Seit dem umstrittenen Manöver der "Sea-Watch 3"-Kapitänin Carola Rackete wird der Streit um die Verteilung der Migranten emotionaler denn je geführt. Dabei ist die Zahl der Asylbewerber hier drastisch zurückgegangen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zum Thema Seenotrettung.

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Die Flucht über das Mittelmeer wagen deutlich weniger Menschen als noch vor zwei Jahren. Seit dem umstrittenen Manöver von "Sea-Watch"-Kapitänin Carola Rackete, Migranten unerlaubt nach Italien zu bringen, wird die Debatte um Bootsflüchtlinge emotionaler denn je geführt. Hilfsorganisationen sehen sich als Sündenbock eines scheinbar unlösbaren Konflikts in der EU.

Warum hört man so viel von deutschen Rettungsschiffen?

An der Seenotrettung im Mittelmeer haben sich in den vergangenen Jahren auffällig viele deutsche Organisationen beteiligt. Die Zahl der Rettungsschiffe ist aber drastisch gesunken.

Im Sommer 2017 waren zeitweise mehr als zehn Schiffe vor Libyen unterwegs, darunter auch das der deutschen NGO Jugend Rettet oder die "Aquarius" der deutsch-italienisch-französischen Organisation SOS Méditerranée.

Mittlerweile sind nur noch zwei Organisationen im Einsatz: Die spanische Proactiva Open Arms und die deutsche Sea-Eye. Sea-Watch und der italienischen NGO Mediterranea sind derzeit die Hände gebunden. Ihre Schiffe wurden an die Kette gelegt. Der Kapitän der Dresdner Mission Lifeline, Claus-Peter Reisch, wurde in Malta zuletzt zu einer Geldstrafe verurteilt. Das Schiff liegt dort fest.

Wie werden Migranten in Seenot aufgespürt?

In einigen Fällen setzen die Migranten selbst einen Notruf ab. In anderen Fällen werden die Flüchtlingsboote von Fischern auf dem Meer, von Handelsschiffen, Einheiten der EU-Grenzschutzagentur Frontex oder eben von Hilfsorganisationen entdeckt, die auch zwei Suchflugzeuge im Einsatz haben.

Die Pflicht, bei Seenot zu retten, gilt für staatliche wie private Schiffe. Die Rettungseinsätze werden dann von Seenotrettungsleitstellen zum Beispiel in Italien oder Malta koordiniert. Diese können auch Schiffe in der Nähe eines Bootes zur Rettung beordern.

Seit dem Regierungswechsel in Italien vor einem Jahr hatte sich aber die Rettungsstelle in Rom oft für nicht zuständig erklärt. Auch Malta wehrt sich gegen die Koordination, wenn die Rettung nicht in maltesischen Gewässern stattfindet.

Warum steuern private Rettungsschiffe immer Häfen in Italien oder Malta an?

Gerettete sollen laut der Internationalen Organisation für Migration (IOM) an einen sicheren Ort gebracht werden. Das muss nicht der nächste Hafen, sondern kann auch ein grösseres Schiff sein. Die Seenotretter berufen sich auf das sogenannte Nothafenrecht.

Dem Wissenschaftlichen Dienst des Bundestags zufolge sind die Voraussetzungen für die Anwendung dieses Rechts erfüllt, wenn sich ein Schiff in Seenot befindet - muss aber in Einklang mit den Sicherheitsinteressen für den Hafen stehen. "Im Falle eines in Seenot geratenen Flüchtlingsbootes dürfte die Verwehrung des Hafenzugangs aus seevölkerrechtlicher Sicht in aller Regel unverhältnismässig und daher völkerrechtswidrig sein", heisst es.

Eine Fahrt in weiter entfernte Häfen wie Spanien, Frankreich oder gar die Niederlande bedeutet sowohl für die oft traumatisierten Geretteten als auch die Crew weitere Belastungen und neue Risiken - und sie ist teuer.

Gefällt den Italienern der Anti-Migrationskurs ihrer Regierung?

