- Gewalttätige Ausschreitungen stürzen Südafrika nach der Inhaftierung von Ex-Präsident Zuma ins Chaos.
- In einem Klima der Gesetzlosigkeit wird geplündert und gebrandschatzt.
- Es gibt Tote und Verletzte. Das Militär beginnt mit Patrouillen.
Brennende Blockaden, Schüsse, Chaos und machtlose Polizisten: In Südafrikas Wirtschaftszentrum rund um Johannesburg sowie in der östlichen KwaZulu-Natal-Provinz tobt seit Tagen die Gewalt. Es gibt Tote und Verletzte, brennende Einkaufszentren und blockierte Autobahnen und Fernstrassen. Sie bringen wichtige Logistikketten, aber auch Busse und Bahnen in Afrikas stärkster Wirtschaftsnation zum Stillstand. Die Gewaltbereitschaft schockiert.
Obwohl das Militär am Dienstag laut Regierungsangaben in den betroffenen Regionen mit Patrouillen begonnen hat, gingen Brandschatzung und Plünderungen zum Teil vor laufender Kamera ungehindert weiter. Auch die Opferzahlen stiegen. Mindestens 72 Menschen starben aufgrund der Ausschreitungen, sagte eine Sprecherin der Spezialeinheit der Sicherheitskräfte, NatJOINTS, am Dienstagabend. Zuvor hatten die Premiers der beiden betroffenen Provinzen von 45 Toten gesprochen.
Angesichts einer Überzahl von Plünderern schritt die Polizei an vielen Orten erst relativ spät ein. Es gab bisher rund 1.250 Festnahmen. Die geschätzten Schäden belaufen sich mittlerweile auf eine Milliarde Rand (60 Millionen Euro), so der Premier der Provinz Kwa-Zulu Natal, Sihle Zikalala.
Plünderungen greifen auf benachbarte Regionen über
Mittlerweile greifen die Plünderungen auch auf benachbarte Regionen über. In den Provinzen Mpumalanga und Northern Cape gab es ähnliche Zwischenfälle, wie die Polizei am späten Dienstagabend erklärte. Die Afrikanische Union (AU) rief angesichts der Gewalt dringend zu einer Wiederherstellung der Ordnung auf. In den betroffenen Gebieten bildeten sich laut Medienberichten Bürgerwehren, um ein Überschwappen aus den geplünderten und oftmals zerstörten Gewerbegebieten in die Wohnviertel zu verhindern.
Das Militär wurde laut Regierungsangaben vor allem an strategischen Punkten rund um Krankenhäuser und Flughäfen, aber auch im Township Alexandra bei Johannesburg stationiert.
Was als örtliche Proteste gegen die Inhaftierung von Ex-Präsident Jacob Zuma begann, hat sich längst verselbstständigt und eine neue Dynamik entfaltet. Vor dem Hintergrund der allgemeinen Frustration vieler Südafrikaner über die durch COVID-Beschränkungen noch verstärkte Arbeits- und Perspektivlosigkeit sowie krasse Ungleichheit brach sich plötzlich eine Art kollektiver Rausch Bahn.
Reporter: "Wie ein Schlussverkauf kurz nach Weihnachten"
"Das wirkt wie ein Schlussverkauf kurz nach Weihnachten", sagte ein Reporter, der mit Polizisten ganze Menschenscharen beobachtete. Augenzeugen berichteten vor laufender Kamera über Menschen, die mit Mittelklassewagen vorfuhren und Kühlschränke, Betten, Kleider, Schuhe oder selbst Möbel wegschafften. Die Ordnungshüter mussten angesichts der krassen Überzahl machtlos zusehen oder vor Steinewerfern in Deckung gehen. Plünderer spielten Katz und Maus und kamen zurück, sobald die Polizisten weg waren.
