Die jüngst aufgedeckten Fälle von sexualisierter Gewalt gegenüber Kindern in Bergisch Gladbach legen einen riesigen Sumpf frei. NRW-Justizminister Peter Biesenbach wird "speiübel" angesichts des Ausmasses: Ermittler haben mehr als 30.000 Spuren zu Verdächtigen entdeckt.
Im Komplex um sexualisierte Gewalttaten in Bergisch Gladbach sind die Ermittler auf Spuren von insgesamt mehr als 30.000 Spuren zu Verdächtigen gestossen. Das hat NRW-Justizminister Peter Biesenbach (CDU) am Montag in Düsseldorf mitgeteilt.
Es gehe sowohl um die Verbreitung und den Besitz von Kinderpornografie, aber auch um konkrete Taten sexualisierter Gewalt. In Foren und Messengerdiensten gingen die Kriminellen ganz unverhohlen mit ihren Straftaten um, heizten sich an und gaben sich Tipps.
Ermittler stossen auf Spuren zu 30.000 Verdächtigen
In Lügde, Bergisch Gladbach und Münster waren die Ermittler in den vergangenen Monaten auf grosse Netzwerke gestossen, in denen kinderpornographisches Material präsentiert und getauscht wurde, oder Täter gar mit der Darstellung eigener Vergehen geprahlt hatten.
Die Täter sind in der Regel geschützt durch Nicknames, egal ob sie im Darknet oder im World Wide Web ihr Unwesen treiben. Die unglaubliche Zahl von über 30.000 Spuren zu unbekannten Verdächtigen lässt die Justiz nun umdenken.
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NRW startet eigene Task Force - Justizminister: "Mir ist speiübel"
"Wir haben uns die Frage gestellt, ob es da nicht einen viel grösseren Sumpf gibt", erklärte Justizminister Biesenbach die veränderte Strategie. "Mir ist speiübel", machte der CDU-Politiker die völlig neue Dimension deutlich, mit der die Strafverfolgungsbehörden zu tun haben. "Wir müssen erkennen, dass Kindesmissbrauch im Netz weiter verbreitet ist, als wir angenommen haben."
Statt wie bislang Einzeltäter zu verfolgen, soll ab 1. Juli mit einer eigenen Task Force wie bei Cyberterroristen oder Hackern vorgegangen werden. Sechs Staatsanwälte würden sich dann unter grossem Zeitdruck zuerst um die Fälle bemühen, bei denen davon auszugehen ist, dass der Missbrauch von Kindern fortgesetzt werde. Dafür sollen sie eng mit der Zentral- und Ansprechstelle Cybercrime (ZAC) zusammenarbeiten.
Biesenbach forderte zudem eine Nachbesserung bei der Vorratsdatenspeicherung, um zu verhindern, dass potenzielle Täter aus Datenschutzgründen sich einer Verfolgung entziehen könnten.
Oberstaatsanwalt Markus Hartmann, Leiter der ZAC, äusserte seine Sorge darüber, dass sich die Täter in den Netzwerken gegenseitig "zu den furchtbaren Taten ermuntern" und sich untereinander Tipps geben, "welche Beruhigungsmittel besonders geeignet sind, um die jungen Opfer gefügig zu machen".
Ermittler stossen an psychische Grenzen der Belastbarkeit
In dem Komplex "Bergisch Gladbach" waren bisher bundesweit 72 Verdächtige identifiziert worden. Zehn waren zuletzt in U-Haft. Sieben Anklagen gegen acht Personen sind bereits erhoben worden. Der Fall war im Oktober 2019 mit der ersten Durchsuchung bei einem der Hauptverdächtigen in Bergisch Gladbach bei Köln ins Rollen gekommen.
Der Komplex hatte noch im Juni täglich 120 bis 140 Ermittler beschäftigt. In der Spitze waren es sogar 350 Mitarbeiter. Die Verdächtigen sollen sexualisierte Gewalt teilweise gegen ihre eigenen Kinder ausgeübt und Bilder der Taten getauscht haben. Ermittler werten seit Monaten riesige Datenmengen aus. Die Ermittlungen erstrecken sich längst auf sämtliche 16 Bundesländer.
Die Arbeit in der seit Herbst 2019 bestehenden Ermittlungsgruppe "Berg" sei psychisch sehr belastend, hatte der Kölner Kriminaldirektor Michael Esser vor kurzem berichtet. Drei Ermittler seien dauerhaft krank geworden. Andere hätten nach psychologischer Betreuung den Dienst wieder aufnehmen können.
Verwendete Quellen:
- Agenturmaterial von dpa
- www.wr.de: "Kindesmissbrauch Bergisch Gladbach: 30.000 Tatverdächtige"
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