Wegen seines Umgangs mit Kundendaten und Manipulationen durch die Firma Cambridge Analytica bläst Facebook gegenwärtig ein kalter Wind entgegen. Kürzlich sagte der Datenschützer des Kantons Zürich, ein solches Szenario wäre auch in der Schweiz möglich. Wirklich?
"Nach der Obama- und der Trump-Kampagne kamen verschiedene Berater aus den USA in die Schweiz und zeigten auch an öffentlichen Referaten die neuen Möglichkeiten des 'Campaigning' auf", sagte der Zürcher Datenschützer Bruno Baeriswyl kürzlich in einem Interview mit dem Tages-Anzeiger. "Es würde mich nicht wundern, wenn wir in den nächsten nationalen Wahlen 2019 solche Phänomene sehen."
Baeriswyl zeigte sich "erstaunt", wie systematisch mit Facebook-Daten in politische Kampagnen eingegriffen worden sei, und kritisierte die fehlende Transparenz für die Nutzerinnen und Nutzer betreffend deren Daten sowie die langen, unklaren Nutzungsbedingungen: "Wer nicht einwilligt, kann keinen Account eröffnen."
In einem solchen Fall könnte man auch sagen, "dass die Einwilligung ungültig ist", so Baeriswyl. Doch unter schweizerischem Recht sei dies nicht möglich, nicht einmal im Rahmen des Datenschutz-Gesetzes. "Die betroffene Person müsste in Kalifornien nach kalifornischem Recht klagen!"
Gezielte Ansprache in der Schweiz
Er sei mit Baeriswyl einverstanden, was die Art der Bedrohung betreffe, sagt Paul-Olivier Dehaye, Chef der Genfer Datensicherheits-Gruppe PersonalData.IO, gegenüber swissinfo.ch. Nicht aber, wie dagegen vorzugehen sei.
Dehaye hat sich in den letzten Jahren intensiv mit den Aktivitäten von Cambridge Analytica befasst. Er arbeitete auch mit der Wochenendbeilage mehrerer Schweizer Zeitungen, Das Magazin, zusammen, die das Ausmass der Datenlecks aufgedeckt hat. Er schätzt, dass die Schweiz genauso verwundbar ist wie andere Länder.
Seiner Meinung nach ist die allgemeine Ignoranz das Problem. Die Nutzerinnen und Nutzer verstünden das komplexe Informations-Ökosystem nicht mehr, das sie umgibt. Sie wüssten auch nicht mehr, wem vertrauen. Facebook habe eine Infrastruktur aufgebaut, die es selber nicht mehr regeln könne.
Zudem würden die Behörden geltendes Recht nicht streng genug anwenden. Und in diese Lücke würden opportunistische politische Berater und Strategen springen, betont Dehaye. Diese seien in der Schweiz vielleicht nicht derart aktiv wie Cambridge Analytica in Grossbritannien und den USA, sie nutzten aber dennoch Online-Kampagnen, um bestimmte Segmente des Stimmvolks zu erreichen.
Ausspionierte Nutzer
Solche Praktiken deckte kürzlich das neue Zürcher Online-Magazin Republik auf. Schweizer Parteien und Befürworter einer Abschaffung der Radio- und Fernsehgebühren (in der Abstimmung vom 4. März abgelehnt) hatten während der Kampagne angeblich illegale Datenpraktiken angewandt.
Nicht nur hätten die Komitees spezifische Zielgruppen auf Facebook anvisiert, so der Artikel, sondern "sie markieren die Userinnen beim Besuch ihrer Kampagnen-Websites, verfolgen ihr Surfverhalten im Internet." Damit hätten sie gegen das Schweizer Datenschutzgesetz verstossen.
Auch wenn akademische Studien sich nicht einig über die konkreten Auswirkungen eines solchen "Micro-Targeting" sind, schätzt Dehaye, dass blosse Zweifel über eine mögliche Wählermanipulation die demokratischen Verfahren stören können.
So hätten Vorwürfe einer russischen Einmischung während des katalanischen Referendums viele legitime Online-Kampagnen der Unabhängigkeits-Befürworter untergraben.
Mehr Macht den Nutzern?
Um der Bedrohung in der Schweiz zu begegnen, ist laut Dehaye wichtig, den Nutzerinnen und Nutzern die Möglichkeit zu geben, zu verstehen, wem sie online trauen können und wem nicht. Dazu gehörten Bildungsprogramme für digitale Kompetenz und Rechte, wie auch eine strengere Anwendung geltenden Rechts.
Für Adrienne Fichter, Autorin für digitale Medien und Journalistin bei der Republik, wäre die Übernahme der Bestimmungen der Datenschutz-Grundverordnung der Europäischen Union ein guter Anfang. Die Schweiz sei derzeit jedoch bestrebt, sich an die Bestimmungen ihres eigenen Datenschutz-Gesetzes zu halten.
Letzteres sehe im Gegensatz zum europäischen Vorschlag keine Datenübertragbarkeit vor, so Fichter. Eine solche würde den Nutzerinnen und Nutzern erlauben, die Kontrolle über die eigenen, online produzierten Daten zu übernehmen.
Dehaye hat eine globalere Sichtweise. Er glaubt, dass die Schweiz und ihr multilateraler Hub Genf in einer Welt, in der grosse Online-Konglomerate und der geostrategische Wettbewerb zwischen Nationen die Bedingungen der Debatte diktierten, brillieren könnten. "Hier hat die Schweiz die grosse Chance, eine Führungsrolle zu übernehmen", sagt er.
(Übertragung aus dem Englischen: Christian Raaflaub)
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