Der Tod von Peggy Knobloch gilt als einer der rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands. Was der NSU-Mann Uwe Böhnhardt mit dem Tod des Mädchens zu tun hat, darüber könnte heute Beate Zschäpe im NSU-Prozess in München Auskunft geben. Bislang gibt es zu der mysteriösen Verbindung drei Theorien.

Mehr Panorama-News

Die mutmassliche Rechtsterroristin Beate Zschäpe will an diesem Donnerstag im NSU-Prozess Fragen zu dem verschwundenen Mädchen Peggy aus Oberfranken beantworten.

Sie hatte zugesagt, die Antworten schriftlich zu formulieren und von einem ihrer Anwälte verlesen zu lassen.

Eventuell ergibt sich daraus auch eine Antwort auf die Frage, ob es sich bei der Spur zu NSU-Mann Uwe Böhnhardt tatsächlich um eine spektakuläre Wendung hin zur endgültigen Aufklärung handelt oder nur um ein weiteres Rätsel im Rätsel, welches die Ermittler seit nunmehr 15 Jahren beschäftigt.

Peggy verschwand plötzlich und spurlos

Am 7. Mai 2001 verschwindet die damals neunjährige Peggy aus dem oberfränkischen Lichtenberg auf dem Heimweg von der Schule spurlos.

Wochenlang wird nach dem Mädchen gefahndet, umfangreiche Suchaktionen bleiben erfolglos. Im August 2001 verhaftet die Polizei einen 24 Jahre alten geistig behinderten Mann - Ulvi K. gilt als mutmasslicher Mörder von Peggy.



Unschuldig hinter Gittern

Am 30. April 2004 ergeht gegen ihn vor dem Landgericht Hof das Urteil: Lebenslänglich. Rund zehn Jahre später widerruft einer der Hauptzeugen seine Aussage, entlastet damit den Verurteilten und erhebt im Gegenzug schwere Vorwürfe gegen die Ermittlungsbehörden. Der Anwalt von Ulvi K. erwirkt die Wiederaufnahme des Falles im April 2014 vor dem Landgericht Bayreuth.

Ulvi K. wird nach zehn Jahren Haft aus Mangel an Beweisen freigesprochen, die lebenslange Strafe wegen Mordes aufgehoben. Das Rätsel bleibt ungelöst, es läuft ein Ermittlungsverfahren gegen Unbekannt.

In all den Jahren waren die Ermittler unzähligen Spuren nachgegangen, hatten Gräber geöffnet, Gewässer von Tauchern absuchen lassen und Hinterhöfe umgegraben - die Spuren führten immer in Sackgassen. Bis zum Juli 2016.

Pilzsammler stossen in einem Waldstück zwischen dem thüringischen Rodacherbrunn und dem bayerischen Nordhalben auf menschliche Knochen. Der Fundort liegt nur 15 Kilometern von Peggys Zuhause entfernt.

Ein DNA-Abgleich bringt traurige Gewissheit: Die Knochen gehören Peggy, das Mädchen ist tot. Doch das Skelett ist nicht vollständig, Knochenteile fehlen. Ebenso Kleidungsstücke und Schulranzen der damals Neunjährigen. Auch eine neue Spur zu einem Verdächtigen gibt es nicht.

Im Oktober 2016 kreuzen sich plötzlich die Spuren der beiden aktuell brisantesten und rätselhaftesten Kriminalfälle Deutschlands: Der Fall Peggy könnte durch die DNA von Uwe Böhnhardt möglicherweise eine Verbindung zum NSU bekommen.

Bislang kristallisieren sich drei Theorien heraus:

Theorie 1: Reiner Zufall

Die DNA von Uwe Böhnhardt wurde nicht an Skelett-Teilen von Peggy gefunden, sondern an einem Stück Stoff, dass in der Nähe des Knochen-Fundortes entdeckt worden war.

Dabei soll es sich um ein Stück Stoffdecke handeln. Theoretisch ist es also auch möglich, dass sich Uwe Böhnhardt beim Abtauchen in den Untergrund in dem Waldstück am Naturpark Thüringer Schiefergebirge zwischenzeitlich versteckt hatte. Ein Mann aus dem Umfeld des NSU soll bei Rodacherbrunn eine Waldhütte genutzt haben.



