt das Erinnerungen an die an die Seilbahnen zu Zeiten der Landesausstellung 1939 und der Gartenbauausstellung 1959.

Wo Trams und Autobusse nicht hinkommen

Seilbahnen sind im Vergleich zu erdgebundenen Transportsystemen wirtschaftlicher und ökologischer – etwa in Hinblick auf den Schadstoff-Ausstoss. Werden sie also die Zukunft in unseren Städten bestimmen?
Laut Claudio Büchel können sie einen Beitrag zur Lösung von Verkehrsproblemen in urbanen Räumen leisten. "Es genügt aber nicht, die Seilbahnen nur im staugeplagten Korridor zu bauen. Seilbahnen haben dann eine Chance, wenn sie die Menschen nahe an ihr Ziel bringen oder Verbindungen anbieten, die der übrige Verkehr nur schwer anbieten kann – etwa als Zubringer zu stark verkehrsintensiven Nutzungen", hält Büchel in einem Interview mit der Luzerner Zeitung fest.

Gemäss dem Verkehrsexperten sollten Seilbahnen in die Raumplanung aufgenommen werden, etwa um stark wachsende Quartiere an ein öffentliches Verkehrsnetz anzubinden. In Bezug auf das Zürcher Projekt zur Seeüberquerung äussert sich Büchel skeptisch, denn die Terminals sind seiner Meinung nach von den Haltestellten der Stadtbusse und Trams zu weit entfernt.

Interessanter ist seiner Ansicht nach das Projekt Kreuzlingen/Konstanz auf der Grenze zwischen der Schweiz und Deutschland. "In dieser Gegend kann eine Seilbahn als Alternative zum regionalen Bahnverkehr fungieren. Und so sollte es in Zukunft sein: Die Seilbahn soll als eine unter verschiedenen Lösungen in Betracht gezogen werden."


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob)  © swissinfo.ch

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