Weggetragen wurde alles, was sich irgendwie mitnehmen liess: Handys, TV-Geräte, Tüten voller Lebensmittel, aber auch Türen oder Kassen. Selbst das Bild eines jungen Mannes mit einem Dildo in der Hand machte die Runde in den sozialen Medien. Dort organisierten sich - etwa in Durban - Nachbarschaftshilfen, um ein Überschwappen der Anarchie in die Wohngebiete zu verhindern.
Luftbilder des TV-Senders eNCA zeigten mehrere grosse Lagerhäuser und Einkaufszentren in Flammen, während am Boden Menschen mit offenbar geplünderten Gütern das Gelände verliessen. Aus einem Baumarkt liefen Menschen mit Baumaterial über eine leere Autobahn. Der TV-Reporter im Helikopter sprach von "apokalyptischen Szenen" und bemerkte lediglich einen Polizeiwagen vor Ort.
Feindliche Stimmung gegenüber Medienvertretern
Ein Stück weiter war eine völlig verstopfte Autobahn zu sehen mit Wagen, die voll beladen von einem Einkaufszentrum kamen. Ähnliche Bilder der Zerstörung waren aus der Luft auch aus Johannesburgs Vorort Soweto zu sehen. Journalisten berichteten dort von einer feindlichen Stimmung gegenüber Medienvertretern, einer Journalistin wurde die Kamera gestohlen. "Dieses Land zerstört sich selbst", meinte der frühere Innenminister Mangosuthu Buthelezi, der aus der Durban umgebenden Provinz KwaZulu-Natal stammt. "Südafrika ist mit sich selbst im Krieg - es bricht mir das Herz", sagte er.
Die Stadt Durban verfügt über einen der wichtigsten Häfen des Kontinents - die Autobahn N3 von Durban ins Industriezentrum rund um Johannesburg ist eine der wichtigsten Verkehrsachsen des Landes. Nun ist sie angesichts der vielen abgefackelten Lastwagen auf unbestimmte Zeit geschlossen. Präsident Cyril Ramaphosa warnte, dass die Impfkampagnen gegen COVID-19 wie auch die Nahrungssicherheit gefährdet sind.
Obwohl Nelson Mandelas Traum einer friedvollen Regenbogennation in der Vergangenheit schon immer wieder durch Gewaltexzesse gegen Afrikaner aus anderen Teilen des Kontinents getrübt wurde, droht nun ein Alptraum. "Ramaphosa erklärt uns, dass er keine Kontrolle mehr hat", sagte der Sprecher der oppositionellen Wirtschaftlichen Freiheitskämpfer (EFF), Vuyani Pemba, in einem TV-Interview.
Präsident Ramaphosa kämpft an mehreren Fronten
Der Präsident kämpft an mehreren Fronten: Einerseits muss er galoppierende Infektionszahlen bei der mittlerweile dritten Corona-Infektionswelle stoppen, und andererseits muss er seinen Afrikanischen Nationalkongress (ANC) reformieren, der unter der Amtszeit seines Vorgängers Jacob Zuma zunehmend im Sumpf einer Klientel- und Günstlingsclique festsass. Zumas Inhaftierung galt daher als wichtiger Meilenstein für die junge Demokratie.
Zudem muss der Staatschef dringend Arbeitsplätze schaffen. Denn eine der härtesten Ausgangssperren der Welt hat die Wirtschaftskrise aus der Vor-Pandemie-Zeit am Kap noch verschärft. Ganze Industrien - etwa im Tourismusbereich - ächzten unter Restriktionen. Viele Betriebe gaben auf.
Die, die durchhielten, werden nun mit neuen Sorgen konfrontiert: Ladeneinrichtungen zerstört, Waren geplündert, kein Geld mehr in der Kasse. Zahlreiche Jobs drohen wegzufallen. Das Militär soll nun mit der Polizei die Sicherheit durchsetzen - was wiederum dem populistischen EFF-Politiker Julius Malema missfällt. Er kündigte Proteste seiner Anhänger an. (dpa/lh)
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