Für christliche Hilfswerke, die von ausländischen Spendern, darunter auch Schweizer, unterstützt werden, wird es aufgrund administrativer Hürden immer schwieriger, in Indien tätig zu sein. Diese behaupten, die selektive Umsetzung von Vorschriften sei auf den Aufstieg des Hindu-Fundamentalismus zurückzuführen.

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"Es ist bedauerlich, dass der Fundamentalismus im Land zunimmt und sogar die Regierung selbst die Hindutva-Agenda der kommunalen Kräfte unterstützt", sagte der indische Bischof Robert Miranda in seiner Rede im Oktober 2017 in der Westschweizer Stadt Freiburg.

Eingeladen worden war er von Missio Schweiz, der Schweizer Niederlassung der Päpstlichen Missionswerke, für die der Papst zuständig ist. Miranda leitet in der Kleinstadt Gulbarga im südindischen Bundesstaat Karnataka eine Diözese von rund 8000 Katholiken.

Als er 1982 zum ersten Mal in die Region geschickt wurde, gab es dort nur drei katholische Familien und eine Handvoll Methodisten. Die Gemeinde wurde schnell grösser, als Dalits, die zur niedrigsten Kaste unter den Hindus gehören, sich für das Christentum zu interessieren begannen und zum Katholizismus übertraten.

Probleme verursachte dies in Gulbarga keine, bis die Bhartiya Janata Party (BJP), die eine sanfte Form des Hindu-Nationalismus befürwortet, 2014 an die Macht kam. Seither stehen Bekehrungen unter strenger Beobachtung.

Sechs indische Bundesstaaten (Arunachal Pradesh, Odisha, Madhya Pradesh, Chhattisgarh, Gujarat und Himachal Pradesh) haben kürzlich Anti-Bekehrungsgesetze erlassen, um die Praxis zu regulieren. Sie zielen darauf ab, jene zu bestrafen, die konvertieren wollen oder versuchen, andere durch "gewaltsame" oder "betrügerische" Mittel oder durch "Verlockung" oder "Anreiz" zu bekehren: Begriffe, die vage und offen für Interpretationen sind. Die Strafen sind härter, wenn die Beteiligten aus den untersten Kasten oder Stämmen stammen.

Bischof Miranda wollte sich nicht zur Lage vor Ort äussern, sondern sprach eine Empfehlung für ein friedliches Zusammenleben aus.

"Alle Parteien sollten eine religionsbezogene Politik vermeiden und den säkularen Charakter der indischen Verfassung aufrechterhalten, die zu den besten der Welt gehört", sagte er gegenüber swissinfo.ch.

Martin Brunner, der Geschäftsführer des katholischen Hilfswerks Missio Schweiz, das Schulen für behinderte Kinder und solche aus den niedrigsten Kasten sowie Waisenhäuser in Gulbarga unterstützt, war mitteilsamer. Seine Organisation trägt jährlich rund 100'000 Franken für indische Projekte bei.

"Zwischen dem Staat Karnataka und der Kirche besteht eine gute Zusammenarbeit. Ich habe jedoch vom Erzbischof von Bangalore gehört, dass sich das Klima verändert und es in Zukunft schwierig werden dürfte", sagt er.

Administrative Hürden

Dieses Klima des Misstrauens gegenüber Bekehrungen wirkt sich teils auch auf die Arbeit der Hilfswerke aus. Compassion, eine internationale NGO, die mit Kirchen zusammenarbeitet, um Kindern in extremer Armut zu helfen, beschloss, sich aus Indien zurückzuziehen. Grund dafür sind die schwierigen administrativen Anforderungen in Indien.

Die Schwierigkeiten begannen Anfang 2016, als die BJP-Regierung neue Verfahren einführte und von den indischen Partnern von Compassion verlangten, sich erneut für das Recht auf Kinderbetreuung zu registrieren. Es gab einige knifflige Anforderungen wie etwa die Installation einer feuerfesten Türe in einem Gebäude aus Holz. Diese Vorschriften führten dazu, dass einige Projekte die Registrierung schafften, andere jedoch nicht.

Wenn man sich die Fakten ansieht, so haben uns nur administrative Gründe daran gehindert, unsere Arbeit fortzusetzen. Aber warum müssen wir zum Beispiel eine feuerfeste Tür für ein Bambus- oder Holzhaus in einem Stammesgebiet installieren?" sagt Christian Willi, der Geschäftsführer von Compassion Schweiz.

Geld, das 12 Compassion-Zweigstellen, darunter die schweizerische, überwiesen, wurde von den Behörden blockiert. Dies hatte zur Folge, dass jeden Monat ein siebenstelliger Dollarbetrag für die 589 kirchlichen Projekte von Compassion fehlte, die sich um rund 147'000 indische Kinder kümmerten. Allein Compassion Schweiz war direkt verantwortlich für die Patenschaft von über 300 Kindern in Indien, die inzwischen eingestellt wurde.

"Die Spender in der Schweiz waren bestürzt und traurig. Einige fragten, warum sie ihrem Patenkind nicht mehr schreiben konnten, nachdem sie es zehn Jahre lang unterstützt hatten", sagt Willi.