Chemnitz, Jena, Zwickau - die Aufenthaltsorte von Uwe Böhnhardt liegen jeweils nur rund anderthalb Stunden Autofahrt von dem Waldstück bei Rodacherbrunn entfernt.

Theorie 2: Verunreinigte Messergebnisse

Ein durchaus denkbares Szenario. Die Fälle Peggy und der NSU haben eine gemeinsame Schnittstelle im Rechtsmedizinischen Institut der Universitätsklinik Jena. Hier wurde im November 2011 die Leiche von Uwe Böhnhardt obduziert und im Juli 2016 die Skelettreste von Peggy rechtsmedizinisch untersucht.

Möglicherweise könnten DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt über eine Verunreinigung an das Stoffstück vom Fundort der Knochenteile gelangt sein.

Wie jedoch BR Online berichtete, waren die Rechtsmediziner in Jena nur mit der Untersuchung des Mädchenskeletts betraut, nicht aber mit dem Stoff-Fragment, welches die DNA-Spuren von Uwe Böhnhardt trägt. Zudem wäre in diesem Fall Böhnhardts DNA fünf Jahre lang jedem durch strenge Vorschriften geregelten Reinigungsprozess entgangen.

Der leitende Oberstaatsanwalt Herbert Potzel wollte die Möglichkeit einer Verunreinigung aber dennoch nicht ausschliessen.

Eine solche Panne hatte es im Rahmen der NSU-Ermittlungen schliesslich schon einmal gegeben. Im Fall der 2007 in Heilbronn ermordeten Polizistin Michele Kiesewetter, fahndete die Polizei zwei Jahre lang nach dem "Phantom von Heilbronn".

Die DNA-Spuren einer mysteriösen Frau waren nicht nur am Heilbronner Tatort gefunden worden, sondern auch an 40 weiteren.

Erst 2009 kam heraus, dass die DNA einer Mitarbeiterin jener Firma gehörte, welche die für die Spurensicherung verwendeten Wattestäbchen herstellte. Die Verunreinigung hatte im Verpackungsprozess stattgefunden. Nicht unmöglich, dass es sich im Fall der DNA von Uwe Böhnhardt ähnlich verhält.

Theorie 3: Es gibt eine Verbindung zwischen beiden Fällen

Es ist nicht das erste Mal, dass der Name Uwe Böhnhardt im Rahmen der Ermittlungen zu einem Kindermord fällt. Am 6. Juli 1993 war die Leiche eines neunjährigen Jungen am Ufer der Saale in Jena gefunden worden. Die Straftat ist bis heute ungeklärt. Als einer der Hauptverdächtigen der Staatsanwaltschaft galt damals Enrico T., ein Freund Böhnhardts.


T. hatte in Vernehmungen wiederum Böhnhardt belastet. Wie BR Online berichtet, bestätigt ein Sprecher der Staatsanwaltschaft, dass auch Böhnhardt damals als Zeuge vernommen worden war. Der Anwalt einer NSU-Opferfamilie erklärte zudem, in den Prozessakten würden mehrere Bekannte Böhnhardts mit Fällen von Kindesmissbrauch in Verbindung gebracht.

So sitzt aktuell mit Tino Brandt ein enger Vertrauter Böhnhardts und Kopf des "Thüringer Heimatschutzes" eine langjährige Haftstrafe wegen Kindesmissbrauchs in 66 Fällen ab.

Auf einem Computer von Beate Zschäpe, die momentan als einzige Überlebende aus dem NSU-Trio beim NSU-Prozess in München vor Gericht steht, wurde kinderpornografisches Material gefunden. Im Wohnwagen des NSU-Trios sowie in der gemeinsamen Zwickauer Wohnung hatten Ermittler Kinderspielzeug sichergestellt.

Die Staatsanwaltschaft Zwickau hatte in der Vergangenheit wegen des Besitzes von Kinderpornografie gegen Zschäpe bereits ermittelt, das Verfahren jedoch eingestellt.

Als Grund nannte das Gericht, dass die wegen des Besitzes von Kinderpornografie mögliche Strafe im Vergleich zu der Strafe für terroristische Taten "voraussichtlich nicht beträchtlich ins Gewicht" falle.

Nun sind alle Blicke nach München gerichtet, wo man sich durch die Aussagen von Beate Zschäpe neues Licht im Dunkel erhofft.



JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.