Jeden Tag gehen Menschen in der Türkei auf die Strasse. Seit der Festnahme des Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu reissen die Proteste nicht ab. In den sozialen Medien geht ein Video viral, das eine Person in einem besonderen Kostüm zeigt.

Mehr Panorama-News

Dieses Video dürfte vor allem Pokémon-Fans zum Schmunzeln bringen: Eine Person im Pikachu-Kostüm rennt mit anderen Demonstranten in Antalya offenbar vor der Polizei davon. Seit der Festnahme des Istanbuler Ex-Bürgermeisters und Oppositionspolitikers Ekrem Imamoglu kommt es in der Türkei jeden Tag zu Protesten. Besonders Studenten gehen gegen die Regierung von Präsident Recep Tayyip Erdogan auf die Strasse.

Einer dieser Demonstranten, im weltbekannten Pikachu-Look, geht nun im Internet viral. Laut "Spiegel" soll der Journalist Ismail Koceroglu die Szenen gefilmt haben. Demnach wurden sie am 27. März aufgenommen.

Auch in Deutschland machte das Video die Runde, so teilte unter anderem der Account von Moderator Klaas Heufer-Umlauf den Clip. Er wurde passend mit der Titelmelodie der "Pokémon"-Serie unterlegt.

Schnell sammelten sich unter dem Beitrag zahlreiche Kommentare. "Pikachu war immer unbesiegbar! Das gibt doch Hoffnung", schrieb ein User. "Lustig, wenn's eigentlich nicht so traurig wäre", heisst es von einem anderen. Heufer-Umlaufs Instagram-Account wurde Ende 2022 von der iranischen Aktivistin Sarah Ramani übernommen.

Der Journalist Ismail Koceroglu teilte noch ein weiteres Video von Pikachu, das, wie schon das erste, Tausende Likes erhielt. Darin ist Pikachu hüpfend und rennend in den Strassen von Antalya zu sehen.

Grosse Demonstrationen in der Türkei

Ekrem Imamoglu ist der aussichtsreichste Rivale von Präsident Recep Tayyip Erdogan, seine Festnahme in der vergangenen Woche hatte die grössten Demonstrationen in der Türkei seit den Gezi-Protesten von 2013 ausgelöst. Mittlerweile wurde laut Angaben Imamoglus auch dessen Anwalt Mehmet Pehlivan festgenommen. "Lassen Sie meinen Anwalt unverzüglich frei!", forderte er im Onlinedienst X.

Mit welcher Begründung Pehlivan festgenommen wurde, war zunächst nicht bekannt. Der oppositionelle Sender Halk TV berichtete jedoch, dass dem Anwalt "Geldwäsche von Vermögenswerten aus einer Straftat" vorgeworfen werde.

Erdogans Regierung geht gegen Journalisten vor

Trotz eines Versammlungsverbots und obwohl die Polizei mit zunehmender Härte gegen die Demonstranten vorgeht, protestierten am Donnerstagabend erneut Tausende Menschen. Am frühen Freitagmorgen wurden erneut mehrere Menschen aus ihren Wohnungen geholt, darunter zwei Journalistinnen.

"Eine weitere Razzia im Morgengrauen", teilte die Journalistengewerkschaft TGS auf X mit. "Lasst Journalisten ihre Arbeit machen! Stoppt die rechtswidrigen Festnahmen!", forderte die Gewerkschaft. "Journalismus ist kein Verbrechen."

Die Behörden gehen seit einigen Tagen verstärkt gegen Medien vor, die über die Proteste berichten. Am Montag waren in Istanbul und Izmir elf Journalisten festgenommen worden, darunter der Fotograf der Nachrichtenagentur AFP, Yasin Akgül. Sie sind mittlerweile wieder auf freiem Fuss.

Am Donnerstag verhängte die Rundfunkaufsichtsbehörde ein zehntägiges Sendeverbot für den Oppositionskanal Sözcü TV. Dem Sender wurde Aufstachelung der Öffentlichkeit zu "Hass und Feindseligkeiten" vorgeworfen. Zudem wurde ein Korrespondent des britischen Senders BBC ausgewiesen, der über die Proteste berichtet hatte.

Nach Angaben des Innenministeriums sind seit Beginn der Massenproteste insgesamt 1.879 Menschen festgenommen worden. Demnach befinden sich 260 von ihnen in Untersuchungshaft, 468 wurden unter Auflagen freigelassen, 662 Fälle sind noch in Bearbeitung. 489 Festgenommene wurden wieder freigelassen.

Scharfe Kritik an gewaltsamem Vorgehen der türkischen Regierung

Das gewaltsame Vorgehen der Regierung gegen die Proteste stösst international auf scharfe Kritik. Am Donnerstag äusserte sich US-Aussenminister Marco Rubio besorgt über die Lage. Washington sehe "eine solche Instabilität in der Regierung eines Landes, das ein so enger Verbündeter ist, nicht gerne", sagte er vor Journalisten.

"Das Ausmass der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht, weil Erdogan in der Vergangenheit mit seinen Manövern durchgekommen ist."

Cem Özdemir

Der Grünen-Politiker Cem Özdemir forderte im Umgang mit der Türkei "Kooperation und Kritik" zugleich: "Naivität im Umgang mit Autokratien können wir uns nicht mehr leisten. Erdogan ist kein verlässlicher Partner. Kooperation und klare Kritik – wir brauchen beides, sonst machen wir uns unglaubwürdig", sagte der türkischstämmige Politiker in einem Interview der Nachrichtenagentur AFP.

Nach Ansicht Özdemirs hatte Erdogan nicht damit gerechnet, dass die Verhaftung Imamoglus eine derart heftige Reaktion in der Bevölkerung auslösen würde. "Das Ausmass der Proteste hat das Regime vermutlich überrascht, weil Erdogan in der Vergangenheit mit seinen Manövern durchgekommen ist", sagte er.

Imamoglu war am 19. März festgenommen worden. Am Sonntag ordnete ein Gericht wegen Vorwürfen der Korruption Untersuchungshaft an. Wenig später suspendierte ihn dann das Innenministerium von seinem Amt als Bürgermeister. Dennoch wurde er am Montag von seiner linksnationalistischen Partei CHP zum Präsidentschaftskandidaten gekürt.

Verwendete Quellen

Teaserbild: © instagram.de/ismailkoceroglu