Das Zika-Virus ist nicht nur ein Problem von Brasilien oder Lateinamerika. Nach Auffassung der Weltgesundheitsorganisation WHO handelt es sich um einen "weltweiten Gesundheits-Notfall." Was bedeutet das für die Schweiz? Welche Prioritäten sind bei der Bekämpfung zu setzen? swissinfo.ch befragte den Epidemiologen Marcel Tanner, den früheren Direktor des Schweizerischen Tropen- und Public Health-Instituts (Swiss TPH) in Basel.

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Es gab das Ebola-Virus, die Polio-Viren und die Schweinegrippe. Nun gibt es eine neue Bedrohung für die Gesundheit der Weltbevölkerung - namens "Zika". Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) hat den weltweiten Notstand ausgerufen. Insbesondere zeigt sich die Organisation in Sorge wegen eines möglichen Zusammenhangs zwischen dem Virus und Missbildungen bei Kindern (Mikrozephalie). Wissenschaftlich bewiesen ist dieser Zusammenhang bisher aber nicht.

swissinfo.ch: Das Zika-Virus wird als "weltweiter Gesundheitsnotfall" bezeichnet. Was bedeutet das genau für die Schweiz?

Marcel Tanner: Es bedeutet, dass auch die Schweiz sich um dieses Problem kümmern muss. Einerseits müssen wir national die Situation beobachten, aber uns andererseits auch an den internationalen Anstrengungen beteiligen, diese Epidemie in den Griff zu bekommen. Es ist ganz wichtig zu verstehen, dass es nicht um ein Problem Brasiliens geht.

Reisende müssen nun korrekt informiert werden. Sie müssen wissen, dass es momentan weder Impfstoffe noch Medikamente gibt. Das Virus wird von Mücken übertragen. Daher besteht die einzige Massnahme zurzeit in einer Vorbeugung durch Schädlingsabwehrstoffe oder Moskitonetze. Zudem müssen Schweizer Spitäler, die Fieberkrankheiten behandeln, nun auch die Möglichkeit einer Infizierung durch das Zika-Virus in Betracht ziehen. Aber aufgepasst: Man sollte nun nicht in Hysterie verfallen. In 80 Prozent der Fälle verläuft eine Infizierung mit Zika ohne Symptome.

swissinfo.ch: Die Tigermücke, die als mögliche Überträgerin des Virus gilt, kommt auch auf der Südseite der Alpen vor - im Kanton Tessin. Muss man sich Sorgen machen?

M.T.: Das Schweizerische Tropen- und Public Health-Institut ist für die Beobachtung der Tigermücken-Populationen in der Schweiz verantwortlich. Wenn es zu einer Ausbreitung oder irgendwelchen Veränderungen kommt, werden die Behörden informiert. Das Bundesamt für Gesundheit interveniert dann mit Massnahmen gegen die Mücken. Beispielsweise werden Brutstätten beseitigt, in denen sich diese Insekten stark vermehren. Das ist unser Beitrag zu diesem weltweiten Kampf.

In den von uns untersuchten Tigermücken konnten wir das Zika-Virus nicht feststellen. Wenn jedoch diese Mücken mit Personen in Kontakt kommen, die sich in Brasilien angesteckt haben, könnten sie theoretisch das Virus auf andere Personen übertragen. Dieses Szenarium ist aber äusserst unwahrscheinlich, vor allem während der Wintermonate.

swissinfo.ch: Auf welche Fragen muss so schnell wie möglich eine Antwort gefunden werden?

M.T.: Die Frage, welche die internationale Gemeinschaft momentan am meisten beschäftigt, ist die Komorbidität (Begleiterkrankung einer Grunderkrankung, Anm.d.Red) mit dem Auftreten von Mikrozephalie - Babys mit zu kleinem Kopf- bei Neugeborenen von infizierten Frauen. So etwas hat es in dieser Form bisher nicht gegeben. Man spricht bereits von 4000 Fällen.

Doch der Zusammenhang zwischen dem Zika-Virus und dieser Missbildung ist nicht 100prozentig sicher. Es könnten auch andere Faktoren eine Rolle spielen, eventuell genetischer Natur sein. Nun muss die Kausalität dieser Phänomene genau und sehr zielgerichtet untersucht werden. Dafür wird man bestimmt einige Monate brauchen. In Hinblick auf die olympischen Spiele in Brasilien müssen auch Tests entwickelt werden, durch welche das Virus schnell nachweisbar ist. Ich bin überzeugt, dass in der Vergangenheit viele Fälle von Dengue-Fieber, einem Virus der gleichen Familie, auf das Zika-Virus zurückzuführen sind.

swissinfo.ch: Gibt es Fälle, in denen vergleichbar harmlose Viren schwerwiegende Pathologien zur Folge haben?

M.T.: Ganz bestimmt. Man denke nur an die verschiedenen Grippe-Viren. Einige dieser Viren sind sehr gefährlich. Oder die Coronaviren: Einige sind harmlos, andere können gravierende Krankheiten wie SARS auslösen (Schweres akutes Atemwegssyndrom). Solche Pathologien können auch auf Veränderungen des Virus zurückgehen. Auch das genetische Material oder gewisse Besonderheiten einer infizierten Person, beispielsweise ihre Ernährungsweise, könnten eine Rolle spielen.

swissinfo.ch: Einige Experten sind der Auffassung, dass die Zika-Epidemie schlimmer sei als Ebola. Es handele sich um eine lautlose Übertragung, die mit schwangeren Frauen eine besonders verwundbare Gruppe treffe. Sind Sie auch dieser Meinung?

