Richard Brox wird als "bekanntester Obdachloser Deutschlands" bezeichnet und hat 30 Jahre auf der Strasse gelebt. Jetzt ist ein Buch von ihm erschienen. Er möchte damit Menschen vom Rand der Gesellschaft eine Stimme geben.
Richard Brox hat eine Internetseite für Obdachlose ins Leben gerufen, inzwischen ist er auch Buchautor. In seiner Biographie "Kein Dach über dem Leben" erzählt er von seiner schwierigen Kindheit und den drei Jahrzehnten, die er auf der Strasse verbracht hat.
Im Gespräch mit unserer Redaktion erklärt der 53-Jährige, was er sich von seinem Buch erhofft - und warum er überzeugt ist, dass Obdachlosigkeit jeden treffen kann.
Herr Brox, der Rowohlt-Verlag bezeichnet Sie als "Deutschlands bekanntesten Obdachlosen". Sie geben Menschen ohne feste Bleibe in der Öffentlichkeit eine Stimme. Ist das ein Auftrag oder eine Last?
Richard Brox: Ich mache das schon seit Jahren - und ich mache es gerne. Obdachlose haben so gut wie kein Gehör in der Gesellschaft. Deswegen ist es wichtig, daran zu erinnern, dass auch sie Anspruch auf Menschenwürde haben.
Ich hoffe, dass ich mit meinem Buch dazu beitragen kann, dass Schwache und Benachteiligte - egal welcher Art - auf mehr Respekt stossen.
Es gibt Menschen, die sagen: In Deutschland muss niemand auf der Strasse leben. Was antworten Sie denen?
Ich würde diesen Menschen nicht empfehlen, selbst obdachlos zu werden. Dann würden sie spüren, dass jemand, der in dieses Loch hineingefallen ist, da so schnell nicht wieder rauskommt.
Obdachlos kann jeder werden. Es gibt in Deutschland keinen rechtlichen Schutz, keine Zusage, dass der Staat eine drohende Obdachlosigkeit abwehrt. Es gibt Beratungsstellen, aber die sind meistens von sozialen oder kirchlichen Einrichtungen.
Leider sind viele Kommunen auch nicht bereit, eine Statistik zu erheben, wie viele Obdachlose überhaupt in ihrem Bereich leben.
Und nur ein einziges deutsches Bundesland hat in seiner Verfassung festgeschrieben, dass jeder Bürger ein Recht auf angemessenen, bezahlbaren Wohnraum hat. Das ist Bayern.
Die Zahl der Menschen ohne feste Wohnung ist in Deutschland in den vergangenen Jahren gestiegen, die Bundesarbeitsgemeinschaft Wohnungslosenhilfe spricht von 860.000 Betroffenen. Haben Sie eine Erklärung für diese Entwicklung?
Durch die Umstellung auf Hartz IV hat sich die Not deutlich verschärft. Meiner Meinung nach ist es das Grundübel der Armut. Ich bin für die Einführung eines bedingungslosen Grundeinkommens.
Wie könnte das helfen?
Nehmen wir einen Betrag von 900 Euro, auf den jeder Mensch pro Monat ein Anrecht hätte. Ein Obdachloser könnte davon ein Pensionszimmer anmieten, könnte mit medizinischer Betreuung gesund werden und sich auf dem Arbeitsmarkt frei entfalten.
Sie haben inzwischen eine Wohnung im Rheinland. Wie haben Sie diesen Schritt geschafft?
Das habe ich dem Journalisten Günter Wallraff zu verdanken. Er hat mir eine Wohnung zur Verfügung gestellt, von der aus ich an meinem Buch arbeiten konnte.
Das würde ich mir für andere Obdachlose auch wünschen: Man muss den Menschen eine Perspektive geben. Und dafür muss man sie fragen: Was möchtest du gerne? Was kannst du? Und auf dieser Basis muss man einen Hilfsplan erarbeiten.
Das klingt aufwendig.
Einen Langzeitobdachlosen sesshaft zu machen, ist natürlich schwierig. Man muss Geduld haben, manchmal sind mehrere Versuche nötig. Irgendwann kommt aber der Punkt, an dem der Mensch den Sprung zurück ins bürgerliche Leben schafft. Es lohnt sich, dafür zu kämpfen.
Hat sich das Leben als Obdachloser in den vergangenen Jahren verändert?
Es ist sehr rau geworden. Als Obdachloser hat man kein Recht mehr, vor allem keine Daseinsberechtigung. Auch unter den Obdachlosen selbst sind Neid und Raffgier sehr verbreitet.
Man muss sehr gut aufpassen: auf sein Hab und Gut - und auf sich selbst. Die Strasse ist kräftezehrend und nervenraubend. Jeder Tag auf der Strasse kostet einen obdachlosen Menschen zwei Tage seiner Lebenszeit.
Die Erlöse aus dem Verkauf des Buches sollen in ein Projekt fliessen: Sie möchten todkranken Obdachlosen eine mobile hospizähnliche Betreuung ermöglichen. Warum ist die nötig?
Menschen, die auf der Strasse leben, haben keinen Anspruch auf eine gesetzliche Krankenversicherung. Ein Obdachloser mit einer schweren Erkrankung - zum Beispiel Krebs - wird zunächst notversorgt, aber nicht darüber hinaus.
Er muss dann wieder gehen. Wie fühlt sich ein Mensch, dem der Arzt sagt, dass er nur noch zwei, drei Monaten zu leben hat, für diese Zeit aber nicht stationär aufgenommen werden kann.
In Graz gibt es ein Hospiz für Obdachlose mit einer schweren Erkrankung. Ich möchte mit meiner Arbeit den Gedanken anstossen, so etwas auch in Deutschland zu schaffen.
Die Menschen sollen das Gefühl haben, gut versorgt zu sein - mit frischer Unterwäsche, Kleidung, Hygieneartikeln und so weiter. Damit sie nicht alleine gelassen sind in ihren letzten Augenblicken.
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