Personen mit einer Behinderung haben eine halb so grosse Chance, eine Stelle zu finden. Und sie sind doppelt so oft von Armut betroffen wie der Durchschnitt der Bevölkerung. Die grösste Behinderten-Organisation der Schweiz, Pro Infirmis, hat diese Woche eine neue Kampagne lanciert, die mehr Einbezug fordert.

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"Alle sind gleich. Niemand ist gleicher." Mit diesem Slogan und einem humoristischen Kurzfilm will die neue Kampagne von Pro Infirmis die Bevölkerung sensibilisieren: Wir alle haben Gemeinsamkeiten, ob wir behindert sind oder nicht.

Die 1,8 Millionen Menschen mit Behinderungen oder Beeinträchtigungen, die in der Schweiz leben, müssen allerdings zahlreiche zusätzliche Hindernisse überwinden. Dies betrifft besonders den Zugang zum Arbeitsmarkt, zu Wohnungen und kulturellen Veranstaltungen.

Pro Infirmis setzt sich dafür ein, dass sie "selbstbestimmt und ohne gesellschaftliche Barrieren an allen Lebensbereichen teilnehmen können". Die Art und Weise, wie wir Behinderungen betrachten, müsse sich noch entwickeln, erklärt Susanne Stahel, Kommunikationsleiterin der Organisation.

swissinfo.ch: Bezieht die Schweiz behinderte Menschen nicht genügend?

Susanne Stahel: Es gab bereits Fortschritte. Wir müssen aber weitergehen und die Art und Weise ändern, wie wir mit Behinderungen umgehen. Wir denken oft die Behinderten nicht mit; sie sind es, die auf ihre Schwierigkeiten aufmerksam machen müssen.

Wir vergessen sie oft. So sollten wir zum Beispiel an den Zugang für Behinderte denken, bevor wir ein Gebäude bauen. Oft macht man das hinterher, und das wird dann teuer.

swissinfo.ch: In welchen Bereichen kann der Einbezug verbessert werden?

S.S.: Besonders im Transportbereich. Eine Person im Rollstuhl sollte sich auf der Strasse bewegen oder autonom reisen können, ohne andauernd Hilfe verlangen zu müssen.

Auch die Arbeitswelt muss sich noch mehr öffnen. Wenn eine Person über Kompetenzen verfügt, sollte ihre Behinderung bei ihrer Anstellung kein Hindernis sein. Auch die digitale Kommunikation sollte zugänglicher werden.

swissinfo.ch: Wo steht die Schweiz im Vergleich mit anderen Ländern?

S.S.: Was die Zugänglichkeit betrifft, sind einige Länder klar weiter. So etwa Deutschland: Nach dem Zweiten Weltkrieg kamen viele Kriegsversehrte zurück, weshalb sich die Gesellschaft anpassen musste.

swissinfo.ch: Wie kann die Situation verbessert werden?

S.S.: Wichtig ist, dass auf nationaler Ebene eine kohärente und integrative Politik angewandt wird, die sich nicht auf einen Punkt konzentriert, sondern auf das ganze Leben von Menschen mit Behinderungen. Massnahmen dazu wurden bereits am 9. Mai in einem Bericht des Bundesrats zu Gunsten der behinderten Menschen definiert.

Oft gibt es wenig Austausch zwischen Personen ohne und mit Behinderung, denn letztere sind besonders in der Arbeitswelt nicht oft anzutreffen. Das ist schade. Wir müssen die menschliche Diversität als einen Schatz betrachten.


(Übertragung aus dem Französischen: Christian Raaflaub)  © swissinfo.ch

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