In ganz Deutschland wird über den Brauch "Klaasohm" diskutiert, den die die Nordseeinsel Borkum seit Jahrzehnten feiert. Gehört Gewalt gegen Frauen zu dem Fest dazu? Ist das wirklich Tradition?
Nach heftiger Kritik soll dieses Jahr alles anders werden: Die Veranstalter von "Klaasohm" auf der Nordseeinsel Borkum haben angekündigt, den "Brauch des Schlagens" vollständig abzuschaffen. "Wir als Gemeinschaft haben uns klar dazu entschieden, diesen Aspekt der Tradition hinter uns zu lassen und den Fokus weiter auf das zu legen, was das Fest wirklich ausmacht: den Zusammenhalt der Insulanerinnen und Insulaner", teilte der Verein Borkumer Jungens mit.
Frauen berichten von Schlägen mit Kuhhorn
Ein Bericht des ARD-Magazins "Panorama" über die Tradition hatte deutschlandweit für Entsetzen gesorgt. In dem Beitrag berichten Borkumerinnen und Borkumer anonym von aggressiven Übergriffen bei dem Nikolausbrauch. Ein Team filmte im vergangenen Jahr, wie Frauen bei dem Fest auf der Strasse von "Fängern" festgehalten werden und ihnen die sogenannten Klaasohms mit einem Kuhhorn auf den Hintern schlugen.
"Was für eine schreckliche Tradition. Wie tief die Unterdrückung von Frauen noch verankert ist", kommentierte eine Nutzerin den Beitrag des NDR-Reportageformat "STRG_F", der auf YouTube veröffentlicht wurde. Das Video erreichte auf dem Portal binnen drei Tagen knapp 870.000 Aufrufe (Stand 2.12., 11:00 Uhr) und erzielte hohe Reichweiten in den sozialen Netzwerken.
Klaasohm auf Borkum
Die Veranstalter des Fests auf der rund 5.000 Einwohnerinnen und Einwohner zählenden Insel sprechen von einem "Shitstorm". Der Verein Borkumer Jungens, die Stadt und das Nordseeheilbad würden seit Veröffentlichung des Beitrags mit Nachrichten und E-Mails überhäuft.
In einigen Online-Kommentaren wird der Rücktritt des parteilosen Bürgermeisters Jürgen Akkermann gefordert, der das Statement des Vereins unterstützt. Laut Veranstalter sagen inzwischen auch Touristen ihren Urlaub auf der ostfriesischen Insel ab.
Veranstalter distanzieren sich öffentlich von Gewalt - Polizei bereitet sich vor
Der Verein räumte ein, die Tradition könne im heutigen Zeitgeist und aus Sicht Aussenstehender kontrovers wirken. Künftig sollen das Fest transparenter gestaltet und Missverständnisse aufgeklärt werden. "Wir verstehen die Kritik an den in der Reportage gezeigten Szenen und fühlen uns verpflichtet, weitere Veränderungen herbeizuführen."
Das Schlagen mit Kuhhörnern sei in der Vergangenheit "und in Einzelfällen auch in den letzten Jahren" Teil des Brauches gewesen, heisst es in der Stellungnahme. "Wir distanzieren uns ausdrücklich von jeder Form der Gewalt gegen Frauen und entschuldigen uns für die historisch gewachsenen Handlungen vergangener Jahre." Dieser Teil habe jedoch nie den Kern des Fests ausgemacht. In den vergangenen Jahren sei es "fast gar nicht mehr" erfolgt.
Die Polizei bereitet sich bereits auf den Einsatz in der Nacht zum 6. Dezember vor. "Wir fahren eine Null-Toleranz-Linie", betonte ein Sprecher. "Gewalt wird nicht akzeptiert." Die Beamten kündigten an, das Gespräch mit den Veranstaltern und dem Ministerium zu suchen. Dabei soll es auch um das bisherige Verhalten der Einsatzkräfte im Zusammenhang mit dem Brauch gehen. "Wir werden das intern aufarbeiten."
Die Polizei ermutigt zudem Frauen, denen bei dem Brauch Gewalt widerfahren ist, Strafanzeige zu stellen. "Wer Opfer geworden ist, sollte keine Angst haben", betonte der Sprecher. "Wir nehmen das sehr ernst." Delikte wie Körperverletzung oder gefährliche Körperverletzung verjähren demnach erst nach 20 bis 30 Jahren.
Innenministerin kritisiert Gewalt bei "Klaasohm"
Niedersachsens Innenministerin Daniela Behrens kritisiert die Gewalt gegen Frauen bei dem umstrittenen Nikolausbrauch "Brauchtum und Tradition können und dürfen niemals Rechtfertigung für Gewalt an Frauen sein", wird die SPD-Politikerin in einer Mitteilung zitiert.
