• Im Kanton Bern eröffnet in Kürze das erste schweizerische "Dorf" für demenzkranke Menschen.
  • Kommende Woche ziehen die ersten Bewohnerinnen und Bewohner ein.
  • Ziel des Projekts ist es, dass sich die Erkrankten frei bewegen können.

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Auf den ersten Blick sieht das "Juradorf" aus wie eine herkömmliche Siedlung: Zwischen mehreren zweistöckigen Gebäuden liegt ein kleiner Dorfplatz mit einem Brunnen, bepflanzten Grünflächen und einem kleinen Laden. Stühle und Tische laden zum Verweilen ein. Wären da nicht die Schiebetore und Mauern mit Scheiben, die das Dorf von der Aussenwelt abschirmen. Bei der Anlage handelt es sich um das erste Dorf für demenzkranke Menschen in der Schweiz, in das kommende Woche die ersten Bewohnerinnen und Bewohner einziehen dürfen.

Vorerst beziehen 56 Menschen das Quartier im Kanton Bern. Das Konzept: Die Demenzkranken sollen sich dort frei bewegen können und so trotz Krankheit ein Stück Normalität behalten. "Alzheimer-Patienten haben grosse Orientierungsprobleme", zitiert das SRF den Direktor der Heimbetreiberin Dahlia Oberaargau AG, Urs Lüthi. In der Aussenwelt könnten sie nicht ohne Begleitung durch den Alltag gehen.

So läuft das Leben im "Juradorf" ab

Die Bewohnerinnen und Bewohner leben im "Juradorf" im oberaargauischen Wiedlisbach in Einzelzimmern und bilden mit jeweils sechs bis sieben weiteren Personen eine Wohngemeinschaft. Eine Fernsehecke, Nasszellen, ein Gemeinschaftsraum und eine Küche bieten Gelegenheit für den wichtigen sozialen Austausch.

Die Wohnungen sind einfach ausgestattet, damit die Menschen sich sofort zurechtfinden. So öffnen sich auch die Türen der Lifte in den Häusern automatisch und bringen die Demenzkranken direkt zu ihren Räumen - ohne, dass sie einen Knopf drücken müssen.

Die Idee hinter dem Projekt ist es, den Demenzerkrankten ein selbstbestimmtes Leben zu ermöglichen, sie gleichzeitig aber auch an die Hand zu nehmen. So sollen die Bewohnerinnen und Bewohner unter Aufsicht etwa ihre Speisen selbst zubereiten. "Die Idee ist, dass sie etwa den Kartoffelstock selber machen", erklärt Lüthi. "Aufwändigere Gerichte, (...) können die Bewohnerinnen im Dorfladen abholen." Es sei nicht die Idee, dass sie sieben Tage die Woche Spaghetti mit Tomatensauce essen.

"Scheinwelt": Kritik an Alzheimer-Dorf

Vorbild für das "Juradorf" ist das niederländische Pflegedorf "De Hogeweyk", das 2009 eröffnet wurde und in dem aktuell 150 Bewohner zu Hause sind. Kritiker bemängeln, dass den Betroffenen eine Scheinwelt vorgegaukelt wird. Demenzkranke würden durchaus mitbekommen, wenn ihnen etwas vorgespielt werde. Sie könnten dies aber nicht reflektieren.

Urs Lüthi kann mit dieser Kritik nichts anfangen. Auch in einem "normalen" Pflegeheim werde den Kranken das Essen geliefert. Das Einkaufen sei hingegen "ein Erlebnis". "Alleine könnten sie keine Besorgungen mehr machen. Denn sie erkennen meist die Produkte und das Geld nicht mehr", sagt der Direktor. Zudem ermögliche das Wohnen im "Juradorf" den Menschen Freiheiten wie selbstständige Spaziergänge - etwas, das in der "realen" Welt nicht mehr ohne Begleitung möglich ist.

Noch vor Eröffnung des "Juradorfs" gibt es Pläne, die Siedlung zu vergrössern. Die 56 Betten sind bereits vergeben, in Zukunft möchte man noch auf 117 Plätze erweitern. Interessenten dürfte es viele geben: Laut Schätzungen des Bundes leben in der Schweiz knapp 150.000 Demenzerkrankte. Die meisten von ihnen sind über 60 Jahre alt.  © 1&1 Mail & Media/spot on news

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