In Tschechien boomen Privatzoos, die Raubkatzen halten, oft unter unzureichenden Bedingungen. Ein grausamer Fall aus Prag wirft ein Schlaglicht auf mangelnde Kontrollen und kriminelle Machenschaften.
Der Polizeibericht liest sich nüchtern: Das Herrchen führte seine Löwin an der Leine aus. Ein Mountainbike-Fahrer näherte sich auf dem Waldweg. "Es kam zum Kontakt zwischen der Löwin und dem vorbeifahrenden Radfahrer, der anschliessend einen Arzt aufsuchen musste", notierten die Beamten.
"Mich rufen entsetze Mütter an"
Was sich wie eine Nachricht aus dem Tigerland Indien anhört, geschah tatsächlich vor kurzem in der kleinen tschechischen Gemeinde Zdechov (Sdiechow) im Osten des Landes. Völlig überraschend kommt der - glimpflich ausgegangene - Vorfall nicht: Die Haltung von Raubkatzen erlebt in Tschechien seit einigen Jahren einen regelrechten Boom.
Tomas Kocourek ist Bürgermeister von Zdechov und - obwohl sich sein Nachname zufälligerweise als "kleiner Kater" übersetzen lässt - kein grosser Freund der gassigehenden Raubkatzen in seinem Ort. "Mich rufen entsetzte Mütter an, die mit ihren Kindern auf Spaziergang sind", sagt der Lokalpolitiker der Deutschen Presse-Agentur. Solche Begegnungen seien keine Seltenheit.
Juristisch hat Kocourek nach eigenen Angaben kaum eine Möglichkeit, gegen die Raubtierhaltung vorzugehen. Verboten ist sie nicht. "Ich kann nichts unternehmen, ausser dem Besitzer ins Gewissen zu reden", sagt der Bürgermeister, der seit November 2006 der 600-Seelen-Gemeinde vorsteht.
Nur einige wenige in dem Ort an der Grenze zur Slowakei würden die Löwenhaltung begrüssen - als Werbung für den Tourismus.
Schlechte Bedingungen in "Zooparks"
Mehr als 250 Grosskatzen leben in Tschechien bei privaten Haltern und Züchtern. Bei den kommunalen Tierparks stösst das auf wenig Verständnis. "Ich halte es persönlich für falsch, die Haltung von Löwen oder Tigern als Privatvergnügen zu betreiben", sagt Miroslav Bobek, Direktor des Prager Zoos. Er ist mit mehr als anderthalb Millionen Besuchern im Jahr der grösste des Landes.
Bobek fordert seit Jahren rechtliche Regeln zum Schutz der seltenen Tiere - und der Öffentlichkeit. "Selbst einen Hund muss man in der Stadt an der Leine führen - einen Löwen aber nicht", sagt der Zoologe.
In Tschechien gebe es eine ganze Reihe von sogenannten "Zooparks" oder "Bioparks", in denen die Raubkatzen unter unzureichenden Bedingungen litten. Mit einem richtigen Zoologischen Garten, so wie dem seinen, habe dies nichts gemein.
In einem solchen "Biopark" waren Mitte Juli zwei Tiger und ein Löwe aus ihren Transportkäfigen entkommen. Die Polizei musste mit einem Grossaufgebot anrücken. Die Bewohner eines nahen Dorfes durften ihre Häuser nicht verlassen. Am Ende konnten die Tiere mit Schüssen aus dem Narkosegewehr betäubt werden. Sie hatten sich in aller Ruhe einen schattigen Platz unter einer Kiefer ausgesucht.
Grausamer Fund bei Razzia
Tragisch endete indes das Leben von mindestens drei Tigern in einem anderen "Zoopark" bei Prag. Bei einer Razzia, ebenfalls Mitte Juli, machte die Polizei einen grausamen Fund: Neben einem frisch getöteten Tiger stiessen sie auf tiefgefrorene Kadaver, auf Tigerfelle und Produkte wie "Tigerwein" - in Spirituosen eingelegte Tigerknochen.
Die Ermittler sind überzeugt, dass die Körperteile für die traditionelle chinesische Medizin verwendet werden sollten. Auf dem Schwarzmarkt in Asien werden hohe Preise für Tigerprodukte gezahlt, da ihnen heilende Kräfte nachgesagt werden. Dieser Aberglaube ist dort seit Jahrhunderten verankert.
Drei Verdächtige tschechischer und vietnamesischer Nationalität sitzen nun in Untersuchungshaft. Das Medieninteresse ist enorm, denn unter den Beschuldigten ist auch ein entferntes Mitglied einer angesehenen Zirkusfamilie. Der Zirkus distanzierte sich öffentlich von dem Mann.
Schwarzmarkt-Handel mit Tigerprodukten
Nach dem Washingtoner Artenschutzübereinkommen CITES ist jeder kommerzielle Handel mit Tigerprodukten verboten. Die orange-schwarz gestreiften Raubkatzen gelten als stark bedroht. Dennoch scheinen die jüngsten Enthüllungen in Tschechien kein Einzelfall zu sein.
Nach Recherchen der Organisation Vier Pfoten wurden zwischen 1999 und 2016 mehr als 8.200 illegale Tigerprodukte wie Tiger-Suppenwürfel, Zähne und Krallen in der EU beschlagnahmt.
Ein Kilo Tigerknochen bringt den Tierschützern zufolge auf dem Schwarzmarkt im Schnitt 1.700 Euro ein. Die tschechische Regierung hat nun erste Gegenmassnahmen angekündigt, darunter einen Exportstopp für lebende Tiger in Drittstaaten ausserhalb der Europäischen Union.
Nicht immer ist klar, was dort mit ihnen geschieht. Die Tierschützer von Vier Pfoten warnen jedenfalls: "Der legale Handel befeuert den illegalen Handel." (dar/dpa)
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