M.T.: Nein. Im Falle von Ebola sind alle Körperflüssigkeiten ansteckend. Das haben wir in Westafrika gesehen: Die Ausbreitungsgeschwindigkeit von Ebola war dort rasant, wenn nicht reagiert wurde. Beim Zika-Virus kann eine Person nicht eine andere infizieren. Es braucht einen Überträger, die Mücke. Da liegt die Schwachstelle. Aber wir wissen, wie wir diesen Schwachpunkt bekämpfen können.*

swissinfo.ch: Wie denn?

M.T.: Indem wir uns auf den Kampf gegen die Mücken konzentrieren. Brasilien hat schon erfolgreich gegen das Dengue-Fieber gekämpft. Für das Zika-Virus braucht es die gleichen Anstrengungen, auch von 220‘000 Soldaten, die von der brasilianischen Regierung mobilisiert wurden. Man muss das Phänomen ganz genau beobachten. Doch die Beobachtung allein reicht nicht aus. Es muss gehandelt werden. Wenn man einen Fall entdeckt hat, muss man zum Punkt der Ansteckung gelangen und die Mücken dort ausrotten. In jedem Winkel der Erde, wo diese Mücken leben und überleben können, muss man auf der Hut sein.

swissinfo.ch: Gibt es andere Viren, die eines Tage zu einer Bedrohung für die Menschheit werden könnten?

M.T.: Man sollte die Entstehung von SARS und MERS (Infektion der Atemwege) nicht vergessen, auch wenn die jeweiligen Epidemien bekämpft werden konnten. Es gibt rund 1300 ansteckende Krankheiten, davon sind 800 mit Tieren verbunden. Wir müssen weiterhin sehr wachsam sein. Das bedeutet: Nationale Programme zur Förderung der Gesundheit, eine genaue Beobachtung der Situation, eine korrekte Information der Bevölkerung sowie ein Informationsaustausch und eine enge Zusammenarbeit zwischen Human- und Tiermedizin.

Ich bin der Meinung, dass sich die Wissenschaftler vermehrt mit so genannten seltenen, neu aufkommenden und wieder zurückkehrenden Krankheiten beschäftigen sollten. Die Mikrozephalie in Brasilien ist eine schreckliche Sache. Aber die Fälle sind in ihrer Häufigkeit bisher nicht so signifikant wie andere Gesundheitsprobleme. Denken wir nur an Malaria, Tuberkulose oder den HI-Virus, die wesentlich mehr Tote und somit mehr Schmerz verursachen.

* (Das Interview wurde geführt, bevor ein Fall im US-Bundesstaat Texas bekannt geworden ist, bei dem das Zika-Virus vermutlich durch Sex und nicht durch einen Mückenstich übertragen worden war.)


(Übertragung aus dem Italienischen: Gerhard Lob), swissinfo.ch

Zika-Virus in 28 Ländern

Das Zika-Virus wurde 1947 im gleichnamigen Wald in Uganda entdeckt. Die Übertragung erfolgt in den meisten Fällen durch einen Stich einer infizierten Mücke (Moskito) der Gattung Aedes. Die gleichen Mücken verbreiten auch das Dengue-, Chikungunya- und Gelbfiebervirus. Infizierte Personen weisen in der Regel keine schwerwiegenden Symptome auf, ähnlich wie bei einer Grippe.

Nach einer ersten Epidemie auf der Insel Yap in Mikronesien (2007) und einer zweiten in Polynesien (2013) tauchte im Mai 2015 ein neuer Herd im Nordosten Brasiliens auf. Mittlerweile wurden in 28 Ländern und Gebieten Fälle gemeldet. Nach Schätzungen der Weltgesundheitsorganisation (WHO) sind zwischen 500‘000 und 1,5 Millionen Menschen infiziert. Bis Ende 2016 könnte die Zahl auf 3 bis 4 Millionen steigen.

Am 2.Februar 2016 hat die WHO eine eigene Abteilung geschaffen, um den Kampf gegen das Zika-Virus zu intensivieren und zu koordinieren.

Besteht ein Zusammenhang mit Mikrozephalie?

Das Auftreten des Zika-Virus in Brasilien ging einher mit einem Anstieg von Missbildungen bei Neugeborenen. 2014 wurden 147 Fälle von Mikrozephalie festgestellt. Es handelt sich um eine seltene Störung, bei der das Baby einen zu kleinen Kopf hat. Seit vergangenem Oktober gab es bereits 4200 Fälle.

Die WHO hat den dringenden Verdacht, dass es einen direkten Zusammenhang zwischen dem Auftreten des Zika-Virus und diesen Mikrozephalie-Fällen gibt. Doch bis anhin gibt es keinen wissenschaftlichen Beweis. Im Unterscheid zum HI-Virus oder zu Ebola "ist Zika keine tödliche Infektion", sagt Anthony Costello. Er ist Experte für Mikrozephalie bei der WHO in Genf. Gleichwohl habe dieser Virus "potentiell eine verheerende Wirkung für Familien", in denen solche Missbildungen von Kindern auftauchten.  © swissinfo.ch

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