Der Prozess um einen grausamen Vierfachmord von Rupperswil befeuert in der Schweiz die Debatte über lebenslängliche Sicherheitsverwahrungen. Denn "lebenslänglich" heisst im Schweizer Strafrecht nicht "bis ans Ende des Lebens". Gefährliche Wiederholungstäter kamen so wieder auf freien Fuss.

Rupperswil-Prozess: Wichtige Fragen und Antworten im Überblick

In den USA können Haftstrafen von über 100 Jahren ausgesprochen werden. Egal wie alt der Täter zum Zeitpunkt der Tat ist, er verschwindet für den Rest seines Lebens hinter Gitter und kann ausserhalb der Gefängnismauern keinen Schaden mehr anrichten.

Anders in der Schweiz: Zwar sieht das Schweizerische Strafgesetzbuch für besonders schlimme Verbrechen wie Mord oder Völkermord eine "lebenslängliche Freiheitsstrafe" vor. Doch das bedeutet nicht, dass der Täter wirklich bis ans Ende seines Lebens im Gefängnis bleibt. Nach 15 Jahren, in manchen Fällen auch bereits nach zehn Jahren, ist eine bedingte Entlassung möglich.

Das Problem: Zwar hat der Täter seine Strafe für die Tat abgesessen, die moralische Schuld also beglichen und somit sein Recht auf ein Leben in Freiheit zurückerhalten – gleichzeitig ist er aber möglicherweise noch immer gefährlich für die Gesellschaft.

Das Beispiel Erich Hauert schrieb Justizgeschichte: Er wurde 1983 wegen elf Vergewaltigungen und zwei Sexualmorden zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt. Wenige Jahre später wurde der Vollzug bereits gelockert. Mit fatalen Folgen: Auf einem unbegleiteten Urlaub vergewaltigte und ermordete er 1993 eine junge Frau.

Volk stimmt für lebenslange Verwahrung

Im Februar 1996 vergewaltigte ein anderer Wiederholungstäter ein 13-jähriges Mädchen. Er strangulierte das Kind und liess es in einem eiskalten Bach liegen. Es überlebte nur, weil es sich totstellte.

Mutter und Patentante dieses Mädchens lancierten daraufhin eine Volksinitiative, damit extrem gefährliche Gewalt- und Sexualstraftäter aus Sicherheitsgründen lebenslänglich verwahrt werden. 2004 nahm die Stimmbevölkerung – gegen Empfehlung von Regierung, Parlament und Rechtsexperten – die Verwahrungs-Initiative an.

Auch andere europäische Länder haben die Verwahrung in den letzten Jahren wiedereingeführt. Nach dem Zweiten Weltkrieg hatten sie viele aus rechtsstaatlichen Bedenken abgeschafft.

Zwei Arten von Verwahrung

Heute gibt es in der Schweiz theoretisch zwei Möglichkeiten, gefährliche Täter auch nach Absitzen der Strafe aus Sicherheitsgründen im Gefängnis zu behalten:

- Die normale Verwahrung: Wenn ein Gericht einen Täter als gefährlich einstuft, kann er für unbestimmte Zeit verwahrt werden. Die Verwahrung wird aber regelmässig überprüft. Der Täter kann bedingt entlassen werden, sobald zu erwarten ist, dass er sich in der Freiheit bewährt.

- Die lebenslange Verwahrung: Wenn ein Täter eine besonders schwere Tat begangen hat, eine hohe Rückfallgefahr besteht und er als nicht therapierbar gilt, kann das Gericht eine lebenslange Verwahrung anordnen. Eine Überprüfung findet nicht mehr statt. Der Täter kann nur entlassen werden, wenn neue wissenschaftliche Erkenntnisse eine Therapie ermöglichen, so dass er für die Öffentlichkeit keine Gefahr mehr darstellt.

Bundesgericht hebt alle lebenslänglichen Verwahrungen auf

In der Praxis kommt aber nur die normale Verwahrung zur Anwendung. Das höchste Schweizer Gericht (Bundesgericht) hat bisher alle lebenslänglichen Verwahrungen aufgehoben. Aktuell wird nur ein einziger Täter in der Schweiz im Sinne der Volksinitiative lebenslang verwahrt. Er hatte seine Verurteilung nicht an das Bundesgericht weitergezogen.

Die Behörden sind aber viel vorsichtiger geworden mit Entlassungen aus der "normalen" Verwahrung. In den vergangenen 14 Jahren haben sie im Schnitt jährlich zwei Prozent der ordentlich Verwahrten bedingt entlassen. Rückfallgefährdete Extremtäter bleiben somit tatsächlich lebenslänglich hinter Gitter.  © swissinfo.ch

JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.