Nichts zu essen, nichts zu trinken und die Todesangst war immer mit im Raum: Bei dem Höhlendrama in Thailand haben zwölf Kinder eine extreme Grenzerfahrung erlebt. Einem Experten zufolge können sie diese Zeit unbeschadet überstehen, wenn nach der Rettung alles gut läuft.

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Mehr als zwei Wochen waren zwölf thailändische Jungen und ihr Betreuer in einer Höhle eingesperrt. Ohne zu wissen, ob sie jemals wieder lebendig herauskommen. Nun sind sie alle gerettet.

Doch noch ist die Situation für sie nicht überstanden: Es kommen herausfordernde Wochen und Monate auf sie zu, in denen das Drama verarbeitet werden muss. Der Kinder- und Jugendpsychiater Georg Romer erläutert im Interview, was diese Situation für die Kinder bedeuten kann.

Was bedeutet es für ein Kind, so lange in einer Höhle eingeschlossen zu sein?

Georg Romer: Es gibt überhaupt keinen Zweifel daran, dass das für diese betroffenen Kinder eine extreme Grenzerfahrung darstellt.

Sie wussten seit vielen Tagen nicht, ob sie da lebendig wieder rauskommen, und werden damit in ihrer psychischen Verfassung auch extrem erschüttert sein. Wobei es ganz individuell unterschiedlich sein kann, ob davon im Nachklang eine dauerhafte seelische Traumatisierung zurückbleibt oder nicht.

Welche Faktoren wiegen denn in einer solchen Situation am schwersten?

Alles wirkt zusammen. Es ist ein fremder Ort. Er ist dunkel, er ist kalt. Es gibt nichts zu essen und nichts zu trinken.

Alle Vitalbedürfnisse des Körpers sind bedroht und in Frage gestellt. Das alles überschattet natürlich die Todesdrohung, die Angst da nicht mehr lebend rauszukommen.

Wovon hängt es ab, wie sehr ein Kind durch so eine Erfahrung belastet wird?

Die Frage, wie traumatisiert jemand durch ein solches Erlebnis wird, hängt unmittelbar damit zusammen, wie die Verarbeitung gelingt. Die Grundausstattung im Sinne des Nervenkostüms jedes einzelnen Kindes spielt eine Rolle.

Wichtig ist, wie stark das Fundament des Grundvertrauens in die Welt ist. Danach spielen die Umstände der Rettung und wie schnell man wieder in ruhige, geordnete Bahnen kommt, eine Rolle. Alles spielt zusammen.

Wie unterscheiden sich Kinder hier von Erwachsenen?

Selbstverständlich sind erwachsene Menschen, die vielleicht schon die eine oder andere erschütternde Krise in ihrem Leben gemeistert haben, allein durch diese Erfahrung schon etwas stärker aufgestellt.

Auf der anderen Seite können Kinder und Jugendliche noch mit einem so gesunden Schuss Urvertrauen in die Welt ausgestattet sein, das sie gerade stark macht. Alles kann in die eine oder andere Richtung unterschiedlich sein.

Was ist direkt nach der Rettung besonders wichtig?

Ganz entscheidend ist unmittelbar nach einer Rettung die Erste Hilfe auch im Sinne psychotherapeutischer Erster Hilfe. Es muss den Kindern ganz klar vermittelt werden, dass sie an einem sicheren Ort angekommen sind und schnellstmöglich abgeschirmt werden.

Dass sie eine warme Decke, zu essen und zu trinken bekommen und mit ihren nächsten Angehörigen so schnell wie möglich vereint werden.

Dass sie sofort in geordneten Verhältnissen sind und sie ihre nahen Bindungspersonen so schnell wie möglich wieder bei sich haben, kann ganz entscheidend sein für die rasche Erholung der Seele.

Worum sollte es bei der psychotherapeutischen Ersten Hilfe gehen?

Zum frühestmöglichen Zeitpunkt sollte durch geschultes Personal mit den Kindern gesprochen werden, damit sie ins Reden kommen und in einer Kurzfassung eine erste Orientierung für sich sortieren können: Was ist passiert? Wie ist es abgelaufen und wo bin ich angekommen? Damit sich gleich mit Sprache eine Ordnung in die Verarbeitung des Geschehens einfädeln lässt. (ank/dpa)

ZUR PERSON: Der Kinder- und Jugendpsychiater Prof. Dr. med. Georg Romer ist Ärztlicher Direktor der Klinik für Kinder- und Jugendpsychiatrie, -psychosomatik und -psychotherapie am Universitätsklinikum Münster. Ausserdem ist er Lehrstuhlinhaber für Kinder- und Jugendpsychiatrie der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster.
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