Kritik kam im Fall der "Sea-Watch" vor allem aus dem Ausland und insbesondere aus Deutschland. In Italien hat die Lega des italienischen Innenministers Matteo Salvini mitten in der Krise um die "Sea-Watch 3" mit 38 Prozent ein spektakuläres Umfragehoch verbucht, wie die Zeitung "Il Sole 24 Ore" am Dienstag unter Berufung auf Daten des Instituts Swg berichtete.

Das Anlanden von Migranten zu verbieten, die von Hilfsorganisationen gerettet werden, stimmen 59 Prozent sehr oder weitgehend zu, wie aus einer anderen Umfrage für die Zeitung "Corriere della Sera" hervorgeht.

Wollen auch andere Staaten härter gegen Seenotretter vorgehen?

Ja, Spanien. Die sozialistische Regierung von Ministerpräsident Pedro Sánchez hat Proactiva Open Arms kürzlich mit Geldstrafen von bis zu 900.000 Euro gedroht, wenn diese mit ihrem Schiff weiter Migranten im Mittelmeer rette.

Zudem wird gedroht, das Schiff nach Spanien zurückzubeordern und dort zu blockieren. Proactiva will dennoch weitermachen.

Sind die Hilfsorganisationen wirklich das Problem?

Wenn man die Zahlen betrachtet: Nein. Die Schlepper haben ihre Strategie geändert und schicken sogenannte Geisterboote, die Migranten an Bord haben, aber unbegleitet sind in Richtung Italien - die dann entweder in den italienischen Gewässern von Küstenwache oder Finanzpolizei gerettet oder in den Hafen eskortiert werden oder aus eigener Kraft ankommen.

Nur jeder zehnte Migrant, der in diesem Jahr nach Italien kam, sei von einer Hilfsorganisation gerettet worden, berechnete die italienische Zeitung "La Repubblica" unter Berufung auf Zahlen aus dem Innenministerium.

Demnach wurden von etwas mehr als 3.000 Ankömmlingen in der ersten Jahreshälfte nur knapp 300 von den privaten Helfern gerettet.

Warum ist es so schwer, eine europaweite Regelung für die Aufnahme und Verteilung der Bootsflüchtlinge zu finden?

Ein Mechanismus für die Verteilung der Bootsflüchtlinge ist nur ein Minimalziel. Eigentlich versucht die EU sich seit Jahren an einer grossen Asylreform - inklusive neuer Dublin-Regel.

Danach ist bislang der EU-Staat für Migranten zuständig, den diese zuerst erreichen. Weil dadurch hauptsächlich Mittelmeerländer wie Italien, Spanien, Malta und Griechenland belastet sind, soll es nach dem Willen der EU-Kommission und einiger EU-Staaten eine faire Verteilung auf alle Staaten geben.

Länder wie Ungarn und Polen weigern sich jedoch, sich zur Aufnahme von Migranten zu verpflichten. Über die Dublin-Reform wird in Brüssel deshalb kaum mehr verhandelt.

Wie funktioniert die Verteilung, wenn nicht alle EU-Länder mitmachen?

Wenn mal wieder ein Schiff im Mittelmeer umherirrt und irgendwann in einen Hafen einfahren darf, kommt die EU-Kommission ins Spiel. Offiziell ist die Brüsseler Behörde in diesen Fällen gar nicht zuständig.

Bei dem deutschen Schiff "Alan Kurdi" wurde sie jedoch von der Bundesrepublik gebeten, die Verteilung der Migranten zu koordinieren. Dann beginnt, wie am vergangenen Wochenende, die mittlerweile eingeübte Telefon-Diplomatie: Alle EU-Staaten werden gefragt, ob sie Migranten aufnehmen wollen.

Aus einigen gibt es positive Antworten. Die Zahl der "Willigen" ist im Laufe des vergangenen Jahres zurückgegangen. Mit dabei sind in der Regel Länder wie Deutschland, Frankreich, Portugal und Luxemburg. (ff/dpa)

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