Die BJP-Regierung bestreitet, dass sie Christen mit unangemessenem administrativem Aufwand ins Visier nimmt.

"Indien hat Massnahmen zur Transparenz in der gemeinnützigen Arbeit eingeführt. Alle werden gleichbehandelt, die Regeln gelten für alle, nicht nur für eine spezielle Gruppe", sagte Syed Shahnawaz Hussain, ein nationaler Sprecher der BJP, gegenüber swissinfo.ch.

Kontroverse um Bekehrungen

Hatten religiöse Bekehrungen etwas damit zu tun, wie das Hilfswerk Compassion von den Behörden behandelt wurde? Willi bestreitet nicht, dass einige Kinder, die an den Zentren von Compassion teilnahmen, zum Christentum übergetreten waren.

"Es gab Kinder, die aus freien Stücken Christen wurden, aber auch Hindus und Muslime, die jahrelang von Compassion unterstützt wurden, ihrem Glauben jedoch treu blieben", sagt er.

Der Übertritt zu einem anderen Glauben ist nicht illegal, und Religionsfreiheit ist ein Grundrecht, das in der indischen Verfassung verankert ist. Viele glauben jedoch, dass Konvertiten dazu verleitet werden, die Religion gegen Geld oder materielle Vorteile zu wechseln.

"Wenn Gelder für wohltätige Zwecke fliessen, dann ist das eine gute Sache, nicht aber, wenn sie dazu eingesetzt werden, um die religiöse Bekehrung zu fördern. Es ist nicht richtig, wenn versucht wird, den Glauben der Inder mit Geld zu kaufen", so Hussain.

Gemäss Willi sind es nicht nur die Glaubensübertritte, welche die derzeitige Regierung beunruhigen, sondern die internationale Einflussnahme, die sich auf die Stabilität des Landes auswirken könnte. Diverse internationale NGO, wie etwa die Umwelt-Organisation Greenpeace, sind aufgrund ihrer Kampagnen mit bürokratischen Hürden konfrontiert.

Einige sind jedoch der Meinung, dass die Schikanierung christlicher Organisationen und Kirchen einzig und allein auf religiöse Intoleranz zurückzuführen sei. Laut Open Doors, einer Organisation, welche die Verfolgung von Christen weltweit dokumentiert, ist Indien das elftgefährlichste Land für Christen. Beunruhigend ist, dass das Land 2018 zum ersten Mal zur Kategorie "Extreme Verfolgung" gehört. Diese Tendenz ist für die 27,8 Millionen Christen, die 2,3% der Bevölkerung des Landes ausmachen, alles andere als ermutigend.

Der Respekt vor religiösen Minderheiten

"Inder zu sein, bedeutet Hindu zu sein. Das ist die Haltung der BJP. Und ja, die BJP und die RSS-Bewegung [Rashtriya Swayamsevak Sangh] sind dafür verantwortlich. Es wäre grossartig, wenn Ministerpräsident Modi ein gemässigteres Land schaffen würde, das Minderheiten respektiert und toleriert", sagte ein Sprecher von Open Doors, das eng mit indischen Partnern zusammenarbeitet.

Die BJP bestreitet jedoch, dass Minderheiten als Bürger zweiter Klasse behandelt würden. "Unsere Regierung befolgt die Politik "Collective Efforts, Inclusive Growth" (Kollektive Anstrengung, integratives Wachstum). Minderheiten haben heute mehr Freiheiten als je zuvor", sagt Hussain.

Christliche Organisationen sind nicht optimistisch, dass der indische Ministerpräsident den Kurs ändern kann, nachdem er die nationalen Wahlen 2014 aufgrund einer pro-hinduistischen Agenda gewonnen hat, obwohl er von Zeit zu Zeit entsprechende Versprechen macht.

"Meine Regierung wird dafür sorgen, dass es völlige Glaubensfreiheit gibt und dass jeder das Recht hat, die Religion seiner Wahl ohne Zwang oder unangemessenen Einfluss beizubehalten oder anzunehmen", sagte er 2015 während einer Feier in Neu Delhi, bei der es um die Seligsprechung zweier Inder durch Papst Franziskus ging.

Sein Auftreten und seine Rede erfolge, nachdem die BJP in Delhi bei den Wahlen in die lokale Versammlung nur drei von 70 Sitzen gewonnen hatte. Für Zyniker schien der Schritt ein Versuch zu sein, eine weitere Entfremdung der christlichen Wähler nach einer Reihe von Angriffen auf Kirchen in Delhi zu verhindern. Aber kann es der BJP-Regierung jemals gelingen, das Vertrauen internationaler christlicher Organisationen zu gewinnen?

"Wir haben eine gewisse Hoffnung. Aber solange die BJP an der Macht und der Meinung ist, die Sicherheit und Entwicklung des Landes sei von der religiösen politischen Identität abhängig, glauben wir nicht, dass sich die Situation radikal verbessern wird", sagt Willi.


(Übertragung aus dem Englischen: Gaby Ochsenbein), swissinfo.ch

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