Die Polizei platzt im Juni 2018 mitten in ein Bomben- und Giftlabor. Schnell ist klar: Der erste Terroranschlag in Deutschland mit einem biologischen Kampfstoff wurde wohl nur knapp vereitelt. Nun stehen die beiden mutmasslichen Verantwortlichen vor Gericht.

Mehr Panorama-Themen finden Sie hier

Als die Richter hereinkommen und sich alle anderen erheben, muss sich hinter schusssicherer Glasscheibe ausgerechnet der Hauptangeklagte setzen. Sief Allah H. (30) hat - so scheint es - einen Schwächeanfall.

Eine Wachtmeisterin fächelt ihm hektisch Luft zu, ein Wachtmeister eilt mit einem Becher Wasser herbei. Der Prozess um die Vorbereitung des knapp vereitelten ersten Terroranschlags mit einem biologischen Kampfstoff in Deutschland startet dennoch fast pünktlich.

Der 30 Jahre alte Tunesier und seine 43-jährige deutsche Ehefrau sollen den Anschlag in Deutschland mit einem biologischen Kampfstoff, ermuntert von der Terrorgruppe Islamischer Staat (IS), mit dem Bau einer Bombe vorbereitet haben.

In dem 15-stöckigen Hochhaus in Köln-Chorweiler, in dem sie wohnten, entdeckte die Polizei 84,3 Milligramm des Supergifts Rizin und 3.150 Rizinussamen, bestellt über bekannte Shoppingportale im Internet, bezahlt mit der Kreditkarte der Ehefrau.

"Beide Angeklagte identifizierten sich seit längerer Zeit mit den Zielen des IS. Sie wollten sich dem Dschihad anschliessen", sagt die Vertreterin der Bundesanwaltschaft, Verena Bauer. "Sie entschlossen sich, einen Sprengsatz an einem belebten Ort zu zünden, um möglichst viele Ungläubige zu töten. Der IS empfahl den Einsatz einer Streubombe."

Hamster zu Testzwecken gekauft

Das Paar habe dazu 250 Stahlkugeln über das Internet bestellt, zudem auffällige Utensilien wie eine elektrische Kaffeemühle und Einzelteile für den Zünderbau. Sprengstoff hätten sie sich über in Deutschland nicht zugelassene Feuerwerkskörper beschafft. Der Angeklagte Sief Allah H. sei dazu eigens nach Polen gereist.

Das Gift hätten sie testweise einem Zwerghamster aufgetragen, den sie für diesen Zweck gekauft hätten. Das Tier habe aber überlebt. Auf einer Wiese habe der Angeklagte zudem eine Testsprengung vorgenommen.

Das Rizin sollte entweder mit einer Creme auf die Stahlkugeln aufgetragen werden und so in die Blutbahn der Opfer geraten, oder sich mit der Explosion als Staub verteilen und eingeatmet werden.

Der Zugriff der Polizei nach dem Tipp eines ausländischen Geheimdienstes beendete das unheimliche Treiben im Juni 2018. Erst danach bemerkten die Ermittler, wie tief auch Ehefrau Yasmin durch die Funde belastet wird. Praktisch alle verdächtigen Utensilien wurden mit ihrer Kreditkarte bezahlt. Sie wurde einige Wochen später verhaftet.

Ehemann wollte eigentlich nach Syrien

Angeleitet worden sei das Paar vermutlich von IS-Kontaktleuten über den Messengerdienst Telegram. Über das Chatprogramm habe der 30-Jährige sogar den Treueeid auf den IS-Anführer Abu Bakr Al-Bagdadi abgelegt.

Er habe zuvor zwei Mal vergeblich versucht, nach Syrien zu gelangen. Dann habe der Tunesier 32 Facebook-Accounts und einen Twitterkanal eingerichtet, um Propagandaarbeit für den IS zu betreiben. Als die Staatsanwältin dies vorträgt, lächelt der 30-Jährige kurz und klopft sich auf die eigene Schulter.

In einem Brief an seine Frau soll der Tunesier später in der U-Haft behauptet haben, mit dem Rizin habe er doch nur sein malades Bein behandeln wollen. "Das Ergebnis unserer Ermittlungen spricht eine ganz andere Sprache. Wir haben objektive Spuren", sagt Oberstaatsanwältin Bauer dazu.

Der Rizin-Anschlag hätte laut Gutachten bis zu 100 Todesopfer gefordert. Beiden Angeklagten drohen bis zu 15 Jahre Haft. Beide wollten sich am Freitag weder zu ihrem Vorleben, noch zu den Tatvorwürfen äussern.

Stattdessen stellt Verteidiger Serkan Alkan einen 70 Seiten langen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Jan van Lessen. Per Senatsbeschluss verhindert das Gericht die Verlesung. Dies würde das Hauptverfahren nur verzögern. Bis Ende August hat das Gericht für den Fall zunächst 18 Verhandlungstage anberaumt. (dpa/ank)

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.