Noch nie in der Geschichte haben so viele Menschen in Städten gelebt. Heute sind es 4 Milliarden, bis 2050 werden es 5 Milliarden sein. Was tun, damit die Urbanisierung nicht zu mehr Ungleichheit und Umweltverschmutzung führt? Die Schweizer Entwicklungshilfe sucht nach Antworten.

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In Indien oder China werden bis 2050 alle zehn Sekunden 30 neue Klimaanlagen, installiert. Rapides Wachstum gekoppelt mit mangelhafter Stadtplanung, schwachen Finanzstrukturen oder Misswirtschaft machen Städte zu den grössten Umweltverschmutzern der Gegenwart. Gleichzeitig wächst die Ungleichheit: Luxusviertel koexistieren mit Slums.

Die Herausforderungen einer Urbanisierung, die allen zugutekommt, sind in Entwicklungs- und Schwellenländern enorm. Dort wachsen die Städte dermassen rapide, dass die Planung kaum mithalten kann. Vor 60 Jahren lebten in Afrika und Asien etwa 15% der Bevölkerung in einer Stadt, bis 2050 werden es 60-65% sein, in mehreren Ländern weit mehr.

„Stadt und Land nachhaltig entwickeln“ ist das Thema der Jahreskonferenz der Direktion für Entwicklung und Zusammenarbeit (Deza) und dem Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) am 29. Juni in Bern. Am Beispiel von Tschad und Südafrika wird an der Tagung gezeigt, wie die schweizerische Entwicklungszusammenarbeit auf die unterschiedlichen Herausforderungen in diesen Ländern eingeht und dabei die Armutsbekämpfung im Fokus behält.

Armut lässt Städte wachsen

Im Tschad, einem Land das auch künftig eher ländlich geprägt sein wird, ist die Ernährungssicherheit eine grosse Herausforderung, insbesondere infolge der Klimaerwärmung.

Das Beispiel Südafrika zeigt, mit welchen Herausforderungen Städte kämpfen müssen. Anders als in Europa, sei die Urbanisierung nicht von der Industrialisierung angetrieben, sondern von ländlicher Armut, sagt Sithole Mbanga, Geschäftsführer des Städtenetzwerks South African Cities Network. „Theoretisch führt Urbanisierung zu Arbeitsplätzen. Das ist aber in Südafrika nicht der Fall. Wir erleben die Vorteile der Urbanisierung nicht so wie in Europa. In Südafrika ziehen viele Menschen von ländlichen in städtische Gebiete, aber wenn sie dort ankommen, sind sie enttäuscht.“

Ist eine Stadtplanung in einer Stadt wie Johannesburg, die gemäss einer Studie einen monatlichen Zuwachs von bis zu 20'000 Menschen erfährt, überhaupt möglich? Davorka Shepherd meint ja. Als Leiterin der Wirtschaftlichen Zusammenarbeit und Entwicklung des Seco in Pretoria, ist sie verantwortlich für das Weltbank-Projekt „Cities Support Programme“, das acht Metropolen in Südafrika unterstützt und berät.

„Eine Stadtplanung mit einem Zeithorizont von 20 bis 30 Jahren ist durchaus möglich", sagt sie. "Der Druck auf Städtemanager ist jedoch enorm: täglich müssen sie dringenden Anforderungen entsprechen, Dienstleistungen erbringen, Projekte managen und gleichzeitig mit Budgetbeschränkungen leben.“

Gegenseitige Abhängigkeit

Generell sei eine nachhaltige Urbanisierung möglich, verlange aber, dass ländliche und urbane Gebiete nicht getrennt voneinander betrachtet würden, sagt Craig Hatcher. Er ist Berater für Gouvernanz beim Schweizer Hilfswerk Helvetas, das ein „urbanes Entwicklungskonzept“ erarbeitet hat.

Die zunehmende gegenseitige Abhängigkeit verändere die traditionellen Rollen von Stadt und Land, so Hatcher. Einerseits spiele die Landwirtschaft im ländlichen Raum nach wie vor eine wichtige Rolle. Sie werde aber durch das Gewerbe und den Dienstleistungssektor im städtischen Raum ergänzt. „Andererseits finden auch traditionelle ‚ländliche’ Praktiken wie die Landwirtschaft in städtischen Gebieten statt und tragen dort zur Ernährungssicherheit bei“.

"In den sehr unterschiedlichen Kontexten von Stadt und Land wird auch die Frage der Urbanisierung unterschiedlich behandelt", sagt Thomas Gass, Vize-Direktor und Leiter des Bereichs Südzusammenarbeit in der Deza. „Die Antworten müssen daher spezifisch und an den jeweiligen Fall angepasst sein.“

Die Deza fokussiere auf die ärmsten Bevölkerungsgruppen, egal ob sie in ländlichen oder städtischen Gebieten leben, sagt Gass. „Es stimmt zwar, dass die Armut vor allem in ländlichen Gebieten herrschte, aber dieser Trend ändert sich. Es gibt immer mehr Armut rund um und in den Städten.“

Veraltetes Bild der Deza

Das Engagement der Helvetas in Städten sei auch eine Gelegenheit, „das veraltete Bild der Entwicklungszusammenarbeit zu modernisieren“, sagt Hatcher. Wegen dieser „Verschiebung der Armut in Städte“ sei es nötig, dieses Bild in den Köpfen der Spenderinnen und Spendern zu ändern und zusätzliche Mittel für urbane Initiativen zu beschaffen – jedoch nicht auf Kosten der benachteiligten Landbevölkerung.

„Wir betrachten die Verknüpfung von ländlichen und städtischen Gebieten als Chance, die nachhaltige Entwicklung generell effektiver anzugehen, was sowohl der ländlichen als auch der städtischen Bevölkerung dient“.  © swissinfo.ch

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