"Die Berichterstattung über das Klaasohm-Fest auf Borkum zeigt, dass längst nicht alle betroffenen Frauen mit diesem gewalttätigen Brauch einverstanden waren und es ihnen dennoch nicht leichtgefallen ist, das auch so zu artikulieren", sagte die Ministerin weiter. Es sei daher "folgerichtig und überfällig", dass die Veranstalter angekündigt haben, diesen Teil des Festes abzuschaffen.
Borkumerinnen demonstrieren für Erhalt des Brauchs
Am Sonntag demonstrierten indes rund 150 bis 200 Borkumerinnen für den Erhalt des umstrittenen Nikolausbrauchs. "Es blieb alles friedlich", sagte ein Sprecher der Polizei. Die Frauen seien durch die Strassen der Gemeinde gelaufen und hätten durch Kuhhörner geblasen. "Das war ein ganz spontaner Protest", sagte der Polizeisprecher. Die Beamten auf der Insel hätten vorab nichts von der Demonstration gewusst, die Frauen dann aber begleitet.
Auch online formiert sich Protest. "Wir stellen uns auf der Insel weiter der Kritik, aber Aufrufe zur Gegengewalt von autonomen Gruppen, Inselsturm usw. haben ein Ausmass angenommen, das ebenfalls nicht tolerierbar ist", schreibt ein Mann in einer öffentlichen Facebook-Gruppe rund um Borkum. "Die Insel ist seit Jahren im Wandel und auch Klaasohm!"
Bürgermeister: Videosequenz zeigt Fehlverhalten einzelner Menschen
Borkums Bürgermeister stellte sich hinter die Veranstalter. Die in der Dokumentation gezeigte Videosequenz zeige ein Fehlverhalten einzelner Menschen und könne "keinesfalls als Beleg dafür herhalten, dass die Insel Gewalt toleriert, wie es der Bericht suggeriert", teilte Jürgen Akkermann mit. "Heutzutage feiern Frauen, Männer und Kinder auf den Strassen, in den Lokalen und in den Häusern gemeinsam. Leider kommen aber positive Stimmen im Bericht nicht zu Wort."
Die Recherche stelle ein verzerrtes Bild des Brauches dar. "Die Berichterstattung ist aus meiner Sicht tendenziös und unseriös. Diese Bewertung wird von vielen Bewohnerinnen und Bewohnern der Insel geteilt", betonte Akkermann.
NDR-Reporter berichten hingegen, dass von offizieller Stelle alle Interviewanfragen abgelehnt worden seien. Mehrere Fürsprecher aus der Borkumer Bevölkerung hätten ihre Interviews vor der Veröffentlichung des Beitrags zurückgezogen.
Staatssekretärin: Debatte über Brauch "dringend notwendig"
Die Staatssekretärin im Sozialministerium kritisiert, dass über den Brauch nicht offen gesprochen wird. "Dabei wäre eine Debatte darüber, ob 'Klaasohm' in dieser Form noch zeitgemäss ist, dringend notwendig", sagte Christine Arbogast. Bräuche und Traditionen überdauerten die Zeiten am besten, wenn sie mit der Zeit gingen. "Die notwendigen Anstösse und Impulse müssen dabei in erster Linie von den Borkumerinnen und Borkumern selbst ausgehen."
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Die Tradition gibt es seit Generationen jedes Jahr am Abend vor dem 6. Dezember. Nach Angaben des Regionalverbandes Ostfriesische Landschaft verkleiden sich dabei junge, unverheiratete Männer mit Masken, Schafsfellen und Vogelfedern als sogenannte Klaasohms. Der Ausdruck "Klaas" geht demnach auf das niederländische Wort für Nikolaus zurück. Die Klaasohms begleiten dann einen als Frau verkleideten Mann, der sich als sogenannte Wievke mit Rock und Schürze wild gebärdet. Ausgestattet sind alle mit Kuhhörnern.
Unter Ausschluss der Öffentlichkeit kommt es dem Brauch zufolge zuerst in einer Halle zu einem rituellen Kampf, zu dem nur Männer zugelassen sind, die auf Borkum geboren wurden. Danach gehe es "unter Getöse von Haus zu Haus", beschreibt der Regionalverband.
"Junge Frauen, die sich in dieser Nacht aus dem Haus wagen, werden gefangen und mit einem Kuhhorn verhauen. Die Kinder aber werden gut behandelt und bekommen Moppen, ein hartes Honigkuchengebäck, geschenkt", heisst es weiter. Den Abschluss findet der Brauch auf einem Platz. Höhepunkt sei ein Sprung der Klaasohms und der Wievke von einer meterhohen Säule in die Menschenmenge.
Auf Borkum wird sich erzählt, dass der Brauch auf die Zeit der Walfänger zurückgeht. Die Männer seien am Jahresende zurück auf die Insel gekommen, nachdem sie monatelang auf See gewesen waren, und hätten mit dem Brauch klargemacht, dass nun wieder sie - und nicht die Frauen - das Sagen hätten. (Mirjam Uhrich, Christina Sticht und Lennart Stock, dpa/bearbeitet von ank)
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