Die aus Russland stammende Bewegung expandiert weltweit und kauft Land – auch in Deutschland. Dabei verbreitet sie in Teilen rechtsextremes und völkisches Gedankengut.
"Die Germanen sind ein verwandter Stamm der Russen. Wir sind alle Arier." Dieser Satz stammt nicht etwa von einem Nationalsozialisten, sondern einem russischen Anhänger der Anastasia-Bewegung. Ihm zufolge stammen beide "Stämme" von den Hyperboreern ab, einem - laut griechischer Mythologie - sagenumwobenen Volk aus dem Norden.
Was in einem Beitrag von "SpiegelTV" nach Science-Fiction oder Fantasy-Roman klingt, ist die Überzeugung einer zunehmenden Zahl Menschen in Russland, der Ukraine, Kasachstan – und auch in Österreich und Deutschland. Die Anastasia-Bewegung expandiert weltweit. Ihre Anhänger organisieren sich in gemeinschaftlichen Siedlungen und kaufen Land. Experten sehen ihre Ideologie kritisch.
Esoterische Bewegung aus Russland
Die Anastasia-Bewegung versteht sich selbst als eine esoterische und spirituelle Bewegung. Sie hat ihren Ursprung in Russland. Ihren Namen hat sie von der Protagonistin der Buchreihe "Die klingenden Zedern Russlands". Die Bewegung wurde von dem russischen Autor Wladimir Megre ins Leben gerufen, der behauptet, Anastasia sei eine echte Person, die in der Taiga, dem sibirischen Wald, lebt und eine Botschaft des Friedens und der Harmonie mit der Natur verbreitet.
Die Ideologie der Bewegung beruht auf der Vorstellung, dass die moderne Gesellschaft und Zivilisation fehlerhaft und destruktiv sind und dass die Menschheit sich von ihnen abwenden sollte. Stattdessen sollten wir eine Rückkehr zu einem einfachen und naturverbundenen Leben anstreben, das auf der Weisheit und den Traditionen der Vorfahren basiert. Die Bewegung betont dabei gerne die Bedeutung von Nachhaltigkeit, Selbstversorgung, Gemeinschaft und Spiritualität.
Autarke Siedlungen
Die Anhänger gründen Siedlungen, in denen sie nachhaltige Lebensweise und Gemeinschaft praktizieren. In Deutschland sollen es um die 20 sein, die grösste davon im brandenburgischen Grabow, dem sogenannten "Goldenen Grabow".
Vieles erinnert dabei an andere Aussteiger-Bewegungen: Die Anastasia-Mitglieder bauen ihre eigenen Häuser, kultivieren ihr eigenes Essen und leben weitgehend autark. Es gibt jedoch Bedenken hinsichtlich der Bewegung, insbesondere bezüglich ihrer möglichen Gefährlichkeit. Einige Beobachter werfen der Anastasia-Bewegung vor, eine esoterische Sekte zu sein, die eine gefährliche Ideologie verbreitet.
Experte: "Typische verschwörungsideologische und stereotyp-antisemitische Aussagen"
Matthias Pöhlmann ist Beauftragter für Sekten- und Weltanschauungsfragen der Evangelisch-Lutherischen Kirche in Bayern. Er ordnet die Anastasia-Bewegung der rechten Esoterik zu. Diese sei auf dem Vormarsch und tauche auch in der Mitte der Gesellschaft auf. Es sei allerdings schwierig zu sagen, wie viele Anhänger die Bewegung habe: Im Gegensatz zu vielen sogenannten Sekten sei sie dezentral organisiert, "das heisst ohne richtigen Anführer", so Pöhlmann gegenüber unserer Redaktion. Auch gebe es viele Fans der Anastasia-Bücher, ohne, dass diese die Ideen die dort beschrieben würden in die Tat umsetzten.
Der Theologe sieht die Bewegung trotzdem kritisch: Zwar dementierten Anhänger immer wieder, dass die Anastasia-Bewegung antisemitische Ressentiments schüre, jedoch sei dies laut Pöhlmann eine "Schutzbehauptung". In den Büchern von Wladimir Megre, die der Bewegung zugrunde liegen, werde unter anderem behauptet, die Juden seien reich und einflussreich, würden sogar grossen Einfluss auf die Regierungen haben. Laut Pöhlmann "typische verschwörungsideologische und stereotyp-antisemitische Aussagen".
Verbindungen ins Reichsbürger- und rechtsextreme Milieu
Auch die "Vererbungslehre", die in den Büchern skizziert werde, sei rassistisch und misogyn, so Pöhlmann. Der erste Sexualpartner der Frau "stemple" demzufolge den Kindern, die sie mit späteren Sexualpartnern haben würde, dessen Blut und den Geist auf.
Ausserdem seien die politischen Vorstellungen im Buch antidemokratisch. Die Demokratie werde darin als Dämon dargestellt. Dieser ideologische Aspekt der Bewegung werde gerne übersehen und die Anhänger als friedliche Aussteiger verklärt. Das sei vielmals illusorisch: "Etliche Akteure der Anastasia-Bewegung weisen Verbindungen ins Reichsbürger- und rechtsextreme Milieu auf", so der Beauftragte für Sekten- und Weltanschauungsfragen.
Verbreitung rechtsradikaler Ideologien
So soll sich Frank Willy Ludwig, der Begründer des "Urahnenerbe Germania", einer esoterisch-völkischen Bewegung, auf die Anastasia-Buchreihe beziehen. Nach Recherchen von Watson.ch soll er rechtsradikale Ideologien verbreiten und betreibt laut Pöhlmann verschiedene Internetseiten, auf denen verfremdete Hakenkreuz- und an die Nazizeit erinnernde Symbole zu sehen seien. Laut der Initiative "Endstation Rechts" soll Ludwig Vorträge und Kurse über die Reinhaltung der "Rasse" anbieten.
Ein weiterer Anhänger der Anastasia-Bewegung, Walter Seewald alias Wjatscheslaw Seewald, soll enge Kontakte zur AfD, der Querdenker- und der Reichsbürger-Szene unterhalten. Von der "Süddeutschen Zeitung" wird Seewald als "Kreml-Propagandist" bezeichnet. Er soll der Kopf hinter der Telegram-Gruppe "Putin-Fanclub" mit 43.000 Abonnenten sein, der Putin-Reden auf Deutsch übersetzt und vor einem Atomkrieg mit Russland warnt.
Verwendete Quellen:
- Gespräch mit Matthias Pöhlmann.
- SPIEGEL TV: Rechte Öko-Sekte: Die "Anastasia-Bewegung"
- watson.ch: Im Berner Oberland treffen sich braune Esoteriker – das steckt dahinter
- endstation-rechts.de: Russische Einflussnahme
- suedeutsche.de: "Reichsbürger"-Razzia in München: Wen die Ermittler ins Visier nahmen
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